WM 2010: Italien:"Avanti die Lahmen"

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Während Italiens Politik schrille Debatten führt, kämpft das letzte Fußball-Aufgebot gegen die Slowakei. Für etwas Hoffnung sorgen nur die Vergangenheit und zwei alte Kämpen.

Birgit Schönau

Wenn man zu Hause einen Minister wie Umberto Bossi hat, muss man sich über einen harmlosen Gegner wie WM-Neuling Slowakei keine Gedanken mehr machen. Während nämlich die Azzurri in ihrem Trainingslager Toreschießen üben bis zum Umfallen, auf dass am Donnerstag ein nie gesehener Trefferhagel auf die Slowaken niedergehe, ist für Regierungsmitglied Bossi schon alles klar. "Das Spiel wird sowieso gekauft", erklärte er voller Überzeugung. Von wem genau, wollte Bossi nicht sagen, nur so viel: "Ihr werdet sehen, dass in der nächsten Saison zwei oder drei Slowaken in den Klubs der Serie A spielen."

Der italienische Nationaltorwart Gianluigi Buffon im Gespräch mit seinem Teamkollegen Gennaro Gattuso. (Foto: dpa)

Ein Minister der Republik Italien mutmaßt, die Fußballbosse seines Landes hätten Nationalspieler der Slowakei "gekauft", um die Squadra Azzurra ins Achtelfinale zu hieven! Das ist, je nach Gusto, skandalös oder einfach nur peinlich, jedenfalls aber muss man Bossis Äußerung im Zusammenhang sehen. Ein paar Sätze weiter faselte der 69-Jährige nämlich auch noch davon, zehn Millionen Personen seien bereit, für Padanien zu kämpfen - jenen norditalienischen Landstrich also, in dem Bossis Partei Lega Nord Wahlen gewinnt und den die Lega am liebsten von Rest-Italien und dem "räuberischen Rom" abtrennen würde.

Bossi hatte mit seinem Geschwätz wieder einmal die Schlagzeilen für sich, nur noch am Rande fand Außenminister Franco Frattini Erwähnung, der sich über ein im deutschen Fernsehen gezeigtes Spaßvideo echauffierte. Darin schunkeln ein paar Witzbolde zu der schlichten Textzeile: "Wer den Cup gewinnt, ist scheißegal. Nur Italien nicht." Das würde Minister Bossi, wenn er denn Deutsch könnte, vielleicht sogar mitgrölen; aber die Autoren meinen es im Gegensatz zum Lega-Chef nicht ganz so bierernst.

Gattusos Kunst

Und es ist schon ziemlich lustig, dass Frattini sich hochoffiziell so zu dem deutschen Video äußerte: "Ein Text voller Vorurteile", während die Fußballlegende Paolo Rossi, Weltmeister 1982, die aparten Theorien von Reformminister Bossi ebenso cool wie endgültig versenkte: "Was Fußball angeht - total inkompetent."

Marcello Lippi antwortet dem interessanten, nicht kickenden Personal, das Italien in der Welt vertritt, sowieso auf seine Weise, nämlich mit der Berufung des Kalabriers Gennaro Gattuso. Der hat im Unterschied zu dem verkrachten Studenten Bossi etwas Richtiges gelernt. Gattuso ist Fischer und betreibt in Padania eine Fischhandlung mit dem feinsten Meeresgetier von Italiens Stränden.

Der Mann hat eine Vergangenheit (Weltmeister 2006), eine Gegenwart und eine Zukunft, vor allem aber wird er den Slowaken Saures geben - auch wenn die linke La Repubblica gewohnt defätistisch nörgelte, Gattuso gehöre zu den ganz alten Kämpen. "Avanti, avanti die Lahmen und Hinkenden", spottete das römische Blatt und malte sich aus, dass die Azzurri "anstatt mit Kanonen auf die Slowakei zu schießen, mit ihren Krücken werfen".

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Derartige Gemeinheiten würde erstens das deutsche Fernsehen niemals senden, und zweitens kann man von Lippis letztem Aufgebot durchaus noch eine Menge erwarten. Sogar der beim AC Mailand von Frühpensionierung bedrohte Gianluca Zambrotta hat plötzlich und unerwartet begonnen, zu rennen wie in alten Zeiten, was man von den Talenten Chiellini, Marchisio und Pazzini nicht behaupten kann. Es ist eben im Calcio wie im richtigen Leben - wenn es ernst wird, dann lieber mit Erfahrung.

Gattuso soll die Slowaken, allen voran Marek Hamsik vom SSC Neapel, nach allen Regeln seiner Kunst ausbremsen und, warum nicht, ins Schwitzen bringen. Der gerade genesene Andrea Pirlo darf zumindest für eine Halbzeit wie einst im Mai die Offensive gestalten und hinten wird Fabio Cannavaro...nun ja. Aber man weiß nie. Schon möglich, dass er es gegen die Slowakei noch einmal allen zeigen wird. Denn es allen noch einmal zu zeigen, das ist sowieso Marcello Lippis Programm.

Von seinem Lieblingsschema 4-4-2 wird Lippi wohl auf 4-3-3 wechseln: Tore müssen her, viele Tore, auf dass man sicher eine Runde weiter kommt und damit, wichtiger noch, der Mannschaft wieder einfällt, wie's geht. Basta parlare, hat der Trainer verfügt, Schluss mit dem Reden.

Lippis Durchhalteparolen

Die bösen Journalisten würden seinen Spielern nur Fallen stellen, in die diese dann hineintappten wie in die Untiefen der Siebziger-Jahre-Taktik Neuseelands. "Die Pferde zählt man im Stall", zitiert Lippi den legendären Banditen Jesse James, abgerechnet wird zum Schluss. Der Commissario Tecnico mag vielen antiquiert erscheinen, ein Homme de lettres ist Lippi auf jeden Fall. Auf Jesse James muss man erst mal kommen.

Auf dem Platz sah es zuletzt so aus, als wenn Lippis Pferde wegen akuter Müdigkeit und lähmender Melancholie einfach nicht in Schwung kommen wollten. Und tatsächlich macht man sich jenseits der Durchhalteparolen des strammen Trainers und der prolligen Propaganda der Politik in Italien längst Gedanken über die dringend notwendige Reform der Nationalmannschaft. "Unabhängig davon, wie wir dieses Turnier bestreiten", wie der besonnene Verbandspräsident Giancarlo Abete erklärt hat, "denn der Kern des Problems ist die Qualität unseres Fußballs."

Keiner der Azzurri hat auch nur ein Viertelfinale der Champions League bestritten, kein einziger kommt von Inter Mailand, nur Daniele De Rossi vom Meisterschaftszweiten AS Rom. Hinter den Kulissen stehen die Zeichen auf Erneuerung, da ist der Fußball weiter als das Land. Aber erst mal muss die Squadra Azzurra die Grätschen der eigenen Regierung einstecken. Und irgendwie gegen die Slowakei bestehen.

© SZ vom 24.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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