Chicago Cubs:Triumph für alle notorischen Verlierer

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Die Chicago Cubs haben ihre Anhängerschaft nicht durch Erfolg, sondern durch Misserfolg gemehrt. Das macht ihre Geschichte umso schöner.

Kommentar von Johannes Knuth

Das vielleicht schönste Bild dieser bildergewittrigen Nacht von Cleveland zeigte zwei Männer in einer Umkleide, Arm in Arm, die Hemden getränkt von Champagner und Novemberregen. Der eine war Schauspieler Bill Murray, Edelfan der Chicago Cubs, der im Auftrag des landesweit übertragenden TV-Senders den anderen interviewte, Theo Epstein, Manager und Architekt des unwirklichen Erfolgs. "Möchtest du noch wen grüßen?", lallte Murray. Klar, lallte Epstein. "Ich möchte mich bei allen bedanken, die jemals die Cubs unterstützt haben. Ihr seid heute alle Meister." Dann stießen beide an, Flasche an Flasche, deren Inhalte längst konsumiert waren.

Hätte jemand vor dieser Saison die Art ersonnen, mit der die Cubs am Mittwoch ihre 108 Jahre währende Titelabstinenz gegen die Cleveland Indians beendeten - man hätte ihn freundlich, aber bestimmt in eine ärztliche Einrichtung überwiesen. Andererseits: Hatte die "letzte große Geschichte des amerikanischen Sports" ( Sports Illustrated) nicht genau dieses Ende verdient? Ein Spiel, das vor Dramatik dampfte, das sich drehte und wendete, ein Spiel voller Episoden, in denen dieser in Statistiken und Disziplin gekleidete (und oft als langweilig verschriene) Baseballsport immer wieder in die Irrationalität glitt?

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Simple, kraftvolle Botschaft des Miteinanders

Es war jedenfalls passend, dass Epstein den Gewinn später dem Kollektiv widmete. Dieser Titel gehörte wirklich allen, die im vergangenen Jahrhundert in die Umlaufbahn dieser notorischen Verlierer gravitiert waren. Die Cubs hatten ihre Anhängerschaft ja nicht durch den Erfolg, sondern durch den Misserfolg gemehrt; die oft entrückten Berufssportler waren in ihren vergeblichen Mühen nahe an den Alltag vieler Anhänger gerückt. Und so war der Mittwoch auch eine Familienzusammenführung. Mit Prominenten wie Murray oder einer namenlosen, 80 Jahre alten Cubs-Anhängerin, die Reportern nach dem Spiel erzählte, dass sie mit ihrer Mutter für das Finale nach Cleveland gereist war. Gut, ihre Mutter habe es persönlich leider nicht mehr ganz geschafft. Aber sie trage gerade jenes T-Shirt, in dem die Mutter die Cubs stets angefeuert hatte.

Die Cubs trugen diese DNA ihrer Anhänger in sich wie wohl kaum eine Meistermannschaft zuvor. Es war eine Auswahl, in der ein 39 Jahre alter Recke (David Ross) im letzten Spiel seines Sportlerlebens mit einem Homerun die Weichen stellte und ein 25 Jahre alter Neuling (Carl Edwards Jr.) den Sieg sicherte. In der jahrelang gepflegte Talente (Kris Bryant) neben Überläufern aus Kuba (Aroldis Chapman) ihren Platz haben. In der oft nicht Leistungsträger, sondern Ersatzspieler die Partien auf die Seite der Cubs zerrten.

Die Cubs erinnerten am Mittwochabend an die simple, kraftvolle Botschaft des Miteinanders. Und das war vielleicht die schönste Nachricht seit Langem aus einem Land, in dem gerade ein Präsidentschaftskandidat mit seinem Egoismus prahlt und im Falle seiner Wahl erst mal eine Mauer bauen will.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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