Auslosung für EM 2016:Wenn Fußball politisch wird

Lesezeit: 3 min

Als der Terror ganz nah war: Fußballfans im Stade de France (Foto: AFP)
  • Bei der EM-Auslosung geht es um mehr als Fußball.
  • Das Turnier soll ein Symbol für die Unbeugsamkeit vor dem Terror sein.
  • Zu den Lostöpfen und ab 18 Uhr zum Auslosungs-Liveticker geht es hier.

Von Javier Cáceres, Claudio Catuogno und Leo Klimm

Der Deutsche Fußball-Bund hat unter der Woche bekannt gegeben, welche seiner hohen Repräsentanten er am Samstagabend nach Paris schicken wird, zur Auslosungs-Show. Es sind dies: Joachim Löw, Thomas Schneider, Andreas Köpke, Oliver Bierhoff, Reinhard Rauball, Helmut Sandrock. Also eigentlich alle. Das sei auch ein Zeichen an die Franzosen, heißt es. Zumal in diesen Zeiten.

Worüber der DFB nicht informiert: ob auch jener mysteriöse Begleiter wieder mit reist, der die Vertreter der Nationalelf schon oft bei derlei Zeremonien unterstützt hat. Dieser diskret wirkende Geist - Codename: Deutschland-Dusel -, der es immer irgendwie hinkriegt, dass die Deutschen mit der Ukraine, Slowenien und Nordirland in einer Gruppe landen und nicht mit Italien, Polen und der Türkei. Oder lässt man den diesmal zu Hause?

Samstag, 18 Uhr, Palais des Congrès. Auslosung der Vorrundengruppen der Europameisterschaft 2016. Zunächst einmal ist das nur ein administrativer Akt, der halt dazu gehört zur Durchführung eines Fußballturniers. Man braucht bloß: ein paar Lostöpfe (diesmal: vier), eine Loskugel pro Teilnehmerland (neuerdings: 24), ein paar Losfeen (u.a.: Oliver Bierhoff). Und doch öffnet so eine Auslosung immer auch einen sportlichen Deutungsraum. Das Turnier wird greifbar. Und sicher wird es wieder ein paar Kommentatoren geben, die gleich eine "Mörder-" respektive "Todesgruppe" identifizieren. Nie zuvor allerdings werden diese Begriffe derart unpassend gewesen sein wie diesmal.

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Es sind vor vier Wochen schließlich echte Mörder gewesen, die den realen Tod nach Paris brachten. Die auch das Stade de France in Saint-Denis, das unter anderem das Eröffnungs- und das Endspiel der EM beherbergen soll, zum Terror-Ziel machten, während eines Freundschaftsspiels zwischen Franzosen und Deutschen.

Fußball ist derzeit eben politisch

Seit dieser schwarzen Nacht, in der in der Stadt 130 Menschen ihr Leben ließen, ist die EM 2016 nicht mehr in erster Linie ein Fußballturnier. Sie ist jetzt: ein Symbol dafür, dass sich die freie Welt ihre Leidenschaften nicht nehmen lässt. Man wolle "in Paris dokumentieren, dass wir an unserer Lebensweise festhalten, die geprägt ist von Offenheit, Toleranz, Respekt, Solidarität und Freiheit", sagt Joachim Löw, der Bundestrainer.

Die EM 2016 ist jetzt aber auch, mehr noch als vor den Attentaten: eine riesige Herausforderung für die Sicherheitskräfte. Stadien, Teamhotels, das alles kann man vielleicht schützen. Aber sieben Millionen erwartete Fans? Der Verband der privaten Sicherheitsfirmen (Cnaps) hat gerade vehement gefordert, auf die geplanten Fan-Zonen in den Innenstädten zu verzichten. Der Bürgermeister von Bordeaux fragte zurück: Sind kontrollierte Fanzonen nicht besser als unkontrollierbare Menschenmassen in den Stadtzentren?

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Das alles schwingt auch am Samstag mit, im Palais des Congrès. Und eine weitere Folge des Terrors: Es ist jetzt kaum noch etwas unpolitisch, was rund um die französische Nationalelf geschieht.

So hat sich sogar Manuel Valls, der Premierminister, vergangene Woche zu Karim Benzema geäußert, dem Stürmer, der im Sommer die Tore für Frankreich schießen sollte. Doch nun ist dieser Benzema in die Erpressung eines Teamkollegen verwickelt, eine unschöne Geschichte rund um ein Sexvideo, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Premier sagte: Nur wer sich als Vorbild für die Jugend eigne, solle das Nationaltrikot tragen dürfen! Noch bis vor kurzem galten Les Bleus vielen im Land als Ansammlung egomanischer Millionäre, die sich zur Zerstreuung minderjährige Prostituierte kommen lassen. Da war Benzema bloß ein Problemfall von vielen. Aber heute, da die Equipe die Unbeugsamkeit der Franzosen repräsentieren soll? Heute ist Benzema "nicht mehr nominierbar". So hat es der Verband FFF nun entschieden. Klar, der EM-Titel wäre eine große Sache, und man bräuchte dafür auch Tore. Aber es gibt jetzt etwas, das viel größer ist.

Als die Franzosen vier Tage nach den Anschlägen trotz allem in London gegen England antraten, da sangen 90 000 im Wembley-Stadion die Marseillaise. Und auf dem Rasen stand auch der Nationalspieler Lassana Diarra, dessen Cousine im Musiktheater Bataclan von den Terroristen erschossen worden war. Natürlich sprach Diarra nicht über Tore. Sondern darüber, dass man nun gemeinsam "Vielfältigkeit, Liebe und Respekt" verteidigen müsse. Vielfältigkeit, Liebe, Respekt. Ob das noch die Botschaft ist, die die Franzosen hören wollen, ist aber gleich die nächste Frage.

Die Elf um den Algerien-stämmigen Zinédine Zidane, die 1998 die WM im eigenen Land gewann, galt vielen in Frankreich auch als Beleg für die integrative Kraft der Bleus. Und heute? Im Lichte der Anschläge ist der Front National gerade die stärkste Kraft bei den Regionalwahlen geworden. Logisch ist das nicht: freiheitliche Werte bewahren wollen und zugleich eine rechtsradikale Partei wählen. Aber vielleicht erklärbar. Mit der Angst.

Auch der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, 70, der in Paris lebt, beobachtet gerade, wie seine Stadt "nur sehr langsam wieder in die Normalität zurückfindet". Er glaubt aber, dass der Fußball im Sommer eine Chance hat: "In einem halben Jahr kann so viel passieren." Und Gérard Houllier, einer der erfolgreichsten französischen Trainer, ist sich sicher: "In einem halben Jahr werden die Franzosen wieder auf den Fußball fokussiert sein." Die Affäre Benzema? Oder der Fall des gesperrten Uefa-Chefs Michel Platini, der am Samstag noch nicht mal zur Auslosung kommen darf? Darüber will Houllier, wenn man ihn am Telefon erwischt, gar nicht reden. "Warum sprechen wir nicht darüber, dass wir Deutschland vor vier Wochen sehr verdient mit 2:0 geschlagen haben?"

Ah ja, richtig. Es sollte doch eigentlich bloß um Fußball gehen.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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