Bundestrainer Löw nach der EM:"Jogi atmet und lebt!"

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Nur ein ganz kurzes Statement gab es von Joachim Löw nach der Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien, und dann war er weg. War er beleidigt? Enttäuscht? Erschöpft? Am Wochenende kehrt er heim - "entspannt", wie Vertraute betonen.

Philipp Selldorf

Auch beim Deutschen Fußball-Bund war man sich bis Mitte der vergangenen Woche nicht ganz sicher, ob Joachim Löw tatsächlich noch die Nationalmannschaft betreut. Einige hielten es durchaus für denkbar, dass er sich in eine Einsiedelei an unbekanntem Ort begeben hätte und nie mehr wiederkehren würde.

EM-Halbfinale gegen Italien, Joachim Löw hadert: Das sind die letzten Bilder, die das Land von ihm gesehen hat. Danach verschwand der Bundestrainer. (Foto: dpa)

Selbst enge Mitarbeiter und Bekannte des Bundestrainers hatten nichts mehr von ihm gehört, seit er nach der Heimkehr von der Europameisterschaft am Frankfurter Flughafen zum letzten Mal ein öffentliches Wort gesprochen hatte. Dabei übernahm er "selbstverständlich die Verantwortung" für die Niederlage seiner Mannschaft gegen Italien, wie er in Offiziershaltung verkündete. Danach vergingen Wochen der Abwesenheit von der öffentlichen Bühne. Kein Ton, kein Bild, kein Bundestrainer.

Zwei avisierte Zeitungsinterviews ließ er kurzerhand stornieren, selbst ein geplantes Gespräch mit dfb.de, dem amtlichen Dienst seines Arbeitgebers, sagte er ab.

Am Mittwoch nun wurde Löw mit einem Kommentar zur Einsetzung des neuen DFB-Sportdirektors Robin Dutt zitiert. Aber war es wirklich Joachim Löw, der da Lob und Zustimmung verbreitete? Oder war es der Versuch des Verbandes, das Publikum über das Verschwinden des obersten deutschen Fußball-Lehrers hinwegzutäuschen? Womöglich, um Unruhe und Chaos im Land zu verhindern?

Nein, versichern Eingeweihte, die es schafften, Kontakt zum vermeintlich Verschollenen aufzunehmen: "Jogi atmet und lebt!" Andere behaupten sogar, es gehe ihm "sehr gut", und er habe sich in den knapp vier Wochen nach dem Spiel gegen Italien "entspannt".

Auch in der Frankfurter Fußballzentrale geht man davon aus, dass an diesem Wochenende der Urlaub der Nationalmannschafts-Führung endet. Für kommende Woche ist ein Treffen vorgesehen. Oliver Bierhoff hat sich erst in den USA erholt, anschließend in der Karibik; Hansi Flick kreuzte zwischen Ibiza und Formentera; Andreas Köpke war wie immer in Frankreich.

Löw? Weiß keiner. Verdachtsmomente weisen auf Sardinien hin, aber wenn er dort war, dann nicht an den gängigen Hot Spots, sonst hätten ihn die Paparazzi erwischt. Er hielt sich jedenfalls an einem Ort auf, an dem er mobil erreichbar und imstande war, das vom DFB veranlasste Telefongespräch mit Robin Dutt zu führen.

Auch Telefonkonferenzen mit Vertrauten zur Pflege der Amtsgeschäfte hat es gegeben. Bereits am 5. Juli, vier Tage nach dem EM-Finale, hatte er zudem mit dem DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach in Stuttgart eine erste EM-Nachlese gehalten.

Es heißt, dass Löw an dem Wochenende nach dem Italien-Spiel ziemlich niedergeschlagen war, sogar von Selbstzweifeln wird berichtet, und von der Einsicht, dass hier und da ein wenig Glauben in seine Trainerkunst verloren sei.

Aber es heißt auch, dass ihn die vereinte Kritik der Sportpresse und der Experten eher am Rande berührt hätte. Nicht die Wucht der Kritik an seiner Aufstellung und Strategie und seinem diskreten Coaching habe ihn betroffen gemacht, heißt es, sondern die Wiederkehr der alten Reflexe: voran der vom Boulevard erhobene Vorwurf an die Spieler, sie seien verwöhnte "Memmen", die einen charakterlosen Haufen bildeten, woraus die Debatte über das Singen der Nationalhymne abzweigte. Dass Spielern wie Khedira, Podolski oder Özil von Politikern und Kommentatoren plötzlich die Identifizierung mit Deutschland abgesprochen wurde, empfand Löw als Bigotterie.

Die Forderungen von Leuten, das Singen der Hymne zur Voraussetzung für die Aufstellung eines Nationalspielers zu erheben, werden im Führungsstab des Team als reaktionärer Auswuchs angesehen. "Diese Elf hat mehr für das Ansehen Deutschlands und den inneren Zusammenhalt des Landes getan als jede andere", heißt es, und es wird daran erinnert, wie zum Beispiel Özil für das von der Bundesregierung verbreitete Oben-ohne-Foto mit Angela Merkel gefeiert wurde - wobei es natürlich Özil war, der im Herbst 2010 nach dem Spiel gegen die Türkei oben ohne in der Kabine stand. Niemand kritisierte damals, dass er beim Spiel gegen das Land seiner Eltern und Großeltern nicht mitgesungen hatte.

"Jogi Superstar" hatten die Medien Löw während der EM getauft, sein blauer Pullover war angeblich ein Objekt von kultischem Wert. Das war nach dem Spiel gegen Italien logischerweise etwas anders, interessant ist aber der Weg, den der kultische Pullover nahm.

Er tauchte ein paar Tage später auf einem Foto auf, plötzlich war er ganz profan geworden. Sport Bild hatte den blauen Pullover im Papierkorb von Löws Zimmer im Warschauer Mannschaftshotel entdeckt und als sprechendes Zeitzeugnis veröffentlicht. Es symbolisierte die restlose Enttäuschung nach dem Rauswurf.

Der Pullover war bis dahin ein Accessoire des Erfolgs, nun landete er zerknuddelt im Mülleimer. Daraus konnte man Löws Verachtung für die gescheiterte Mission lesen, aber auch - wenn man so wollte - die arrogante Achtlosigkeit gegenüber einem teuren Gegenstand.

Tatsächlich, so berichten Begleiter, war der Pullover in der Wäsche eingelaufen und passte selbst dem schmalen Bundestrainer nicht mehr. Und andere Begleiter heben hervor, dass dieses Foto auch für einen Tabubruch steht: Dass Reporter und Fotografen das Hotelzimmer des abgereisten Bundestrainers durchstöbern und angebliche Beweisstücke präsentieren, das ist bisher noch nie vorgekommen.

Beim Nationalteam weiß jeder, dass diese EM nachwirken wird. Sie strahlt in die nächste WM hinein. Die Frage ist, was daraus hervorgeht: Wird die Öffentlichkeit bescheidener an das Turnier herangehen? Oder wird man nur den Titelgewinn als akzeptable Entschädigung gelten lassen? Immerhin weiß man jetzt: Joachim Löw ist gewillt, den Auftrag anzunehmen.

Und spätestens am 13. August gibt es ein Wiedersehen mit dem Bundestrainer, dann versammelt er in Frankfurt seine Mannschaft für das Testspiel gegen Argentinien.

© SZ vom 28.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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