Champions League:Leipzig braucht neue Gnabrys

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Ausnahmeerscheinung: Timo Werner (links) soll nicht das einzige deutsche Spitzentalent bleiben, das künftig für Leipzig spielt. (Foto: Jan Woitas/dpa)
  • Im letzten Gruppenspiel der Champions League gegen Besiktas Istanbul hat RB Leipzig noch die Chance auf das Weiterkommen.
  • Für den Bundesligisten wäre das Achtelfinale auch wichtig, um für die größten Talente attraktiv zu bleiben.
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Von Christof Kneer, Leipzig/München

Dieses Gegentor hatte einen besonders miesen Charakter. Besonders nett sind Gegentore ja nie, aber dieses war ein wirklich hundsgemeines Exemplar. Nicht nur, dass Serge Gnabrys 3:0 das Spiel endgültig für Hoffenheim und gegen Leipzig entschied. Nicht nur, dass der Ball aus 40 Metern angeflogen kam und die Leipziger Abwehr samt Torwart Gulacsi sauber verhöhnte. Quälend war vor allem der Umstand, dass es sich bei dem kecken Schützen überhaupt um Serge Gnabry handelte - um einen Fußballer, der ganz ausgezeichnet ins Leipziger Beuteschema passen würde: sehr jung, sehr ausbaufähig, sehr tauglich für den inzwischen höher- und weiterentwickelten Leipziger Auf-sie-mit-Gebrüll-Fußball.

Aber nun: Er gehört halt dem FC Bayern München. Und er spielt im Moment, leihweise, für die TSG Hoffenheim, mit der er die Leipziger am Wochenende ungerührt 4:0 besiegte.

Es geht um die "blue chips"

Es werden im Off auch Namen wie Gnabry mitklingen, wenn RB Leipzig an diesem Mittwochabend (20.45 Uhr/ZDF) Besiktas Istanbul zum letzten Vorrundenspiel in der Champions League empfängt. Vordergründig geht es in diesem Spiel darum, ob die Leipziger den Tabellenführer Besiktas bezwingen können und ob ihnen der Tabellenletzte aus Monaco im Parallelspiel den Gefallen tut, beim FC Porto nicht zu verlieren. In diesem, aber auch nur in diesem Fall würde sich der Champions-League-Neuankömmling aus Sachsen als Gruppenzweiter fürs Achtelfinale qualifizieren; der FC Porto hat den direkten Vergleich mit Leipzig gewonnen und läge deshalb bei Punktgleichheit vorne.

Im Hintergrund geht es an diesem Abend aber um mehr als nur um ein Achtelfinale: Es geht darum, neue Gnabrys zu überzeugen. Und zwar davon, dass man in Leipzig vielleicht nicht beim größten Traditionsverein der Welt spielt und dass man ebenso vielleicht auch mal schlechte Wortspiele mit "Dose" ertragen muss - aber eben auf einer Bühne, die sich jeder junge Profi wünscht: in der Champions League, auf höchstem Niveau, rundum ausgeleuchtet, und vor allem regelmäßig.

Es gehört zur kurzen Geschichte dieses Klubs, dass er sich bisher mehr um die weichen Faktoren sorgen musste als um die knallharte Währung, mit der man den ganzen Spaß am Ende bezahlt. Die Champions League verbindet Hartes und Weiches auf sehr praktische Art, und die RB-Verantwortlichen wissen auch genau, dass dieser Wettbewerb für die Politik des Sportchefs Ralf Rangnick fast schon unverzichtbar ist.

"Blue chips" nennt Rangnick jene 17- oder 18-Jährigen, die er in Südamerika, Afrika, Frankreich oder Salzburg entdeckt, und denen er dann aber samt ihren Beraterrudeln erklären muss, warum Leipzig der beste Ort zum Fußballspielen ist. Und nicht London, Manchester oder Paris. Und übrigens auch nicht: Dortmund und Hoffenheim.

RB braucht die Champions League, um sexy zu sein. Trotz eines erwiesenermaßen erdverbundenen Fußballs kämpft die Elf ja weiter gegen das Image an, eine Didi-Mateschitz-Betriebsmannschaft zu sein, was sich zu Rangnicks erheblichem Missvergnügen zuletzt vor allem auf dem Heimatmarkt gezeigt hat. Die Leipziger bewerben sich ja nicht nur um internationale Großtalente wie den Stürmer Jean-Kévin Augustin, 20, der im Sommer aus Paris kam; sie würden schon auch gern ein paar jener Rosinen picken, die inzwischen auch im eigenen Land in großem Stil vorrätig sind. Aber der Angreifer Timo Werner ist das einzige deutsche Spitzentalent, das sich RB bisher angeschlossen hat; Spieler wie Marcel Halstenberg, Lukas Klostermann oder Willi Orban gehörten zum Zeitpunkt ihres Wechsels nach Leipzig eher zur zweiten, dritten oder vierten deutschen Talentgarnitur.

Zur Untermalung dieser Erkenntnis ein paar Beispiele aus dem Sommer: Das Toptalent Niklas Süle wechselte zum FC Bayern. Das Toptalent Maximilian Philipp ging zu Borussia Dortmund. Das Toptalent Nadiem Amiri blieb trotz angeblichem Leipziger Interesse in Hoffenheim. Und das Toptalent Gnabry: Klar, er hätte auch nach Leipzig gekonnt, aber er wollte nicht.

Unverhoffte Chance für Leipzig

Man muss diese Namen nur mal schnell überfliegen, um zu verstehen, welches Potenzial für die Leipziger in einem Champions-League-Achtelfinale stecken würde. Die Dortmunder, jahrelang wie selbstverständlich die Nummer zwei hinter den Bayern, müssen die Champions League diesmal schon nach der Vorrunde verlassen, und die Hoffenheimer, dank des Trainers Julian Nagelsmann zuletzt im Zentrum eines gewissen Branchenhypes, haben nicht einmal die Vorrunde dieser drolligen Europa League überstanden.

Für die Leipziger bedeutet das eine unverhoffte Chance: Sie könnten jetzt auch mal die Guten sein - bzw. die Besten all derer, die nicht gerade der FC Bayern sind. Und dann müssen es die Leipziger vielleicht auch nicht mehr erleben, dass Spieler wie Gnabry aus 40 Metern Tore gegen sie schießen. Gnabry hat übrigens zweimal getroffen beim 4:0 am Wochenende. Ein weiteres Tor erzielte Nadiem Amiri.

© SZ vom 06.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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