Deutsche Langlauf-Staffel:Ende der Dürrephase

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Im Glück vereint: Die deutsche Langlaufstaffel mit Denise Herrmann, Claudia Nystad, Stefanie Boehler und Nicole Fessel (von links) (Foto: REUTERS)

Ein paar Augenblicke sieht es so aus, als könnten die deutschen Langläuferinnen den ganz großen Coup landen. Am Ende bekommen sie Bronze und feiern so etwas wie ein Erweckungserlebnis. Vor allem eine Läuferin kann ihr Glück kaum fassen.

Von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Denise Herrmann wollte weg, sie legte ein paar Meter zwischen sich und die Finnin Krista Lahteenmaki. Es war nicht mehr weit, bis zur letzten Abfahrt ins Stadion beim olympischen Staffelwettkampf der Langläuferinnen im schwierigen, sonnendurchfluteten Loipen-Gelände von Krasnaja Poljana. Denise Herrmann führte, und für ein paar Augenblicke sah es so aus, als könnte sie für die deutsche Mannschaft den ganz großen Coup landen.

War das denn die Möglichkeit? Das erste Olympia-Gold seit 2002 für die deutschen Langläuferinnen, obwohl diese gar nicht zum Favoritenkreis gehörten? Aber von hinten kam die schwedische Schlussläuferin Charlotte Kalle unaufhaltsam näher, und Lahteenmaki ließ sich nicht abschütteln. Wenig später bogen die drei Frauen gemeinsam auf die Zielgerade, und dieses bewegte Rennen über 4x5 Kilometer löste sich auf in einem atemlosen Sprint. Charlotte Kalla schoss an der Innenbahn vorbei, Krista Lahteenmaki konterte den Angriff von Denise Herrmann. Schweden gewann vor Finnland. Deutschland bekam Bronze und feierte so etwas wie ein Erweckungserlebnis.

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Zum vierten Mal gewinnen die deutschen Langlauf-Frauen in der Staffel eine olympische Medaille. Erst im Zielsprint muss sich Schlussläuferin Denise Herrmann den Läuferinnen aus Schweden und Finnland geschlagen geben.

Nicole Fessel, Stefanie Böhler, Claudia Nystad und Denise Herrmann haben an diesem Frühlingssamstag bei den Winterspielen einen ziemlichen Vogel abgeschossen mit ihrem dritten Platz, den sie mit nur neun Zehntelsekunden Rückstand auf Schweden und nur fünf auf Finnland belegten. Denn zu erwarten war das ja nicht unbedingt gewesen, dass ausgerechnet sie die Dürrephase der deutschen Langläufer beendeten, erst recht nicht, wenn man die Aufstellung bedachte: Statt Katrin Zeller aus Oberstdorf, einer verlässlichen Stammkraft der vergangenen Jahre, setzte Chef-Bundestrainer Frank Ullrich die zweimalige-Olympiasiegerin Claudia Nystad, 36, auf Position drei, die nach einem ersten Karriere-Ende 2010 ihre erste Comeback-Saison erlebt.

Und an Position zwei lief Stefanie Böhler, die vor knapp zwei Jahren die Diagnose Schilddrüsenkrebs kurzzeitig aus der leistungssportlichen Bahn geworfen hatte, die in den Jahren davor auch nicht gerade zu den ersten Kräften im Team gehörte und auch in diese Saison mit Schwierigkeiten gestartet war. Aber die Mannschaft funktionierte gut. Präzise setzte sie die Anweisung von Ulrich um, die einfach klang, aber im atemlosen Wettbewerb auf stumpfem Schnee unter brennender Sonne sehr, sehr schwierig fallen kann: "Dranbleiben."

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Nicole Fessel bewährte sich als Startläuferin, die den Kontakt zur Spitzengruppe hielt und als Sechste übergab. Stefanie Böhler war in der Spitzengruppe dabei, als das Feld sich vorentscheidend teilte. Therese Johaug, die Weltmeisterin und Olympia-Dritte über zehn Kilometer, hatte Schwierigkeiten, Stefanie Böhler aber hielt Schritt mit der Schwedin Emma Wiken und der Finnin Aino-Kaisa Saarinen. Schon da waren die drei Mannschaften zusammen, die später die Medaillen unter sich ausmachten. Claudia Nystad verlor etwas Zeit auf Finnlands Kerttu Niskanen, aber legte viel Raum zwischen sich und Schwedens Nummer drei, Anna Haag. Denise Herrmann erledigte den Rest und gedachte anschließend der zornigen, weil ausgebooteten Kollegin Zeller: "Katrin war von Anfang an dabei. Es ist eine Teamleistung, da gehören alle dazu."

Einzelschicksale zählen nicht, hoch leben trotzdem die Matchwinner, und das war eindeutig Stefanie Böhler, die schon im Einzel-Rennen über zehn Kilometer mit Platz sechs sich selbst und die Welt überrascht hatte. Genauso wie Claudia Nystad hatte Stefanie Böhler sich erst im letzten Moment, beim Weltcup in Szklarska Poreba/Polen, überhaupt für die Spiele qualifiziert. Jetzt war sie plötzlich die entscheidende Frau im Team. "Die Steffi ist auf einem Flow", sagte Frank Ullrich, "die ist sowas von gelöst." Steffi Böhler selbst schwärmte von "meinen schönsten Spielen" und fühlte sich direkt nach ihrer gelungenen Runde in einen ziemlich guten Film versetzt. "Ich kann es nicht glauben. Ich hätte wahrscheinlich noch schneller laufen können, aber ich hatte nicht den Mut. Ich habe keine Ahnung, was gerade passiert."

Wachserstab liegt im Nassschnee richtig

Ähnlich verwirrend ist im Langläuferinnen-Zirkus gerade die plötzliche Schwäche der Weltmeisterinnen aus Norwegen, die am Ende auf Rang fünf strandeten. Aber die Begeisterung beim Deutschen Skiverband über den Bronze-Gewinn war natürlich trotzdem einhellig, nachdem die Langlauf-Abteilung bei der WM im vergangenen Jahr noch komplett ohne Medaille geblieben war und es heftige Kritik an den deutschen Wachsleuten gegeben hatte.

2014 ist vieles anders, gerade der neuformierte Wachserstab um Cheftechniker René Sommerfeldt liegt im kaukasischen Nassschnee stetig richtig. Frank Ullrich entbot sein "Riesenkompliment" deshalb nicht nur den Athletinnen, sondern auch jenen Männern, die sie mit so gut gleitenden Ski ausgestattet hatten. Auch für ihn, für Ullrich, war dieser Erfolg etwas besonderes. Früher war er der Erfolgstrainer der DSV-Biathleten, jetzt verfolgt er in der zweiten Saison das zähe Geschäft mit dem Langlauf-Team und musste bis zu diesem warmen Wintersamstag bei Olympia auf die erste große Medaille warten.

"Das ist für mich was Schönes, was Neues", sagte Ullrich, "damit ist erst mal ein Bann gebrochen." Aber er möchte, dass es in diesem Stile weitergeht. Nachlegen ist angesagt. Jens Filbrich, Axel Teichmann, Tobias Angerer und Hannes Dotzler sollen es an diesem Sonntag über 4x10 Kilometer mindestens genauso gut machen wie die Frauen.

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