Schwimmer Marco Koch:Zur Belohnung einen Berg Dreck

Swimming - 16th FINA World Championships: Day Fourteen

Marco Koch: Gut gesättigt nach dem WM-Titel

(Foto: Getty Images)

Als neuer Weltmeister geht Marco Koch erstmal Chicken Wings essen: Der bodenständige Brustschwimmer ist eine große Olympia-Hoffnung - und der Ernährungsexperte der Deutschen.

Von Claudio Catuogno, Kasan

Am Freitagabend hat Marco Koch noch schnell den Plan geändert. Immer schön flexibel bleiben, auch als Weltmeister. "Zu McDonald's war es halt näher als zu Burger King", sagt Koch am Tag darauf, also ist er dorthin losgezogen mit der Physiotherapeutin und dem Team-Arzt vom Deutschen Schwimm-Verband. Um sich "zu belohnen".

Die Belohnung bestand dann aus zwanzig Chicken McNuggets mit süß-saurer Soße sowie "einem kleinen Burger". Bei letzterem hat Koch offenbar sogar das Brötchen mitgegessen. So sieht es also aus, wenn der Schwimmer Marco Koch, 25, aus Darmstadt, der erste deutsche Weltmeister über 200 Meter Brust, mal so richtig über die Stränge schlägt.

Das Entscheidende an den zwanzig Chicken McNuggets ist allerdings gar nicht, dass Marco Koch sich damit seinen hungrigen Schwimmermagen vollgestopft hat am Abend nach dem Rennen, das er in 2:07,76 Minuten als Erster beendete, vor Kevin Cordes aus den USA (2:08,05) und dem Ungarn Daniel Gyurta (2:08,10). Das Entscheidende ist, dass es Marco Koch seit einiger Zeit schafft, das restliche Jahr auf die frittierten Hühnerteilchen zu verzichten.

"Vegan mit Fleisch" ist schon ein geflügeltes Wort

Seit Marco Koch vor zwei Jahren bei der WM in Barcelona als einziger DSV-Beckenschwimmer eine Medaille gewann, damals war es Silber, hat er oft über seine Lebensmittel-Unverträglichkeiten berichtet. Sein neues Ernährungskonzept "Vegan mit Fleisch" ist fast schon zum geflügelten Wort geworden bei den Nationalmannschafts-Schwimmern.

Koch gilt jetzt als der Ernährungsexperte im Team. Das alles war aber erst der zweite Schritt eines Prozesses, der jetzt tatsächlich zum ersten Titel eines Deutschen bei einer Schwimm-WM seit 2009 geführt hat. Bevor sich Marco Koch von Gluten und Milcheiweiß verabschiedet hat, musste er sich erst mal von Fastfood und Süßigkeiten verabschieden. Das war der erste Schritt.

Man muss wissen, wie sehr Koch Burger und Gummibärchen früher mochte, um zu verstehen, warum ihn so ein Besuch im Schnellrestaurant jetzt mit so viel Glück erfüllt, dass er ihn in Kasan fast in jedem Interview erwähnt. Marco Koch sagt es so: "Das ganze Jahr über ist man hart zu sich selbst. Da ist es für mich jetzt halt eine Belohnung, einfach mal sinnlos irgendeinen Dreck zu essen."

Sorry McDonald's, sorry Burger King. Marco Koch, der jetzt quasi der Chef-Koch der deutschen Schimmer ist, hat tatsächlich "Dreck essen" gesagt.

Medaille im Rucksack

Marco Koch hat all das am Samstagmittag in einer Lounge des Fußballstadions von Kasan erzählt, in der sein Ausrüster für die Zeit der Schwimm-WM einen Treffpunkt eingerichtet hat. Seine Medaille lag auf der Lehne des weißen Leersessels; man hatte ihn extra darum gebeten, sie mitzubringen. Wegen der Fotos. Sonst hätte Koch nicht daran gedacht. Er hat am Freitagabend den Rucksack mit der Medaille in seinem Hotelzimmer ins Eck gestellt und nicht mehr reingeguckt, obwohl er bis um drei Uhr morgens nicht in den Schlaf fand. Seine zwei anderen wichtigen Medaillen, WM-Silber 2013 und EM-Gold 2014? "Könnte ich jetzt gar nicht sagen, wo ich die habe."

Und als Marco Koch dann am Samstagmorgen aufgewacht ist nach einer kurzen Nacht, da war sein erster Gedanke auch nicht etwa: "Wahnsinn, ich bin Weltmeister!" Sondern: "Welcher Zug hat mich denn überrollt?"

Nur der Kampf um den Weltrekord zählt

Der Deutsche Schwimm-Verband hatte zuletzt nicht viele Weltmeister zu bieten. So einen wie Marco Koch hatte er überhaupt noch nie. Einen, der sich die Freiheit herausnimmt, Titel und Medaillen einfach nicht als die wichtigste Referenzgrößer heranzuziehen. Einen, dem das Weltmeister-Sein an sich gar nicht so viel bedeutet. Einen, der sein Leben als Athlet stattdessen um diese Zahlen herum definiert: 2:07,01 und 2:07,47. Das eine ist der Weltrekord über 200 Meter Brust, das andere Kochs bisherige Bestzeit. Mit der ringt er in jedem Rennen aufs Neue. Und weil er sie in Kasan knapp verpasst hat, war er hinterher auch nicht uneingeschränkt zufrieden. "Scheiß-Zeit", sagte er. Weltmeister ist er natürlich trotzdem gerne.

Hilfreiche Mängel

Marco Koch wird jetzt erst mal zwei Wochen Urlaub machen, aber er hat auch schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie das kommende Jahr ablaufen wird. Das Olympia-Jahr. Er wird auf Chicken McNuggets verzichten. Er wird sich mit dem ehemaligen Brust-Weltmeister Mark Warnecke, der heute Nahrungsergänzungsmittel vertreibt, noch mal über Ernährungsfragen beraten. Er wird sich wieder öfter einer Hypnose unterziehen; damit hat er in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Er wird an seiner Spritzigkeit bei den Wenden arbeiten.

Und er wird mit seinem Coach Alexander Kreisel weiter zu Hause in Darmstadt trainieren - auch wenn er sich da im baufälligen städtischen Schwimmbad häufig die Bahn mit anderen teilen muss und es im Winter schon mal vorkommen kann, dass das Bad ganz gesperrt wird, weil fünf Zentimeter Schnee aufs Dach drücken. "Aber es kann ja auch ein Vorteil sein, wenn man nicht immer ganz perfekte Bedingungen hat", findet Koch. "Dann kommt man hier auf den Wettkampf und findet immer automatisch alles gut."

Und er wird all das Gerede vom Olympia-Favoriten Marco Koch, von der Medaillen-Hoffnung Marco Koch einfach überhören, als ginge es dabei gar nicht um ihn. "Ich werde auch im nächsten Jahr wieder sagen: Ich will schneller als meine Bestzeit schwimmen. Das ist alles."

Ignoriere alle Erwartungen außer deinen eigenen - womöglich ist es genau diese unaufgeregte Bodenständigkeit, die Marco Koch dann tatsächlich zur Medaillen-Hoffnung macht für die Olympischen Spiele in Brasilien. Und wenn sich Marco Koch dann auch in Rio wieder mit einem großen Berg Dreck belohnt nach seinem Rennen, dann hat er wohl alles richtig gemacht.

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