WM: Deutsche Gruppenendspiele:Nervenspiele und Nichtangriffspakt

Rudi Völler kann nicht schlafen, die Spieler liegen da wie tote Fliegen, der Gegner will "deutsche Würstchen" verspeisen. Schon neun Mal musste Deutschland am letzten WM-Gruppenspieltag zittern. Ein Überblick in Bildern.

David Bernreuther

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1954, Deutschland - Türkei 7:2 Zum Auftakt gewann Deutschland 4:1 gegen die Türkei (im Bild erzielt Hans Schäfer das 1:1). Nach der 3:8-Klatsche gegen Ungarn im zweiten Vorrundenspiel erhielt Bundestrainer Sepp Herberger Briefe von empörten Deutschen. Darin stand: "Es wird höchste Zeit, dass Sie verschwinden" oder er solle "sich besser einen Strick kaufen und sich am nächsten Baum aufhängen". Herberger las die Briefe seinen Spielern vor - zur Motivation vor dem Entscheidungsspiel gegen die Türkei. "Es war wie eine Verschwörung, sie war fast körperlich zu verspüren. Es braute sich da etwas zusammen", sagte er später. Der Ärger über die Häme aus der Heimat entlud sich auf dem Platz: Deutschland lag bereits nach zwölf Minuten mit zwei Toren vorne und gewann letztendlich 7:2, die Tore erzielten Max Morlock (drei), Fritz Walter und Hans Schäfer (beide zwei). Knapp zwei Wochen später war Deutschland nach einem 3:2 im Finale gegen Ungarn Weltmeister.

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1958, Deutschland - Nordirland 2:2 Zehn Minuten waren in Malmö noch zu spielen, und wieder drohte der deutschen Mannschaft ein Entscheidungsspiel um den Einzug ins Viertelfinale. Gegen tapfer kämpfende Nordiren lag sie mit 1:2 zurück, brauchte aber mindestens ein Unentschieden, um sicher weiter zu kommen. Uwe Seeler kam an den Ball, 18 Meter vor dem Tor ließ er einen gewaltigen Schuss los. Der "Wundertorwart" genannte nordirische Schlussmann Harry Gregg flog vergebens. Zuvor hatte er seine Mannschaft mit zahlreichen Paraden vor dem Ausgleich bewahrt, doch gegen diesen Gewaltschuss war er machtlos. 2:2 - Deutschland war weiter und besiegte im Viertelfinale Jugoslawien (im Bild links Siegtorschütze Helmut Rahn). Im Halbfinale scheiterte die DFB -Auswahl an Gastgeber Schweden.

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1962, Deutschland - Chile 2:0 "Wir haben Schweizer Käse gegessen, wir haben italienische Spaghetti gegessen, heute essen wir deutsche Würstchen", titelte eine chilenische Tageszeitung vor dem dritten Gruppenspiel gegen Deutschland (im Bild rechts Kapitän Hans Schäfer beim Wimpeltausch). Es war ein Feiertag in Chile, 67.000 Zuschauer sorgten für eine hitzige Atmosphäre in Santiago. Bei einer Niederlage hätte Deutschland noch ausscheiden können, ein Unentschieden hätte ein Viertelfinale in der wegen des Klimas gefürchteten Wüste von Arica bedeutet. Herberger verordnete seiner Mannschaft strikte Defensive, die Chilenen rannten mit ungestümen Angriffen gegen das deutsche Bollwerk an - und fanden keine Lücke. Durch ein Elfmetertor von Horst Szymaniak und einen Treffer von Uwe Seeler sicherte sich Deutschland den Gruppensieg. Die Reise in die Wüste blieb der Mannschaft erspart, das Aus im Viertelfinale nicht: Deutschland verlor mit 0:1 gegen Jugoslawien.

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1966, Deutschland - Spanien 2:1 "Ich weiß, dass schon die Messer gewetzt wurden", sagte Helmut Schön nach dem Spiel gegen Spanien. Der Bundestrainer stand bei seiner ersten WM im Schatten seines Vorgängers Herberger und lieferte den Kritikern vor der entscheidenden Partie eine Steilvorlage: Er ließ den Italien-Profi Helmut Haller nicht spielen, sondern den Dortmunder Lothar Emmerich (rechts gegen Spaniens Manuel Sanchis). Der Plan ging allerdings auf: Emmerich zirkelte den Ball fast von der Außenlinie ins Tor zum 1:1. Kurz vor Schluss erzielte Uwe Seeler den Siegtreffer. Das 2:1 bescherte Deutschland den Gruppensieg, für Schön war es ein Schritt aus Herbergers Schatten. Deutschland erreichte das Finale und unterlag England 2:4 nach Verlängerung.

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1978, Deutschland - Tunesien 0:0 Sechs Tore gegen Mexiko im zweiten Gruppenspiel hatten in Deutschland nach dem zähen Start gegen Polen (0:0) Euphorie ausgelöst. In der dritten Partie gegen Tunesien qualifizierte sich die Mannschaft für die Zwischenrunde - und erstickte zugleich jegliche Euphorie. "Hundsmiserabel" habe man gespielt beim 0:0 gegen die Afrikaner, befand Bundestrainer Schön, der Mannschaft fehle "ein Kopf". Auch Torwart Sepp Maier (blaues Trikot) klagte: "Jeder spielt für sich, jeder will glänzen." Es war ein unrühmlicher Einzug in die Zwischenrunde, in der Deutschland die "Schmach von Córdoba" erlebte (2:3 gegen Österreich) und ausschied. Was vier Jahre später passierte, war allerdings noch unrühmlicher ...

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1982, Deutschland - Österreich 1:0 Die spanische Zeitung El Comercio veröffentlichte den Spielbericht zur Vorrundenpartie Deutschland - Österreich bei den Polizeimeldungen, sie witterte einen "mutmaßlichen Betrugsfall". Das französische Blatt Le Figaro fragte: "Sind diese Deutschen und diese Österreicher Lumpen oder Idioten?". Die Süddeutsche Zeitung schrieb, die Deutschen hätten sich "benommen wie Flegel". Algerische Zuschauer wedelten mit Geldscheinen. Nur die Spieler selbst hatten kein schlechtes Gewissen. Sie gingen Arm in Arm mit den Österreichern vom Feld und rechtfertigten die 80-minütige Ereignislosigkeit auf dem Rasen damit, dass sie die frühe Führung "verwaltet" hätten. Später zeigten einige den 500 Menschen, die vor dem Mannschaftshotel protestierten, ihre Hinterteile. Das 1:0 genügte sowohl Deutschland als auch Österreich zum Erreichen der Zwischenrunde, Leidtragender war Algerien, das aufgrund des "Nichtangriffspakts von Gijón" ausschied. Deutschland kam bis ins Finale (1:3 gegen Italien).

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1994, Deutschland - Südkorea 3:2 Guido Tognoni, der Pressechef der Fifa, blickte nach dem Spiel gegen Südkorea in die Kabine der Deutschen. Er sah Spieler, "die auf der Bank lagen wie tote Fliegen". Die Mannschaft war völlig ermattet von der Hitze in Dallas, die Guido Buchwald "brutal" fand. Während der zweiten Halbzeit rutschte erst Jürgen Kohler aus, später sprang Bodo Illgner am Ball vorbei - Südkorea erzielte zwei Tore. Weil die Asiaten den Weltmeister in den ersten 45 Minuten starr vor Ehrfurcht aufspielen lassen hatten, stand es schon zur Pause 3:0. Das war das Glück der geschlauchten deutschen Elf, die sich für das Achtelfinale qualifizierte. Nur einer musste nach Hause fahren: Stefan Effenberg zeigte den Fans den Stinkefinger und wurde suspendiert. Der Rest der Mannschaft folgte ihm nach dem 1:2 im Viertelfinale gegen Bulgarien (im Bild Lothar Matthäus beim Elfmeter zum 1:0) nach Deutschland.

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1998, Deutschland - Iran 2:0 Der 21. Juni 1998 war einer der schwärzesten Tage in der deutschen WM-Geschichte. Nicht wegen des eine Stunde lang miserablen Auftritts beim 2:2 gegen Jugoslawien, sondern wegen der Randale deutscher Hooligans in Lens, bei denen der Polizist Daniel Nivel schwer verletzt wurde. "Es wäre mir lieber gewesen, wir hätten verloren, dafür wäre der Polizist noch gesund", sagte Bundestrainer Berti Vogts. Die Stimmung war düster vor dem entscheidenden Spiel gegen den Iran. Deutschland begann gegen einen zaghaften Gegner mit Fehlpässen und planlosen Flanken. Viel besser wurde es nicht, aber immerhin retteten Tore durch Oliver Bierhoff (links) und Jürgen Klinsmann (rechts) der DFB-Elf den Gruppensieg. Im Viertelfinale verlor Deutschland 0:3 gegen Kroatien und schied aus.

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(Foto: ag.dpa)

2002, Deutschland - Kamerun 2:1 Rudi Völler lag die ganze Nacht wach. Das 1:1 gegen Irland und der Ausgleich in der zweiten Minute der Nachspielzeit ließen dem Teamchef keine Ruhe. Die Mannschaft hatte die vorzeitige Qualifikation fürs Achtelfinale verspielt und musste nun im Gruppenendspiel gegen die von Winfried Schäfer trainierten Kameruner bestehen, im Monsunregen von Shizuoka. Deutschland (links im Bild Christian Ziege) spielte ängstlich, Oliver Kahn parierte mehrmals in höchster Not, nach 40 Minuten sah Carsten Ramelow Gelb-Rot. Der Platzverweis war der Knackpunkt der Partie, Deutschland war nach der Pause stabiler. Marco Bode erzielte das Führungstor, später traf auch noch Miroslav Klose. Deutschland war Gruppensieger und schaffte es mit drei 1:0-Siegen über Paraguay, USA und Südkorea ins Finale (0:2 gegen Brasilien).

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