Aus in der Champions League:Triple? Nix für die Bayern!

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Enttäuschung nach dem Schlusspfiff: in der Mitte der unglückliche Elferschütze Thomas Müller. (Foto: AFP)

Frühe Führung, verschossene Elfmeter: Der FC Bayern liefert Atlético Madrid ein denkwürdiges Duell, siegt 2:1 - und scheidet dennoch aus der Champions League aus. Nur ein Tor fehlt den Münchnern zum Finale.

Von Claudio Catuogno, München

Thomas Müller also. Ausgerechnet Müller. Wann war diese Fußballfloskel angebrachter als am Dienstagabend in der Arena von Fröttmaning? Müller legt sich den Ball zurecht. Müller läuft an. Müller hat jetzt diese eine Kugel im Lauf, diese eine, verdammte Kugel . . .

Bayern gegen Atlético, Halbfinal-Rückspiel der Champions League. Ein gutes, ein intensives, ein aufreibendes Fußballspiel - "ich habe hier selten einen so intensiven Abend erlebt", wird Thomas Müller später sagen. Es geht um den Einzug ins Finale von Mailand. Es geht aber noch um viel mehr. Es geht um die Frage, wie sich der Trainer Pep Guardiola aus Deutschland verabschieden wird. Als dreimaliger deutscher Meister, ja mei. Aber mit oder ohne diesen einen, großen internationalen Titel, um den sich in diesem Münchner Weltklub so vieles dreht?

Wenn sich Atlético, die Kämpfertruppe aus Madrid, durch eines ganz besonders auszeichnet, dann dadurch, dass sie so wenige Gegentore zulässt wie keine andere europäische Spitzenmannschaft. Gegen Atlético verballert man besser keinen Elfmeter. Müller schießt also, unplatziert, halblinks, Jan Oblak pariert.

Guardiola bleibt unvollendet

2:1 (1:0) geht das Spiel am Ende aus, durch Tore von Xabi Alonso, Robert Lewandowski und Antoine Griezmann. Ein Münchner Sieg also - aber zu wenig nach dem 0:1 im Hinspiel. Das Finale findet ohne die Bayern statt, und Guardiola zieht weiter - als Unvollendeter?

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Ausgerechnet Müller.

Aus Sicht sehr vieler Menschen, die eine dezidierte Meinung zu diesem FC Bayern haben, war vor dem Anpfiff ja vor allem diese eine Frage von Interesse gewesen: Würde Pep Guardiola wieder so eine taktisch-verkopfte Schönspieler-Aufstellung wählen wie beim 0:1 im Hinspiel? Mit Thiago, Costa, Coman - aber eben ohne die Mentalitätsmonster Müller und Frank Ribéry? So heftig und bisweilen surreal war die Müller-Debatte über die Tage angeschwollen in Stadt, Land und Erdkreis, dass Guardiola schon von einer abgründigen Lust auf Selbstentzauberung hätte getrieben sein müssen, sich dem offenkundigen Volkswillen weiter entgegenzustellen. Mit Müller auf dem Rasen ausscheiden? Ärgerlich. Mit Müller auf der Ersatzbank ausscheiden? Da hätte er zu seinem letzten Heimspiel, am Samstag in einer Woche gegen Hannover 96, wenn die Bayern aller Voraussicht nach die Meister- schale überreicht bekommen, gar nicht mehr zu kommen brauchen.

Also wählte Guardiola die Mentalitäts-, womöglich auch die Konsens- Aufstellung: mit Müller, mit Ribéry, ohne Thiago, ohne Coman. Das einzige kleine Risiko bestand darin, dass er auch Jérôme Boateng von Anfang an in die Schlacht warf, der erst am Samstag beim 1:1 gegen Gladbach ein etwas hüftsteifes Comeback gegeben hatte nach monatelanger Abwesenheit wegen einer schweren Oberschenkelverletzung. Das wirkte sich so aus, dass David Alaba endlich nicht mehr Aushilfs-Innenverteidiger sondern wieder Linksverteidiger spielen durfte (statt Juan Bernat).

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Vieles sollte also anders sein als im Hinspiel. Das begann schon beim Rasen. Dass die Heim-Mannschaft den Belag aussuchen darf, auf dem gespielt wird, ist in manchen Wettbewerben gute Tradition, etwa im Tennis-Davis-Cup. Im Hinspiel hatte auch Atlético sich das Prinzip zu eigen gemacht und den Rasen im Estadio Vicente Calderón durch tagelangen Wasserentzug in eine stumpfe, langsame Steppe verwandelt. Nun revanchierten sich die Münchner auf ihre Weise: Erst regnete es aus Kübeln, dann kam auch noch der Rasensprenger dazu. Und tatsächlich: Der Ball lief diesmal viel schneller und präziser von einem roten Männchen zum nächsten.

Ein Freistoß von Alonso bringt die Führung

Das funktionierende Passspiel, die enormen Ballbesitz-Werte, das alles war an diesem Abend jedoch nur die notwendige Grundierung. Vor allem schienen die Bayern das Spiel diesmal tatsächlich durch eine andere Qualität auf ihre Seite zwingen zu wollen: durch Willenskraft. Ihre Entschlossenheit zeigte sich auch daran, dass sie diesmal nicht warten konnten, den Ball aufs Gehäuse des Torwarts Oblak zu schießen. 14. Minute: Weitschuss Vidal (drüber). 18. Minute: Weitschuss Vidal (gehalten), 24. Minute: Weitschuss Ribéry (abgewehrt). Die beste Gelegenheit der Anfangsphase ging aber doch auf eine sehenswerte Kombination zurück: Ein Lupfer von Boateng, Müller löst sich in der richtigen Hundertstelsekunde - dessen Ablage versucht Lewandowski einzuschießen, trifft aber aus spitzem Winkel Oblaks Bein (20.).

Dann schon die Führung: ein Freistoß von Xabi Alonso, José Maria Giménez durch die Beine (31.) - und unhaltbar abgefälscht ins Atlético-Tor. Hätte Müller drei Minuten später seinen Strafstoß verwandelt - "dann steht es 2:0 zur Halbzeit", sagte der Fehlschütze zerknirscht. So dauerte es bis zur 74. Minute, ehe die Münchner den zweiten Treffer nachlegten: Eine Flanke von Alaba, Vidal wirft sich hinein und verlängert per Kopf zu Lewandowski - der macht ihn rein, ebenfalls per Kopf. Da hatte Atlético allerdings schon das eine, entscheidende Auswärtstor erzielt: Griezmann überwand Neuer nach einem Konter (53.). Vorausgegangen war der einzige Fehler von Boateng, ein Fehlpass, "damit fängt es an", räumte der Verteidiger ein - wies aber auch darauf hin, dass ein Fehlpass nicht zwingend ein Gegentor bedeuten muss. "Wir haben sehr viel richtig gemacht", sagte Müller - aber eben zwei kleine Fehler zu viel. Dass Neuer später noch einen (unberechtigten) Elfmeter von Fernando Torres parierte - nur noch Nebensache. Und dass Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte, man fühle sich vom Schiedsrichter "betrogen", wirkte wie das Hadern eines schlechten Verlierers. Pep Guardiola lief nach dem Abpfiff zu seinem Gegenüber Diego Simeone, ein kurzer Handschlag, das war's also. Ob sich seine Bayern etwas vorwerfen können? Sicher die erste Halbzeit im Hinspiel. "Nach diesem Spiel everybody killed me", hat Guardiola diese Woche gesagt, "aber ich bin noch nicht tot, ich habe noch ein Bullet."

Eine Kugel noch. Sie traf nicht. Und deshalb steht da jetzt diese Bilanz: Dreimal Champions-League-Halbfinale: top-toptop. Dreimal aber war dort Schluss.

Nix Triple! Vor allem, sagte Guardiola, "bin ich traurig für die Spieler, ich habe mein Leben gegeben für diese Spieler". Die letzte Kugel, sie klemmte einfach immer im Lauf.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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