Bremen: Klaus Allofs im Interview:"Wir suchen das perfekte Spiel"

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Vor dem schweren Auswärtsspiel in München spricht Klaus Allofs über das Teamdenken bei Werder Bremen, Risikotransfers und seinen neuen Alleskönner Wesley.

Jörg Marwedel

SZ: Herr Allofs, warum ist Werder Bremen eigentlich die Wundertüte der Bundesliga mit immer neuen Wundern wie jüngst bei der Champions-League-Qualifikation in Genua?

"Der große FC Bayern, der alle Möglichkeiten hätte, hat sich am Schluss mit Contento für jemanden aus der eigenen Jugend entschieden." - Auch Klaus Allofs gibt sich im Interview als Visionär. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Allofs: Wenn schon, sind wir eine Wundertüte de luxe. Es gibt ja auch Wundertüten, in denen gar nichts drin ist. Man muss bei Werder mit Vielem rechnen. Bei aller fehlenden Konstanz, die wir bemängeln, reden wir über eine Mannschaft, die sich in sieben Jahren sechsmal für die Champions League qualifiziert hat, die schon wieder Dritter in der Bundesliga war und in Pokalendspielen und 2009 in einem europäischen Finale stand.

SZ: Was zeichnet dieses Team aus?

Allofs: Es kann tollen offensiven Fußball spielen und macht manchmal Fehler, die man ihm nicht zutraut. Aber diese Mannschaft hat einen unglaublichen Siegeswillen. Wir sind ja auf der Suche nach dem perfekten Spiel. Das werden wir aber nicht finden, weil das noch niemand gefunden hat.

SZ: Wenn Trainer Thomas Schaaf und Sie Spieler verpflichten: Ist das nur ein Gefühl und eine Vision, die Sie von einem Profi haben, oder was spielt da noch mit?

Allofs: Wir haken da keine Checkliste ab, und eine Vorauswahl hat ja schon stattgefunden, wenn wir uns für einen Fußballer interessieren. Wir fragen uns natürlich: Können wir uns den Spieler erlauben? Und selbst wenn man Ronaldo oder Ibrahimovic holt, kauft man ja nicht automatisch Sorgenfreiheit ein. Wenn wir glauben, dass sich jemand bei uns positiv entwickeln kann, ist die Sache manchmal so verlockend, dass wir auch mal ein gewisses Risiko eingehen.

SZ: Zum Beispiel bei Arnautovic?

Allofs: Ja, wir kennen alle die Geschichten, die verbreitet wurden. Aber das Wichtigste war, dass wir ihn spielen gesehen haben und dass wir zweimal sehr lange mit ihm gesprochen haben. Dann haben Thomas Schaaf und ich das Pro und Contra abgewogen.

SZ: Was braucht eine erfolgreiche Mannschaft von den Typen her?

Allofs: Sie muss alles haben, sie darf nicht gleichförmig sein. Sie braucht Typen wie einen Per Mertesacker, einen Torsten Frings, einen Aaron Hunt, Marko Marin, Tim Wiese, aber auch einen Marco Arnautovic, der extrovertierter ist als alle anderen. Das Wichtigste aber ist: Jeder muss Teil der Mannschaft sein.

SZ: Ist es das größte Verdienst von Thomas Schaaf, dass er den Teamgedanken besonders gut vermitteln kann?

Allofs: Das Teamdenken ist für mich der rote Faden. Wenn man gute Einzelspieler hat, aber keine Mannschaft, wird man keinen Erfolg haben.

Lesen Sie auf den nächsten Seiten, was Klaus Allofs heute über das kurze Gastspiel von Carlos Alberto denkt und wie er mit Wesley seinen neusten Brasilianer nach Bremen lotste.

SZ: Wie kommt es, dass Werder auch den Verlust großartiger Spieler wie Johan Micoud, Diego oder jetzt vielleicht Mesut Özil so gut verkraftet?

Allofs: Weil immer nur ein Elftel herausbricht.

SZ: Micoud oder Diego sind doch nicht nur ein Elftel gewesen.

Allofs: Klar, stimmt. Wir reden noch heute von ihnen und werden auch noch über Mesut reden. Allerdings hatte Mesut spielerisch mehr Bedeutung für die Mannschaft als von seiner Persönlichkeit her. Das ist kein Vorwurf, die konnte er noch gar nicht haben. Aber er hat sich entwickelt. Wie er gekommen ist und wie er uns verlassen hat, das ist ein riesiger Unterschied.

SZ: Was bringt etwa Per Mertesacker ein?

Allofs: Sein überragendes Kopfballspiel und dass es einfach angenehm ist, mit ihm täglich zu arbeiten.

SZ: Und Claudio Pizarro?

Allofs: Claudio lässt überhaupt nicht den Star heraushängen und hat auch zu den jüngeren Spielern einen sehr guten Kontakt. Er sorgt für gute Laune, kann aber genau unterscheiden: Jetzt wird Spaß und jetzt wird Ernst gemacht. Das ist eine wichtige Eigenschaft.

SZ: Und Torsten Frings, mit dem Sie ja den Vertrag verlängern wollen?

Allofs: Das ist Erfahrung pur auf der zentralen Position als Sechser. Wie er sich schon die Ärmel hochkrempelt, das ist oft ein Signal.

SZ: Er stellt auch die Kollegen mal in den Senkel. So wie er Arnautovic mitgeteilt hat, er werde sich nicht durchsetzen, wenn er sich so verhalte wie am Anfang.

Allofs: Das erwarten wir auch, dass nicht alles von oben vorgegeben wird, dass sich eine Mannschaft selber erzieht.

SZ: Sie haben auch Tim Wiese als sehr wichtigen Baustein genannt.

Allofs: Ja, weil er Torwart ist. Das hat nichts damit zu tun, dass man Torhütern und Linksaußen nachsagt, sie hätten eine Macke. Er hat in seiner Position den totalen Überblick. Er muss seine Vorderleute stellen, sie anstacheln oder loben. In dieser ganzen Palette wird er besser und besser. Und er ist ja mit 28 Jahren noch ein junger Torhüter.

SZ: Sie wurden immer gelobt für Ihre Einkaufspolitik. In den vergangenen Jahren haben sich aber auch bei Ihnen Flops eingeschlichen wie etwa Carlos Alberto, Neri, Sanogo oder Tosic. Haben Sie über solche Spieler weniger gewusst als über einen Micoud, Diego oder Marin?

Allofs: Nein, aber man weiß nie genau, ob sich ein Spieler weiterentwickeln will, was ja das Allerwichtigste ist. Abgesehen davon, dass Sanogo wirtschaftlich kein Flop war und einige wichtige Tore in der Champions League geschossen hat, muss man sagen: Er hat leider nicht dauerhaft so gearbeitet, wie er das zu Beginn gemacht hat. Dann reicht das nicht, das würde auch bei einem Pizarro nicht reichen.

SZ: Und beim größten und teuersten Flop Carlos Alberto?

Allofs: Da wussten wir, dass wir ein Risiko eingehen. Seine Probleme haben auch wir nicht lösen können.

SZ: Geht man in Bremen grundsätzlich gelassener damit um, wenn ein Spieler mal etwas ausgelassener feiert als er das als Profi sollte?

Allofs: Natürlich müssen die Profis hundertprozentig für den Job leben. Aber wenn ein Spieler in den Zwanzigern nach einem Spiel nach Hause fährt, sich dort das Sportstudio und danach Aufzeichnungen älterer Spiele anguckt, würde ich misstrauisch. Es heißt ja noch immer Fußballspiel. Dazu gehört Freude. Es ist besser, wenn einer auch mal woanders Spaß hat und dann am nächsten Tag wieder zum Training darf.

SZ: Warum sind Sie so sicher, dass der beim FC Arsenal aufs Abstellgleis geschobene 33 Jahre alte Mikael Silvestre noch eine Verstärkung für Werder ist?

Allofs: Es kommt doch auf die Situation im Verein an. Ich mache mir bei ihm überhaupt keine Sorgen. Wer mit ihm gesprochen hat, merkt schnell, wie klar er in seinen Auffassungen ist. Das sind schon mal 50 Prozent. Wenn er nicht mehr laufen könnte, wäre das anders, aber das ist bei ihm nicht der Fall.

SZ: Wenn Naldo und Mertesacker wieder fit sind, soll er vermutlich als linker Außenverteidiger eingesetzt werden. Warum tun Sie sich seit Jahren so schwer, einen guten linken Außenverteidiger zu finden?

Allofs: Das ist nicht so einfach. Schauen Sie sich doch mal die Bayern an. Erst haben sie mit Lahm einen Rechtsfuß dahin gestellt, dann haben sie Braafheid und Pranjic verpflichtet, dann den Innenverteidiger Badstuber dort spielen lassen, und dann kamen Alaba und Contento. Der große FC Bayern, der alle Möglichkeiten hätte, hat sich am Schluss mit Contento für jemanden aus der eigenen Jugend entschieden.

SZ: Hat die Bundesliga, zu der immer mehr berühmte europäische Altstars wechseln, sportlich aufgeholt gegenüber England, Spanien und Italien, oder ist das nur ihrer solideren Wirtschaftlichkeit zu verdanken?

Allofs: Wir haben sportlich aufgeholt. Hier kann sich kein Altstar durchschleppen und eine Abschiedstour machen. In der Spitze gibt es noch Unterschiede. Wenn Inter Mailand 30 Leute beschäftigt, die hier im Grunde keiner bezahlen kann, dann haben die natürlich andere Möglichkeiten. Aber die Bundesliga ist gut, sie hat allen anderen voraus, dass sie ausgeglichen ist auf hohem Niveau.

SZ: Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern, Karl-Heinz Rummenigge, möchte aber noch mehr Geld aus dem TV-Vertrag und den kleinen Klubs weniger übriglassen.

Allofs: Wir würden auch lieber mehr haben. Aber das höchste Gut ist, dass die Bundesliga funktioniert. Ich finde, dass der solidarische Verteilerschlüssel beispielhaft ist. Wo Ergebnisse vorauszusehen sind, wird die Liga schnell langweilig. Das ist am Ende wichtiger als noch ein internationaler Titel.

SZ: Muss Werder als Champions-League-Teilnehmer mit den garantierten 20 Millionen Euro Extra-Einnahmen auf dem Spielermarkt mehr Ablöse zahlen?

Allofs: Das liegt doch an uns. Natürlich wagt man sich vielleicht etwas weiter vor. Aber bei unserem neuen Mittelfeldspieler Wesley haben wir überhaupt keine Zugeständnisse gemacht, deswegen war das auch eine Hängepartie.

SZ: Trotzdem sind Sie offenbar überzeugt, das Wesley wieder ein Spieler sein könnte, der mit für ein neues Werder-Wunder sorgen kann?

Allofs: Ja.

SZ: Was ist denn seine Hauptstärke?

Allofs: Dass er alles kann. Er hat einen großen Aktionsradius, kann sowohl in der Defensive wie in der Offensive spielen. Er ist torgefährlich und beidfüßig, und er hat die Schnelligkeit, um auf höchstem Niveau zu spielen.

SZ: Wenn Werder sich in Genua nicht qualifiziert hätte für die neue Champions-League-Runde und deutlich weniger Geld zur Verfügung gehabt hätte, wäre dann der Plan mit einem Investor vorwärts getrieben worden?

Allofs: Nein, ein strategischer Investor sollte für Werder Bremen keine Notlösung sein, sondern eine wohl überlegte Maßnahme, um uns noch stabiler aufstellen zu können. Wenn sich eine solche Möglichkeit bietet, müssen und werden wir bereit sein.

© SZ vom 11.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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