Benfica Lissabon im Europa-League-Finale:Mit angeschlagener Psyche gegen Chelsea

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Benficas Bester: Stürmer Oscar Cardozo. (Foto: Getty Images)

Einst dominierte Benfica Lissabon den europäischen Fußball. Doch seit 1962 konnte der Klub keinen ganz großen Titel mehr gewinnen. Ein Sieg im Finale der Europa League gegen den FC Chelsea würde für alles entschädigen - doch das Team befindet sich nicht gerade in bester Verfassung.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Große Namen im internationalen Fußball wollen mit Erfolgen genährt sein, mit immer neuen Titeln und Pokalen, sonst verblassen sie schnell. Bei manchen Vereinen aber war die Vergangenheit einmal so mächtig, dass ihre Namen auch nach einer langen Erfolglosigkeit noch immer irgendwie hell blinken im kollektiven europäischen Fußball-Gedächtnis. Benfica Lissabon ist ein solcher Name, in voller Länge heißt der alte Verein aus der portugiesischen Hauptstadt, gegründet 1904, "Sport Lisboa e Benfica".

Seit 1962 gelingt kein europäischer Triumph mehr, der die Legende der "Adler" etwas auffrischen würde, nichts, das an die Zeiten mit Eusebio gemahnen würde, an dieses verspielt offensive Wunderteam aus der fußballerischen Peripherie mit dem Stürmer aus Mosambik, der mal "Perle", mal "Panther" gerufen wurde. Damals duzte man die spanischen, italienischen und englischen Allzeitgrößen dieses Sports, gewann zwei Mal den Europacup der Landesmeister, einmal gegen Barcelona, einmal gegen Real Madrid. Es ist lange her, ein halbes Jahrhundert eben.

Nun steht Benfica an diesem Mittwoch in Amsterdam endlich wieder einmal in einem europäischen Finale. Man spielt zwar nur um die Trophäe der Europa League, der kleineren und oft geschmähten Schwester der Champions League. Doch der Gegner ist immerhin der aktuelle Titelhalter der Königsklasse, noch jedenfalls: der FC Chelsea aus London, ein "Big Name" mit reichlich Gegenwart - und Favorit. Benficas Psyche ist nämlich gerade etwas angeschlagen.

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Am vorigen Wochenende verspielte die Mannschaft von Trainer Jorge Jesus wohl die Chance auf das ersehnte Triple - Meisterschaft, portugiesischer Cup und Europa League. Und das auf dramatische Weise gegen den ewigen Rivalen, den FC Porto. Man hätte in der direkten Begegnung auswärts mindestens ein Unentschieden gebraucht, um dann am letzten Spieltag den nationalen Titel aus eigener Kraft zu sichern. Es wäre der 33. in der Vereinsgeschichte.

Doch Porto gewann dank eines Treffers in der 92. Minute 2:1 und hat es nun seinerseits in der Hand, zum 27. Mal portugiesischer Meister zu werden, woran niemand mehr zweifelt. Man redet ja gerne von spanischen Verhältnissen, wenn sich eine Liga in einem redundanten Duopol zweier Übermächte erschöpft. Portugiesische Verhältnisse gehen so: In den vergangenen zehn Jahren gewann Porto acht, Benfica zwei Meistertitel.

Entsprechend dramatisch sind jeweils ihre entrückten Duelle. Als der späte Siegestreffer Portos gefallen war, verzog Jorge Jesus, ein energischer und stets gestenreich coachender Mann mit beeindruckender Haarmähne, sein Gesicht zu einer leidenden Grimasse und sank theatralisch in die Knie. Als breche da alles auseinander, die ganze Operation Renaissance eines großen Vereins. Es wäre ein Jammer.

Ein Finalsieg gegen Chelsea würde für alles entschädigen. Jesus übernahm Benfica 2009, brachte ihm ein schnelles Kombinationsspiel im 4-3-2-1-Modus bei, das er selbstbewusst mit Barças Tiki-taka vergleicht. Er holte dafür die eher klein gewachsenen, technisch versierten argentinischen Offensivkräfte Eduardo Salvio und Nicolas Gaitan, die den 1,93 Meter langen, paraguayischen Mittelstürmer Oscar Cardozo, Benficas Goalgetter, seitdem mit vielen brauchbaren Vorlagen bedienen.

Cardozo ist der Star des Teams, trifft oft mit dem Kopf, kann aber auch etwas mit den Füßen, tritt Freistöße aus der Halbdistanz. Er spielt schon seine sechste Saison in Lissabon, und wieder heißt es, es gebe gute Offerten aus dem Ausland. Wenn Cardozo mal nicht spielt, dann trifft neuerdings sein brasilianischer Rivale Lima, der sich im ersten Jahr bei Benfica gleich nachdrücklich in Szene setzte.

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Im Zentrum der oft fragilen Abwehr steht ein anderer Brasilianer, Luisao, der im vorigen Sommer wegen eines ungewöhnlichen und unrühmlichen Kontrollverlustes international bekannt wurde: Bei einem Testspiel in Düsseldorf stieß er nach einer umstrittenen Entscheidung den deutschen Schiedsrichter Christian Fischer mit einem satten Rempler zu Boden, wo der zunächst eine Weile benommen liegen blieb. Luisao wurde danach für zwei Monate gesperrt, kehrte aber als Kapitän zurück.

Man hat auch gar keine andere Wahl, die finanziellen Mittel sind beschränkt. Benfica musste in den vergangenen Jahren immer wieder gute Kaderleute verkaufen, um Kasse zu machen. Der Verein hat hohe Schulden. Die Zeiten akuter Existenznöte sind aber überwunden, vorerst jedenfalls. Es gab sie in der langen Vereinsgeschichte immer wieder. Man wirtschaftete oft am Limit, übernahm sich mit unvernünftigen, größenwahnsinnigen Ausgaben.

Seit 2003, dem Jahr der Wende, wird der Verein vom Bauunternehmer Luis Filipe Vieira geführt. Etwas vernünftiger. Der Präsident schaffte es unter anderem, die große Anhängerschaft des S.L. Benfica näher an den Klub zu binden: Der zählt nun 224 000 eingeschriebene Mitglieder, die alle eine Jahresgebühr bezahlen, für Erwachsene 156 Euro, damit sie die Geschicke der "Adler" etwas mitbestimmen. So viele Mitglieder wie Benfica hat kein anderer Klub auf der Welt. Es gab dafür einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde. Einen großen, wichtigen, europäischen Titel macht das aber nicht wett.

© SZ vom 15.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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