Deutsche Springer bei der Vierschanzentournee:Crashkurs im Wechselwind

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Auch diese Tournee hat für die deutschen Springer nicht den großen Skisprung-Durchbruch gebracht - der Bestplatzierte Severin Freund wird immerhin Siebter. Bundestrainer Werner Schuster erkennt: Die Mannschaft ist wunderbar - aber unvollendet.

Thomas Hahn, Bischofshofen

Dann begann der Tanz am Himmel über Bischofshofen, ein herrlicher Tanz von Millionen kleinen Elfen aus einem entfernten Winterreich, die sacht und gleichmäßig über dem Sepp-Bradl-Schanzenstadion niedergingen. Oder waren es Eisblumen, die jemand aus vollen Händen übers Laideregg warf?

Der beste deutsche Springer bei der Tournee: Severin Freund. (Foto: AP)

Ein wunderbarer Schneefall ist es jedenfalls gewesen, der am Tag der Qualifikation zum Finale der 60. Vierschanzentournee die Luft erfüllte: dicke, weiche Flocken, jede anders, jede ein kleines Kunstwerk aus der Kristallschmiede der Natur. Aber im österreichischen Fernsehen sagte der frühere Tournee-Gewinner Andreas Goldberger, dieser Schneefall sei "das Blödeste", weil er den Anlauf kaputt mache.

Der Anlauf in Bischofshofen ist nicht mit einer Kunsteisspur ausgestattet, deshalb bleiben die dicken Flocken bei sogenannten Null-Grad- Bedingungen in der Spur kleben und bremsen die Anfahrt. Ein paar Skispringer ruderten ums Gleichgewicht und konnten nicht richtig abspringen. Es war klar: Die Schanze funktionierte nicht vor lauter weißer Pracht. Abbruch.

Später sitzt Werner Schuster, der Cheftrainer der deutschen Mannschaft, beim Brückenwirt in Sankt Johann und lässt die Tournee Revue passieren. Ein Springen steht da noch aus, und natürlich hofft Schuster, dass seine Sportler beim Dreikönigsspringen doch noch einen Coup landen. Er kann noch nicht wissen, dass Richard Freitag, Maximilian Mechler und Michael Neumayer tags darauf die Ränge zehn, 14 und 17 belegen werden.

Aber es ist schon klar, dass auch diese Tournee nicht den großen deutschen Skisprung-Durchbruch bringen wird, dazu ist Schusters Bestplatzierter, Severin Freund, der am Ende Siebter in der Gesamtwertung wird, schon zu weit hinterher. Ein bisschen muss Schuster sich fühlen wie vorhin im schönen Schneefall, der seinen Sport nicht zum Zug kommen ließ.

Seine Mannschaft ist wunderbar, es stecken so viele verschiedene Charaktere drin, so viele verschiedene Geschichten, sie tut, was sie kann, und es ist auch nicht so, dass sie gar nichts zustande brächte. Aber den letzten Gefallen kann sie ihm noch nicht tun. Wie es mit seiner Geduld aussieht? "Ja", sagt Werner Schuster, "die ist auch strapaziert." Das klingt strenger, als es gemeint ist.

Sieger der Vierschanzentournee
:Popstars und Supermänner

Die früheren Sieger des traditionsreichen Skisprungvierkampfes waren allesamt wagemutig - manch einer auch abseits des Sports. Von Offizieren, Häftlingen und Maskenträgern.

Werner Schuster hat keinen Zorn in sich, er sieht sich auf dem richtigen Weg, und dass seine Sportler nicht Spitzenergebnisse ausspucken wie Computer ohne Eigenschaften, wird er ihnen nie vorwerfen. Aber natürlich fällt ihm auf, dass er Wettkampf für Wettkampf das Gleiche erzählt, Achtungserfolge lobt und kleinere Rückfälle erklärt, statt Siegaussichten zu kommentieren.

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"Wenn man hier in der Verantwortungsposition ist, möchte man das so lenken, dass man dann wirklich auch mal gewinnt", sagt er. Seit 2008 ist Schuster beim Deutschen Skiverband, er hat dessen Sprung-Abteilung entstaubt, umgekrempelt, zukunftsfähig gemacht. Sein Team arbeitet gut, es gibt Erfolge, Team-Medaillen, insgesamt drei Weltcup-Siege durch Freund und Richard Freitag. Auch der Umbau funktioniert.

Im vergangenen Winter waren noch die Ü30-Springer Michael Uhrmann, Martin Schmitt und Michael Neumayer das Rückgrat der Mannschaft. Uhrmann ist zurückgetreten, Schmitt ist tiefer in der Krise denn je - trotzdem verheißen die jüngsten Teamergebnisse eine Medaillenchance bei der Skiflug-WM im Februar in Vikersund, weil Leute wie Maximilian Mechler und Stephan Hocke, beide 28, nach Jahren in der tiefsten Versenkung wieder gut unterwegs sind.

Nur: Das Hoch ist wacklig. Die Mannschaft ist unvollendet. "Wir müssen einfach feststellen, wir sind noch nicht gut genug für diesen großen Wurf", sagt Schuster. Da hilft es vorerst auch nicht, einen jungen Mann in den eigenen Reihen zu haben, der in Fachkreisen als bestimmende Kraft von morgen gilt. Richard Freitag, 20, am Ende immerhin Tournee-Zehnter, ist kein Talent wie jedes andere, das zeigt nicht nur sein Weltcupsieg von Harrachov Mitte Dezember.

Aber seine erste Tournee als Geheimfavorit hat ihn überfordert. Die Blicke. Die Erwartungen. Die widrigen Bedingungen mit wechselnden Winden, Anlauflängen und Spurbedingungen, bei denen sich auch gute Leistungen nicht immer in guten Ergebnissen ausdrücken: Da hat er weniger feiern als Erfahrungen sammeln dürfen. "Das ist für ihn ein Crashkurs gewesen, im Sinne von: Was kann alles passieren? Was muss ich alles lernen, wenn ich mal wirklich den ganz großen Erfolg landen will?", sagt Schuster.

Freitag selbst fand das nur bedingt lustig. "Es nervt", hat er in Garmisch-Partenkirchen zu seinem Rückfall ins Mittelfeld gesagt. Er ist ehrgeizig. Abseits des Rampenlichts kann ihm schon mal die Laune entgleisen, wenn ihm etwas nicht gelungen ist, und auch das hat für ihn zur Lernerfahrung bei dieser Tournee gehört: ein besserer Umgang mit der eigenen Unzufriedenheit.

Wut ist Energie, die kann man gut zum Kontern verwenden - wenn man es kann. "Er kann das noch nicht in Leistung ummünzen, weil er dann intolerant wird mit sich selber", sagt Schuster, "diese Energie umzulenken ist eine Fähigkeit, die wir noch verfeinern müssen."

Diese wilde Tournee hat für die deutschen Springer einen Wert, der noch keinen zählbaren Vorteil bringt. Die Situationen, die sie hervorgebracht hat, kann man nicht trainieren, die muss man erleben, um zu lernen, mit ihnen umzugehen. Auch das gehört zur Natur des Skispringens: Nicht alles, was auf den ersten Blick nicht gut aussieht, muss unbedingt schlecht gewesen sein.

© SZ vom 07.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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