Bundesliga: Fanproteste:Eine Frage der Haltung

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Die Stadion-Proteste in München und anderswo zeigen: Es hat sich etwas aufgeschaukelt.Ist das Verhalten der Fans folkloristisch, ist es rustikal? Oder ist es idiotisch und sogar gefährlich?

Holger Gertz

Als Tausende Bayern-Fans neulich im Pokal gegen Schalke diese Plakate hochhielten, auf denen "Koan Neuer" stand, sorgte das bei Menschen, die Bairisch nur schwer verstehen, für erhebliche Verwirrung. Auf den Ratgeberseiten im Internet fragten einige, was das eigentlich bedeuten soll, Koan Neuer. Jemand hatte, nach flüchtiger Betrachtung des Fernsehbildes, sogar "Konan Neuer" gelesen, was ihn zusätzlich irritierte, weil so ähnlich doch mal dieser langhaarige Barbar aus dem Spielfilm hieß. Der Schalker Manuel Neuer dagegen ist ausgesprochen kurzhaarig, er ist 25, sieht aber immer noch aus, als wäre er acht. Warum die Bayern-Fans so einen nicht in ihrem Tor wollen, erschloss sich denen, die im Internet darüber diskutierten, allerdings nicht.

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Man findet den Grund, grob umrissen, auf der Webseite der Schickeria München. Diese Ultra-Fans des FC Bayern wollen keinen Neuer, weil der selbst mal Herzens-Fan des FC Schalke war, bevor er sich zum besten deutschen Torwart fortbildete. Er stand mit den anderen von der "Buerschenschaft" in der Nordkurve, Neuer hat mal gesagt, dass er noch immer ein T-Shirt der Buerschenschaft unterm Trikot trägt, auf der Homepage der Schickeria ist das entsprechende Shirt zu sehen. Und auf einer Facebook-Seite teilen zahlreiche Menschen ihre Meinung zum Thema mit, sie tun das in der verschwitzten Art, die man aus Fan- foren kennt. Sie diskutieren nicht, sie schreien, natürlich in einem Deutsch, das auch bescheidensten Ansprüchen nicht standhält. "Neuer du arschloch", schreibt der User Isarboy, "bleib bei königsblau, dort gehörst du hin, in die hässligste farbe der welt."

Gerade wird viel über die Fußballfans geredet, nachdem erst Neuer und dann Bayern-Präsident Uli Hoeneß in der Münchner Arena auf Spruchbändern beleidigt worden sind. Es geht um die Frage, wem der Fußball gehört, dabei geht es erstmal um etwas Grundsätzlicheres: In der globalisierten, vernetzten Welt des Jahres 2011 verteidigen erwachsene Menschen die sogenannte Ehre ihres Vereins, ihres Viertels, ihrer Scholle mit einer Verbissenheit, als wären sie Recken im Mittelalter, die die Stadtmauer sichern müssen. Neuer ist für sie ein "Ruhrpott-Assi", die Lokal- rivalen von 1860 sind blaue Schweine, die man schlachten sollte. Und Hoeneß, der die Sechziger nicht bankrott gehen lassen kann, weil er als Geschäftsmann weiß, dass er dann gar nichts von dem Geld wiedersieht, das sie ihm schulden - der ist ein Lügner.

Die Frage kann auch sein: Ist das Verhalten der Fans folkloristisch, ist es rustikal? Oder ist es idiotisch und am Ende sehr gefährlich?

Was Hoeneß angeht, sind die Schickeria-Fans inzwischen ein bisschen zurückgerudert. Sie sind wie Politiker: Nach der groben Provokation nehmen sie ein wenig Druck vom Kessel, dafür behalten sie die Journalisten im Visier, von denen sie sich immer noch als dummbeutelige Krawallbrüder dargestellt fühlen. Dabei sind sie in Wahrheit - so beschreiben sie sich - antirassistisch, antisexistisch und nur daran interessiert, dass der Fußball nicht verkommt zu einem Beiprogramm für die Edelfans in der Loge, die nur wegen Schampus und Scampi ins Stadion gehen. Es geht also: um Klassenkampf.

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Das Irritierende an der Debatte ist, mit welch bitterem Ernst die Fans sie führen. Einige stellen die Aktionen im Stadion in eine Reihe mit den Castor-Protesten, mit Stuttgart 21, sogar mit Anti-Kriegsdemonstrationen. Der Fußball ist in der Vergangenheit gnadenlos überhöht worden, von denen, die die WM 2006 als Geburtsstunde eines heiteren, unverkrampft patriotischen Deutschlands interpretiert haben. Die ganz harten, echten Fans im Stadion, nicht nur die in München, verachten die Sommermärchenschwärmer, dabei überhöhen sie selbst den Fußball genauso. Wer sich verraten fühlt von einem Fußballer, der den Verein wechselt, hat noch nicht unter echtem Verrat im Leben gelitten.

Auf den Ratgeberseiten im Internet fragten einige, was das eigentlich bedeuten soll: Koan Neuer. (Foto: dpa)

Jederzeit würden die Revoluzzer in der Münchner Arena natürlich für sich in Anspruch nehmen, anders zu sein als die Fahnenschwenker in den anderen Stadien. Dabei inszenieren sie sich nur geschickter, auch, weil sie darauf vertrauen können, dass die Spiele ihres Vereins dauernd im Fernsehen gezeigt werden: Die Anti-Neuer-Parolen wirken ja doppelt, wenn die Bildführung im TV den Ausschnitt möglichst so wählt, dass es aussieht, als wäre das ganze Stadion gegen diesen Neuer - übrigens eine groteske Verzerrung der tatsächlichen Verhältnisse. Tatsächlich wollen die Münchner Revoluzzer, was die in Hamburg und Stuttgart und anderswo auch wollen: entscheiden, wohin ihr Verein treibt, denn schließlich ist der Verein ihr Leben. So eine Haltung verengt natürlich die Sicht.

In den Ostertagen wird beim Sender Phoenix eine Dokumentation wiederholt: "Als Arbeiterjungs Profifußballer wurden". Der Film beschreibt die Beziehung zwischen Fan und Verein in den Sechzigern, damals, als die Zuschauer noch so eng am Feld saßen, dass sie etwas zusammenrücken mussten, damit der Stürmer Platz genug hatte, um den Eckball treten zu können. Es gab - für beide Seiten - Wichtigeres als Fußball, das entspannte die Lage. Inzwischen ist zu viel Leidenschaft im Spiel, zu viel scheinbare Nähe. Etwas hat sich aufgeschaukelt.

In Dresden spielte in den Neunzigern der Stürmer Gütschow, ein raffinierter Mann mit turbulentem Privatleben. Die Fans rollten ein Spruchband aus: "Rauchen, Saufen, Klauen - Torsten Gütschow ist einer von uns." Selbstironie, eine Form von Nick-Hornby-haftem Witz. Längst vorbei: Jahre später richteten Dresdner Hooligans beim Training Schreckschusswaffen auf die Fußballer.

Aachens Jan Schlaudraff wurde, nachdem vor Jahren sein Wechsel zu den Bayern bekanntgegeben worden war, vom eigenen Anhang gemobbt, bis er die Brüche im Binnenverhältnis auf den Punkt brachte wie kein Spieler zuvor in der Liga: "Wenn ich von den eigenen Fans den Mittelfinger gezeigt bekomme und als Bayern-Schwein beschimpft werde, dann fasse ich mir an die Birne. Da muss ich mich wirklich fragen, ob die alle noch ganz dicht sind." Bei Werder Bremen haben sie in dieser Saison den eigenen Mittelfeldspieler Aaron Hunt als Sünder identifiziert, einen Mann mit legendär herunterhängenden Schultern. Schon beim Aufwärmen wurde er dauernd von den eigenen Leuten ausgepfiffen, und was über ihn im Netz stand, hätte die vorübergehende Schließung des entsprechenden Forums gerechtfertigt.

Die Vorgänge beim FC Bayern sind von einer speziellen Qualität, weil gegen einen Spieler - Neuer - gehetzt wird, der noch gar nicht da ist. Und gegen den Präsidenten Hoeneß, der wie kein anderer in der Liga versucht hat, den Fans gerecht zu werden, denen in der Hummer-Loge so sehr wie denen auf den Stehplätzen, die es ohne ihn gar nicht mehr gäbe. Hoeneß hat die Netze hinter den Toren in der Arena abnehmen lassen, die Fans wollten das so, es sollte sich so anfühlen wie damals, als sie noch ganz nah dran waren. Die Fans versprachen, keine Gegenstände zu werfen, natürlich flogen trotzdem welche. Hoeneß sorgt dafür, dass es die Autogrammkarten immer noch kostenlos gibt, der populärste Verein in der Liga ist der einzige, der seinen Fans dieses Geschenk macht. Die Fans danken es ihm, indem sie die Karten bei Ebay anbieten, 50 Euro kann man mit so einem Komplettsatz verdienen.

Es ist nur Fußball, aber es geht um grundsätzliche Fragen: Was ist wichtig? Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Und, wenn man kämpft: Wie geht man mit dem Gegner um? Einige der Fans haben die Fragen für sich längst beantwortet.

Und der Verein? Der FC Bayern wird sich bewähren müssen im Umgang mit seinem Publikum. Bei der Personalie Neuer geht es nicht mehr nur darum, ob er der Mannschaft helfen kann: Vieles, was jetzt passiert, ist eine Frage der Haltung. Etwas droht, aus dem Ruder zu laufen. Uli Hoeneß weiß das, sein Freund Jupp Heynckes, wie Hoeneß sozialisiert in der alten Bundesligazeit, weiß das auch. Vor vier Jahren ist er in Gladbach zurückgetreten, nachdem er Morddrohungen erhalten hatte. Fans hatten sie ihm geschickt.

© SZ vom 09.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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