Champions League: Mailand - München:Aus der Mitte des Nichts

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Ein phantastischer Torhüter und ein Treffer in letzter Minute: Das 1:0 bei Inter Mailand beschert dem FC Bayern im Achtelfinale der Champions League eine brillante Ausgangslage.

Plötzlich, in den letzten zehn Minuten, war Inter Mailand drückend überlegen. Das war erstaunlich, weil zuvor fast nur der FC Bayern gespielt hatte in diesem Achtelfinal-Hinspiel der Champions League. Nun aber sah es nicht gut aus für die Münchner, Inter reihte Chance an Chance, bis in der letzten Minute aus der Mitte des Nichts ein Schuss entsprang, den Mailands Schlussmann Julio Cesar abprallen ließ.

Ein Spiel, das 4:4 hätte ausgehen können, endete schließlich 0:1: Die Münchner Spieler nach dem Siegtreffer durch Mario Gomez. (Foto: dapd)

Mario Gomez materialisierte sich und schob den Ball zum 1:0 für die Münchner ins Netz. Es war ein durchaus verdienter und am Ende doch überraschender Sieg. "Ich bin sehr froh, dass ich das Tor gemacht habe. Ich wusste, dass ich noch eine Chance bekommen würde, und wenn es in der letzten Minute ist", sagte Gomez und führte aus: "Wir haben eine gute Defensivleistung gebracht, aber noch ein schwieriges Rückspiel vor uns."

Der stets erfreulich erstaunliche Bayern-Trainer Louis van Gaal war dennoch nicht ganz zufrieden. Er zögerte, als er gefragt wurde, was er von der Partie halte, er gab ein langgezogenes "Jaaaa" von sich, als wollte er durchs Dehnen des Wortes ein wenig Zeit gewinnen, schließlich aber rückte er mit der Sprache heraus: "Ich hätte erwartet, dass wir dieses Tor früher machen könnten, nicht erst in der letzten Minute."

Diese zunächst etwas krude anmutende Bemerkung ist insofern verständlich, als die Münchner die Begegnung bestimmten. Allerdings hätten sie sich trotz ihrer Überlegenheit auch über einen Rückstand nicht beklagen können, denn auch Inter hatte Möglichkeiten. "Das Spiel hätte auch 4:4 ausgehen können", sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, "dass wir heute als Sieger vom Platz gehen, ist auch etwas glücklich."

Mit dem knappen Auswärtssieg haben die Bayern sich eine exzellente Ausgangsposition fürs Rückspiel erarbeitet; Teil eins der Revanche für die Niederlage im Champions-League-Endspiel des vergangenen Jahres ist also gelungen.

In diesem letztjährigen Finale hatte Franck Ribéry den Münchnern wegen einer Sperre gefehlt. Die Mailänder sahen sich damals nur einem der beiden gefürchteten Außenbahnspieler gegenüber, und Arjen Robben hatten sie seinerzeit gut im Griff. Diesmal mussten sie auf beide Flügel achten, und es zeigte Auswirkungen, dass die Mailänder mehr Arbeit hatten.

Zwar kam von den Außenbahnen im Vergleich zur Bundesliga wenig, dafür aber ergab sich Raum in der Mitte. War Inter unter dem vormaligen Trainer José Mourinho als düsteres Abwehrbollwerk gefürchtet, ist es unter dem neuen Coach Leonardo eine fast freundliche wirkende Combo, die sich dem Angriff verpflichtet fühlt. Der FC Bayern hatte mehr Platz, als er sich hätte erträumen können. Es ist wohl weniger der Höflichkeit der Münchner Spieler geschuldet, dass sie ihren Konkurrenten im Gegenzug ebenso großzügig Raum zum Spielen anboten - das lag daran, dass die Abwehr eine Ordnung sucht.

Trainer Louis van Gaal hatte zunächst Danijel Pranjic im defensiven Mittelfeld und Luiz Gustavo als Linksverteidiger aufgeboten. Bereits nach kürzester Zeit tauschten die beiden jedoch, weil Gustavo die Kreise von Wesley Sneijder stören sollte. Pranjic wiederum musste nach 38 Minuten das Feld wegen einer Oberschenkelverletzung verlassen. Breno kam in die Partie, er rückte in die Innenverteidigung neben Anatoli Timoschtschuk, Holger Badstuber rückte aus dem Zentrum nach links. Kein Wunder, dass diese Formation nicht eingespielt wirkte.

Es ergab sich aus der Mailänder Offenheit und der Münchner Ordnungssuche nicht, wie man vielleicht hätte erwarten können, ein von Fehlern geprägtes Gekicke, sondern ein höchst unterhaltsames Fußballspiel, mit hohem Tempo geführt, reich an Torszenen. Was Großchancen anging, gaben sich die Teams dabei wenig.

Für die Bayern hatte zunächst Gustavo eine exzellente Möglichkeit, sein Schuss aus rund 26 Metern Entfernung flog knapp am linken Pfosten vorbei (20. Minute). Etwas präziser, aber nicht präzise genug, arbeitete Ribéry wenig später, als er den Ball per Kopf an die Latte beförderte (24.). Und gänzlich unpräzise jagte Mario Gomez bald darauf den Ball aus sechs Metern Entfernung in den Nachthimmel (28.).

Auch die Mailänder hatten ihre Chancen, nach einer guten halben Stunde zeigte Torwart Thomas Kraft einen tollen Reflex gegen Samuel Eto'os Schuss, zum Abschluss der ersten Halbzeit vergaben Sneijder und Maicon beste Gelegenheiten.

In der zweiten Halbzeit lief es munter so weiter. Thomas Müller kam frei zum Kopfball, nachdem Arjen Robben präzise zwischen zwei Mailänder geflankt hatte, doch er war wohl zu überrascht, an den Ball zu kommen. Er wischte mit seinem Haaren nur kurz über die Kugel, was dieser nicht die gewünschte Richtungsänderung gab (47. Minute). Also machte es Robben beim nächsten Mal selbst, er dribbelte sich durch den Mailänder Strafraum und schoss mit dem rechten Fuß an den Pfosten (53.). Die 80.000 Zuschauer im Guiseppe-Meazza-Stadion raunten.

Wie in der ersten Hälfte kam nun auch Mailand wieder zu Chancen, Esteban Cambiasso tat es Gomez gleich und jagte den Ball freistehend in Richtung des Firmaments (57.), Houssine Kharja scheiterte am glänzend aufgelegten Kraft (80.), ebenso erging es Thiago Motta (85.). Endlose Ballstafetten hatten die Bayern in der zweiten Halbzeit gezeigt, doch am Ende der Partie gerieten sie unter Druck.

Fast wirkte es, als hätten die Italiener bloß gewartet, bis der Besuch aus Deutschland sich müde gespielt hatte. Im Grunde keine schlechte Taktik, sie schien ja sogar aufzugehen: Inter spielte plötzlich groß auf, bis mitten in die Wirbel hinein Mario Gomez das 0:1 erzielte. Den Schuss aus der Mitte des Nichts hatte zuvor der unermüdliche Robben abgegeben. "Ich dachte mir, dass er das Spiel entscheiden will", erzählte Gomez, "also habe ich gelauert und auf den Abpraller gehofft." Der Abpraller kam und bescherte den Bayern einen Abend des Glücks.

© SZ vom 24.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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