Auftakt der Vierschanzentournee:Kindlich inmitten des Trubels

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"Es hätte mich fast wieder vom Balken gehaut": Marinus Kraus, bester Deutscher beim Tournee-Auftakt in Oberstdorf. (Foto: dpa)

Nicht Severin Freund, sondern Marinus Kraus wird bester Deutscher zum Auftakt der Vierschanzentournee. Um den Tournee-Sieg werden die DSV-Athleten wohl nicht mitspringen können. Sogar Bundestrainer Werner Schuster schreibt den Titel bereits ab.

Von Lisa Sonnabend, Oberstdorf

Marinus Kraus war oben auf dem Schanzenturm in eine ziemlich missliche Lage geraten. 135 Meter weit war Michael Neumayer eben geflogen, sein Teamkollege und Gegner im K.-o.-System im ersten Durchgang. "Es hätte mich fast wieder vom Balken gehaut, als ich den Michi hab' springen sehen und die Zuschauer feiern", sollte Kraus sagen, als er wieder unten war. Doch der 22-Jährige behielt die Nerven und sprang besser als Neumayer. Auch im Finaldurchgang gelang ihm ein weiter Satz. 130 Meter und 130,5 Meter - das bedeutete beim Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf einen für ihn respektablen achten Rang.

Zum Jubeln war an diesem Sonntagabend im deutschen Team allerdings niemandem außer Kraus zu Mute. Kraus war besser gesprungen als alle anderen Athleten des Deutschen Skiverbandes.

"Wir konnten nicht mit den Besten mithalten", analysierte Bundestrainer Werner Schuster. Am Morgen danach wählte er auf einer Pressekonferenz deutlichere Worte: "Wir wollten in Oberstdorf auf das Podium, das ist uns nicht gelungen. Das ist ernüchternd." Severin Freund (10.), Andreas Wellinger (29.) und Richard Freitag (33.) blieben hinter den Erwartungen zurück.

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Als Favorit aus der zweiten Reihe gewinnt der Schweizer Simon Ammann das Auftakt-Skispringen der 62. Vierschanzentournee und kann damit weiter vom letzten Titel träumen, der ihm noch fehlt. Die Deutschen zeigen eine ordentliche Mannschaftsleistung, müssen aber feststellen, dass sie mit der absoluten Spitze nichts zu tun haben.

Von Thomas Hahn, Oberstdorf

Kraus war der einzige deutsche Springer, bei dem die Zuschauer bei der Landung zweimal raunten. Der einzige, der im Auslaufbereich lachte. Der einzige, der die breiten Sprungskier so beschwingt trug, als wären sie leicht wie Langlaufbretter.

Vor dem Neujahrsspringen in Garmisch gab er sich optimistisch: "Ich muss da alle Sachen beieinander haben und schauen, dass ich wieder vorne mit drin bin." 50 bis 80 Sprünge habe er in Garmisch bereits absolviert, es sei für ihn "fast die Heimschanze". Der Polizeimeister aus dem oberbayerischen Oberaudorf spricht einen ausgeprägten Dialekt, der Umgang mit den vielen Fans, den Medien bei dieser wichtigsten Skisprung-Veranstaltung ist neu für ihn, er wirkt fast kindlich inmitten des Trubels. Marinus Kraus ist einer, der sich über jeden kleinen Erfolg freut.

Das Wort Tourneesieg nahm jedoch auch er nicht in den Mund. Dafür fehlt seinen Leistungen die Konstanz. Und dafür ist Rang acht auch nicht genug. Zu Beginn der Saison sprang er in Kuusamo überraschend auf den zweiten Rang, doch es folgten Platzierungen im Mittelmaß und zuletzt in Engelberg sogar zweimal nur der 34. Platz.

Für das deutsche Team wird es bei den folgenden drei Springen schwierig, wenn nicht unmöglich, das Ziel zu erreichen, um den Tourneesieg mitzumischen. Sven Hannawald vor elf Jahren war der bislang letzte Deutsche, der die Vierschanzentournee gewann. Das DSV-Team ist zwar in der Breite mittlerweile besser aufgestellt als noch vor ein paar Jahren, doch es fehlt an Athleten, die regelmäßig in die Spitze springen.

Vor Oberstdorf war Severin Freund vom Bundestrainer Schuster als "heißeste Aktie" des DSV-Teams ausgerufen worden, doch nach dem zehnten Platz blickte er beim Sprechen auf den Boden. "Es ist okay, aber auch nicht mehr." Schuster sagte: "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Severin Freund noch neun Leute überholt und die Tournee gewinnt."

Nach dem ersten Sprung hob der zurückhaltende Freund noch einen Finger als Jubelgeste in den Nachthimmel, nach dem zweiten jedoch verstummte das Publikum - und Freund schüttelte den Kopf. "Da war mehr drin", sagte der 25-Jährige und stapfte davon.

Tatsächlich war die Ausgangslage für Freund günstig. Die zu den Favoriten zählenden Kamil Stoch aus Polen und Georg Schlierenzauer aus Österreich kamen nur auf den 13. und neunten Platz. Nur einer jubelte an diesem Sonntag, als habe er bereits die Tournee gewonnen: Sieger Simon Ammann, dem eines in seiner Karriere noch fehlt. der Gewinn der Vierschanzentournee.

DSV-Springer Michael Neumayer freute er sich mit dem Schweizer: "Es wäre saugeil, wenn Ammann den Titel auch noch machen würde, dann würde er sich sauber berühmt machen." Mit einem seiner Mannschaftskollegen rechnet auch Neumayer nicht mehr.

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