Bundesliga:Der nächste sehr teure Abstiegskampf des HSV

Lesezeit: 3 min

  • Der HSV muss mal wieder um den Klassenerhalt kämpfen, vor dem Rückrundenstart liegt das Team auf dem vorletzten Tabellenplatz.
  • Über Trainer Markus Gisdol wird derzeit aber kaum diskutiert. Das Hauptproblem ist vermutlich eher die seit Jahren durchwachsene Einkaufspolitik.
  • Womöglich kommt nun Dominik Kaiser von RB Leipzig. Zudem überlegt Gisdol, den Torwart zu wechseln.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Heribert Bruchhagen beklagt sich manchmal, dass es auch ihm nicht gelungen ist, den Leuten das auszutreiben: "die ausgeprägte Lust, auf den HSV draufzuhauen." Der Vorstandsvorsitzende des Traditionsklubs erlebt gerade wieder, wie wenig die Branche seinem Verein nach fünf Abstiegskämpfen in den vergangenen fünf Jahren noch zutraut. Die Bundesliga-Profis haben bei der Umfrage des Fachmagazins Kicker zu Protokoll gegeben, dass sie den HSV mit großem Abstand als ersten Kandidaten für den Relegationsplatz am Ende der Saison sehen.

Schließlich gilt der Klub, seit er 2014 und 2015 mit mehr Glück als Können in den Entscheidungsspielen die Klasse hielt, bei Spöttern als "Relegationsmeister". 16 Prozent der Profis rechnen damit, dass der sechsmalige deutsche Meister direkt absteigt.

Seit Jahren ist die Einkaufspolitik durchwachsen

Ist der selbsternannte "Dino", der als Einziger in allen Bundesliga-Spielzeiten seit 1963 dabei war, diesmal wirklich dran? Immerhin steht er als Tabellensiebzehnter noch schlechter da als in den Jahren zuvor. Und das, obwohl Kritiker ihm kleine fußballerische Fortschritte attestierten. Über Trainer Markus Gisdol, den zwölften Chef in zehn Jahren, wird aber derzeit kaum diskutiert. Bruchhagen ist wild entschlossen, die brenzlige Situation mit Gisdol durchzustehen, obwohl der erhoffte Aufschwung ausgeblieben ist.

Das Hauptproblem ist vermutlich auch ein anderes: die seit Jahren durchwachsene Einkaufspolitik. Und das hat sich auch unter der seit einem Jahr verantwortlichen Führung mit Bruchhagen und Sportchef Jens Todt kaum geändert.

Die teuersten Stürmer Bobby Wood (sein Vertrag wurde angeblich unter Verdopplung seines Gehaltes auf drei Millionen Euro verlängert) und André Hahn (kam für rund sechs Millionen Euro aus Gladbach) waren die schlechtesten Angreifer, schossen zusammen ganze drei Tore. Mit 15 Treffern in 17 Spielen zählen die Hamburger wieder zu den offensivschwächsten Teams.

Im Sommer wurde Michael Gregoritsch an den FC Augsburg verscherbelt, den Gegner am Samstag. Dort ist er längst zur torgefährlichen Größe geworden. Der Spielerberater Volker Struth hat wohl doch mehr Einfluss auf die Klubpolitik, als die Verantwortlichen zugeben wollen. Er hat einen besonderen Draht zum HSV-Investor Klaus-Michael Kühne und bewirbt seine Klienten Wood und Hahn scheinbar bestens. Auch Dennis Diekmeier soll er quasi zum Spieler der Hinrunde hochgejubelt haben. Der HSV legte dem durchschnittlichen Verteidiger ein verbessertes Angebot zur Vertragsverlängerung vor.

Auch deshalb ist die wirtschaftliche Lage nicht rosiger geworden. 2017 kam noch einmal ein Minus von 13,4 Millionen Euro hinzu, sodass sich die Verbindlichkeiten jetzt auf mehr als 100 Millionen türmen. Wintereinkäufe wie im Vorjahr, als mit Kühnes finanzieller Hilfe Mergim Mavraj, Kyriakos Papadopoulos (beide trugen viel zum Klassenerhalt bei) und der brasilianische Olympiasieger Walace kamen, sind fast ausgeschlossen, obwohl Sportchef Todt weiter nach Verstärkungen sucht. "Das Niveau, das wir brauchen und bezahlen können, ist nicht auf dem Markt", sagt Bruchhagen. Kühne hat den Geldhahn vorerst weitgehend zugedreht. Zudem will der Klub nicht noch mehr von ihm abhängig werden als ohnehin schon.

Umso mehr setzt Gisdol auf den Teamgeist, den er im Trainingslager in Jerez de la Frontera gespürt habe. Nur einer störte die Harmonie, weil er drei Tage zu spät anreiste: der bislang enttäuschende Neun-Millionen-Mann Walace. Sein Wunsch, ins Heimatland zurückzukehren, war wohl der wesentliche Anlass zur eigenwilligen Urlaubsverlängerung. Denkbar, dass Atletico Mineiro ein Angebot abgibt, was ganz im Sinne des Teamgeist-Antreibers Gisdol wäre. Gegen Augsburg berief er Walace aus "körperlichen und mentalen Gründen" nicht in den Kader. Vielleicht könnte der ablösefreie Dominik Kaiser von RB Leipzig als Stabilisator kommen.

Zudem überlegt Gisdol, den in der Hinrunde nicht überzeugenden Torwart Christian Mathenia durch den U 21-Europameister Julian Pollersbeck zu ersetzen. "Eine Bauchentscheidung", sagt der Trainer, er will sie am Freitag bekannt geben. Gäbe es nicht den Abstiegskampf, würde der HSV wohl schon jetzt noch mehr auf eigene Talente setzen. In dieser Saison haben schon Gideon Jung, Jann-Fiete Arp, Tatsuya Ito, Vasilije Janjicic und Törles Knöll Bundesliga-Luft geschnuppert. Weitere Begabte spielen in der U 23 und U 19. Bruchhagen blickt nicht zuletzt deshalb etwas zuversichtlicher in die Zukunft.

Wobei: Ob der hochgelobte Jann-Fiete Arp, gerade 18 geworden, nächste Saison noch dabei ist? Der Stürmer muss sich nach "konstruktiven Gesprächen" (Bruchhagen) mit seinem Vater und seinem Berater Jürgen Milewski bald entscheiden, ob er das "gute Angebot" annimmt - trotz lukrativerer Interessenten. Zu seiner Rolle in der Rückrunde sagt der angehende Abiturient: "Ich kann den HSV nicht alleine retten." So sieht das auch Bruchhagen, der nur einen Wunsch hat: "Dass wir am Ende wenigstens vor Mainz und Freiburg liegen." So bescheiden ist der HSV geworden.

© SZ vom 12.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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