Bundesliga: Abstieg:Pfefferspray gegen die Wut

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Hilflose Bochumer steigen wieder mal ab, Trainer Wosz zeigt für die Randale der Fans gar Verständnis. Während Hannovers Spieler an ihren Torwart denken.

Philipp Kreutzer, Bochum

Der Mann heißt wie ein Scheuermittel, weil er beim Fußball so sehr kämpfte, dass er meistens völlig verdreckt in die Kabine kam. Michael "Ata" Lameck ist Rekordspieler des VfL Bochum, er stand zwischen 1972 und 1988 in 518 Erstliga-Partien für den Verein auf dem Platz. Nie stieg der mit bescheidenen Möglichkeiten ausgestattete VfL in dieser Zeit ab, und so verkörpert niemand den Klassenerhalt in der Fußball-Bundesliga besser als "Ata".

Mehrere Hundert Fußballfans haben sich am Samstag in Bochum heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert. (Foto: Foto: ddp)

Doch seit er aufgehört hat zu spielen, müssen die einst "unabsteigbaren" Bochumer immer mal wieder hinunter in die zweite Liga, nach der 0:3-Heimniederlage am Samstag gegen Hannover 96 schon zum sechsten Mal. Es ist aber nicht allein dieser Umstand, der Lameck nach eigener Aussage "sehr, sehr traurig" gemacht hat. "Drei Gegentore ohne Gegenwehr, das darf einfach nicht sein", klagte der Abstiegskampf-Experte, "da war zu wenig Bereitschaft bei unserer Mannschaft."

"Ata" hatte natürlich Recht - wenn einer weiß, wie man drinbleibt, dann er. Bochum präsentierte sich verkrampft und konfus, der Druck schien zu groß für diese Mannschaft. Als Mergim Mavraj in der 60. Minute der erste Schuss auf das Tor gelang, war das Spiel längst entschieden. Die aggressiver und konzentrierter auftretenden Hannoveraner hatten sich nach Treffern von Arnold Bruggink (9. Minute), Mike Hanke (23.) und Sergio Pinto (45.) bereits zur Pause in eine weitere Bundesliga-Saison gerettet.

Gegensätzlich fielen nicht nur die Darbietungen, sondern auch die anschließenden Emotionen aus. Den meisten der wie "Ata" tief enttäuschten Bochumer Zuschauern standen Tränen in den Augen, einigen aber fiel in ihrer Wut nichts Besseres ein, als Rauchbomben anzuzünden und Trikots zu verbrennen.

Manche kletterten sogar über die Zäune und liefen auf das Feld, ein Mann stieß Mavraj, ehe der von den Abwehrkollegen Marcel Maltritz und Anthar Yahia geschützt werden konnte. Zuvor hatten die Randalierer einen Ordner mit einem Plastikstuhl verletzt. Die Randalierer schleuderten Steine, Stühle, Toilettendeckel und andere Gegenstände. Insgesamt wurden nach Polizei-Angaben 66 Personen verletzt. Die Polizei setzte Pfefferspray ein, um die Ausschreitungen in den Griff zu bekommen. Außerhalb des Stadions versuchten etwa 200 Personen, im Bereich der Geschäftsstelle hinter der Haupttribüne eine Polizeikette zu durchbrechen. Auch hier brachten die Ordnungshüter die Situation unter Einsatz von Pfefferspray schnell unter Kontrolle.

Nur 100 Meter entfernt feierten und tanzten Hannovers Spieler mit rund 10.000 mitgereisten Fans. "Nie mehr 2. Liga", lautete ihr Lieblingslied, sie intonierten auch "Robert Enke, du bist der beste Mann!" Zur Erinnerung an den Torwart, der im November Selbstmord begangen hatte, rollte die Mannschaft zudem ein Transparent mit der Aufschrift "Robert R.I.P" aus. Nach Spielschluss war Florian Fromlowitz, Enkes Nachfolger im Tor der 96er, weinend auf die Knie gesunken. "Das Erste, woran viele von uns nach dem Abpfiff gedacht haben, war Robert", berichtete Torschütze Bruggink später.

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"Wir haben alles rausgelassen an Freude mit ihm, in Gedenken an ihn", beschrieb Mirko Slomka die emotionalen Momente. Er wurde von den 96-Fans mit den Worten "Wir wolln den Trainer sehn!" allein nach vorn gebeten, und er kam dieser Aufforderung gern nach. Slomka hat die Huldigungen sehr genossen, was nach seinem schwierigen Start in Hannover verständlich ist. "Es ist nicht einfach gewesen, einen Trainer zu holen, der sechs Mal verliert zu Beginn", befand der Coach, "aber weil wir alle zusammengehalten und daran geglaubt haben, haben wir es geschafft."

Den Klassenerhalt empfindet er angesichts der widrigen Umstände als schönen Erfolg, zugleich aber möchte Slomka Platz 15 lediglich als erfolgreich beendetes erstes Kapitel eines noch zu bewältigenden Gesamtwerks verstanden wissen: "Wir wollen etwas aufbauen in Hannover, und ich freue mich auf die Planungen in den nächsten Wochen." Doch ob er tatsächlich eine Zukunft über das Saisonende hinaus hat, scheint fraglich. Klubchef Martin Kind verweigerte trotz des bis 2011 laufenden Vertrags des Trainers ein klares Bekenntnis: "Jetzt freuen wir uns erst mal, dann analysieren wir in Ruhe die Saison."

Bei den Bochumern dagegen herrscht in der Trainerfrage zumindest etwas mehr Klarheit. Dariusz Wosz tritt ins zweite Glied zurück, so viel steht fest, und das ist wohl auch sinnvoll. Bei der Bewertung der Ausschreitungen offenbarte Bochums Coach eine ähnliche Hilflosigkeit wie zuvor seine Spieler auf dem Rasen. Statt die Gewalt der Anhänger zu verurteilen, äußerte Dariusz Wosz Verständnis: "Was sollen sie denn noch machen?"

Maltritz: "Das war Unvermögen"

Überfragt war Wosz auch, als er eine Erklärung für den schauderhaften Vortrag geben sollte, der zum Sturz in den Abgrund geführt hatte. Er sprach lediglich von "Angsthasenfußball", der ihn machtlos zurückgelassen habe: "Da bist du als Trainer nur noch Luft." Kapitän Marcel Maltritz immerhin wusste, woran es gelegen hatte: "Das war Unvermögen."

Hilflos wirkte aber nicht Wosz allein. Hilflos war es ja auch, ihn vor den abschließenden beiden Partien zum Trainer zu machen. VfL-Sportvorstand Thomas Ernst wird sich in der Nachbetrachtung der Saison kaum aus der Schusslinie bringen können. Keinem der von ihm während der Spielzeit aufgebotenen vier Übungsleiter Marcel Koller, Frank Heinemann, dem am Samstag von der Tribüne zuschauenden Heiko Herrlich und eben Wosz ist es gelungen, ein Rezept gegen den Heimkomplex zu finden. Gerade mal zwölf Punkte holte der VfL in den 17 Partien im eigenen Stadion, nur Berlin war schlechter.

Auch für die Zusammenstellung des Kaders, der in den letzten zwölf Spielen ganze drei Unentschieden erreichte, ist Ernst mitverantwortlich. Einem Teil eben dieser Spieler warf er am Samstag vor: "Man muss sagen, dass sie sich nicht untergeordnet haben und sich selbst zu wichtig nehmen."

Solches Verhalten hat es beim VfL zu "Atas" Zeiten nicht gegeben. Die Bochumer Legende ist zurzeit ohne Trainerjob, doch ob Lameck ausgerechnet jetzt - in welcher Funktion auch immer - der Richtige ist, erscheint zweifelhaft. Schließlich verfügt "Ata" mangels Abstieg über keinerlei Zweitliga-Erfahrung. Vielleicht hätte man ihn früher fragen sollen.

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