Bundesliga: Steile Thesen (5):Der Leitwolf stirbt aus

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Jahrelang gehörte der Leitwolf zum Inventar einer erfolgreichen Fußballmannschaft. Nun steckt er in einer Krise. Ein Pro und Contra in der Serie "Steile Thesen".

Der Leitwolf in der Krise: Torsten Frings in Bremen, Mark van Bommel in München, Fabian Ernst auf Schalke. Keiner war in der Hinrunde in der Lage, das Spiel zu prägen und den Unterschied zu machen. Stirbt der Leitwolf aus?

Torsten Frings als Leitwolf in Bremen: eine aussterbende Spezies? (Foto: Foto: dpa)

Das Pro

Von Jürgen Schmieder

Am ersten Spieltag werden sie wieder auf dem Platz stehen - jene Spieler, denen man so gerne Tiernamen gibt. Man nennt sie "Leitwölfe" und "Platzhirsche", Stefan Effenberg erhielt in dieser Eigenschaft gar ein eigenes Patentier, den "Tiger". Es sind die Spieler, von denen man sagt, sie könnten aufgrund ihrer Persönlichkeit und Erfahrung eine Mannschaft anführen, das Spiel prägen, den Erfolg quasi herbeigestikulieren.

Es gibt keine psychologische Studie, aber im Weltbild vieler Bundesligisten ist Persönlichkeit etwas, das ein Mensch frühestens vom 30. Lebensjahr an entwickelt. Erst dann scheint ein Sportler zum Leitwolf zu taugen. Und da macht es dann auch gar nichts, dass schon eine Pfote lahmt, das arme Tier an einer abgeschwächten Form von Tollwut leidet oder kaum noch mit der jungen Herde mithalten kann.

Der Schriftsteller Kurt Tucholsky sagte einmal zum Thema Erfahrung: "Man kann Dinge auch 30 Jahre lang falsch machen". Und er hat recht: Mark van Bommel war in der Zeit, als der FC Bayern in der Krise steckte, ein "aggressive leader" - so nannte ihn der damalige Trainer Ottmar Hitzfeld. Die schnelle und offensiv orientierte Spielweise von Jürgen Klinsmann ist zu schnell und offensiv orientiert für van Bommel - wie es übrigens auch schon beim FC Barcelona war. Der Holländer rettet seinen Status nur durch 1,3 gelbe Karten und 0,7 hinterhältige Aktionen pro Spiel. Wirklich helfen kann er dem FC Bayern nicht mehr, da wäre der jüngere Anatoli Timoschtschuk die bessere Alternative.

In Bremen müht sich Torsten Frings, seinen Status als Wortführer zu erhalten. Doch anstatt mit ruhigen Worten und Gelassenheit eine Mannschaft zu führen, die zuletzt eher durch Disziplinlosigkeit auffiel, ist Frings eines der jüngeren Beispiele für Ausraster. Im Freundschaftsspiel gegen Galatasaray Istanbul beleidigte er den Schiedsrichter und sah die rote Karte. Das Wort "Krise" kann mittlerweile als "Dauerzustand" umschrieben werden, was nicht zuletzt daran liegt, dass Frings' Körper der extrem kraftraubenden Spielweise der vergangenen Jahre Tribut zollen muss.

Auf Schalke soll der fast 30-jährige Fabian Ernst den Anführer geben. Die Zeitschrift Sport Bild betitelte die Schalker Mannschaft kürzlich als "Sauhaufen", Fabian Ernst führte den Verein in der Hinrunde auf einen enttäuschenden siebten Platz.

Andere Vereine hingegen, die auf die explizite Ernennung eines Mannschafts-Leitwolfes verzichten, haben in dieser Saison Erfolg. Bei der TSG Hoffenheim siegt das jugendliche Kollektiv ebenso wie bei Bayer 04 Leverkusen, wo der 26-jährige Simon Rolfes den ruhigen Kapitän gibt. Wortführer und Leitwolf in Hoffenheim ist, ja, wer ist das außer Trainer Rangnick eigentlich? Und in Berlin führte jahrelang Marcelinho ein Laissez-Faire-Regiment. Nun gibt es keinen Leitwolf, Spieler wie Andrej Voronin, Pal Dardai und Arne Friedrich teilen sich die Verantwortung.

Boris Becker hat kurz vor dem Ende seiner Karriere einmal gesagt: "Erfahrung nützt überhaupt nichts. Meine Erfahrung sagt mir heute, welchen Bällen ich nicht hinterherlaufen sollte. Früher bin ich hinterhergelaufen, habe zwei von zehn erwischt - und das waren die Ballwechsel, die ein Spiel gedreht haben. Erfahrung nützt nichts." Selten zuvor hatte dieser Ausspruch mehr Bedeutung als in dieser Bundesliga-Saison.

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Das Contra

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Der Leitwolf hat sich in Deutschland zu einer gefährdeten Spezies entwickelt. Was jahrzehntelang - von Beckenbauer über Breitner bis Effenberg - ein selbstverständlicher Bestandteil einer jeden erfolgreichen Mannschaft war, scheint nun überflüssig wie ein Kropf zu sein. Dass das so ist, hat zum einen mit jener Mannschaft zu tun, die im Moment in Deutschland jeden Fußballtrend vorgibt - der TSG Hoffenheim. Die verzichtet großzügig auf einen Leitwolf, predigt stattdessen lieber "flache Hierarchien" und setzt den eigenen Kapitän auf die Bank. Das Team harmoniert, spielt schön und erfolgreich.

Zum anderen liegt das aber auch am Auftreten des Vorzeige-Wolfes Michael Ballack - vor allem an dessen in der Sache nicht unberechtigten, aber in der Art missratenen Interviews über Joachim Löw und den folgenden Nachkarteleien. Doch gerade die vergangenen Spiele der Nationalelf bewiesen, wie dringend es eines starken Führungsspielers bedarf: Im leitwolflosen Spiel gegen Finnland mühte sich die Löw-Elf zu einem 3:3, beim 2:1 gegen Russland zeigte sie eines der besten Länderspiele der vergangenen Jahre - angeführt von Michael Ballack.

Ähnliches gilt in der Bundesliga: Als der FC Bayern zu Saisonbeginn schwächelte, brachten Ribérys Rückkehr und das Ende der Diskussionen um van Bommel die Wende. Nicht umsonst haben Borussia Mönchengladbach und Leverkusen in der Winterpause Tomas Galasek und Thomas Zdebel verpflichtet, sie wissen um die Qualitäten solcher Fußballertypen. Und selbst bei Werder Bremen wird die Abhängigkeit vom Leitwolf Frings deutlich: Kaum ist Frings mal verletzt oder in einer schwächeren Phase, geht es dem Verein schlecht. Jeder wäre in Bremen ersetzbar, Frings ist es offenbar nicht. Seine Formschwäche beweist geradezu seine Wichtigkeit.

Der Leitwolf muss selbstverständlich eine gewisse fußballerische Grundqualität haben, ansonsten bekommt er leicht Autoritätsprobleme. Aber er muss weder der schnellste noch der zweikampfstärkste noch der technisch versierteste Fußballer sein. Der Leitwolf muss vor allem eines tun: leitwolfen, das heißt die Mannschaft führen und Verantwortung übernehmen.

Er muss die Mannschaft aufrütteln, wenn sie in Rückstand gerät. Ein bisschen öffentlich stänkern, wenn sie schlecht gespielt hat. Im Training für Ordnung sorgen, wenn zwei Mitspieler aneinandergeraten. Und hart mit dem Manager feilschen, wenn es um die Prämien geht. Jeder, der in einem Team arbeitet, weiß: Solche Dinge kann nur eine begrenzte Zahl an Teammitgliedern tun, wenn das im Sinne der flachen Hierarchie alle tun, gibt es ein Durcheinander.

Der Leitwolf hat es in der heutigen Fußball-Zeit schwer. Und gegen die Skepsis helfen wohl nur Erfolge. Aber wenn dann im Mai 2009 Mönchengladbach mit Galasek noch den Klassenerhalt schafft, Bayern mit van Bommel deutscher Meister wird, und Liverpool mit Gerrard oder Chelsea mit Lampard die Champions League gewinnen - vielleicht findet der Leitwolf dann wieder seinen Platz in der Fußballer-Herde.

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