Aufschwung des RSC Anderlecht:Nur Barcelona kann mithalten

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Erfolgreich in der Champions League: die Spieler des RSC Anderlecht (Foto: dpa)

Dortmunds Gegner in der Champions League RSC Anderlecht hat seine besten Zeiten eigentlich schon lange hinter sich. Plötzlich spielt die belgische Mannschaft aber wieder einen Fußball, der nostalgische Erinnerungen weckt.

Von Javier Cáceres, Brüssel

Den geballten Stolz auf die eigenen Historie packte die Marketing-Abteilung des RSC Anderlecht in ein Logo. Eine "50" prangt über den Jahreszahlen "1964-2014"; und sie steht dafür, dass der belgische Rekordmeister, an diesem Mittwoch Gegner von Borussia Dortmund in der Champions League (20.45 Uhr, SZ-Liveticker), es gar mit dem FC Barcelona aufnehmen kann. Statistisch gesehen jedenfalls.

In der Tat hat der RSC Anderlecht seit 1964 ununterbrochen an europäischen Fußballwettbewerben teilgenommen, eine Leistung, die in Europa sonst nur Barça aufweisen kann. Gleichwohl: Was sich da aus der Statistik speist, ist bloß ein matter Trost, so gedämpft wie die violette Trikotfarbe des "RSCA". Denn natürlich gibt's da nichts, was sich da vergleichen ließe. Darüber, dass der FC Barcelona in den vergangenen Jahren beispiellose Erfolge gefeiert hat, darüber braucht man an dieser Stelle nicht zu reden.

Anderlecht hingegen ist von jenen Tagen, da der Klub den Kontinent aufmischte und Titel holen konnte, so weit entfernt wie die Kantinen der EU-Institutionen von Guide-Michelin-Sternen. Genau genommen gibt es jene Pokale schon gar nicht mehr: Der Europapokal der Pokalsieger, den Anderlecht 1976 und 1978 holte, ist ebenso auf dem Scheiterhaufen der Geschichte gelandet wie der Uefa-Cup, den Anderlecht im Jahr 1983 mit Champagner füllen durfte.

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Aber selbst das vermag kaum zu illustrieren, dass Anderlecht auf europäischer Ebene schon lange nicht mehr konkurrenzfähig ist; da kann die Zahl der nationalen Meistertitel längst auf 33 gestiegen sein. Bei den letzten sechs Champions-League-Teilnahmen überstand der belgische Rekordmeister nur ein einziges Mal die erste Runde, und das ist auch schon wieder fast 15 Jahre her.

Als der RSC Anderlecht jetzt am ersten Spieltag bei Galatasaray Istanbul (1:1) einen veritablen Auswärtspunkt holte, pumpten violette Herzen voller Aufregung, weil womöglich doch das einzig denkbare Ziel erreicht werden könnte: der dritte Gruppenplatz, er berechtigt zur Teilnahme an der Europa League, dem B-Serien-Turnier des europäischen Fußballs.

Was für ein Riesenerfolg das wäre, zeigt der vorauseilende Seufzer des Fachmagazins Sport/Foot, das vor Beginn dieser Saison schrieb, dass für belgische Klubs in Europa "nur das Olympische Motto" gelte: "Dabeisein ist alles."

Wie auch anders? Belgien ist, seit der Fußball zum Milliardengeschäft mutierte, zur Peripherie geworden, der den Kapitalzentren in England (Premier League), Spanien (Primera División) oder Deutschland bestenfalls als Zulieferer von Rohmaterial dient. "Der belgische Markt ist zu klein", sagt Roger van Gool, einst Kölner Millionen-Einkauf und Veteran aus Tagen, da der belgische Klubfußball erstklassige Spieler aus den Niederlanden wie Rob Rensenbrink oder gar mythisch verehrte Trainer wie Ernst Happel beschäftigte.

Belgien ist ein Elf-Millionen-Einwohner-Land, Anderlecht eine Gemeinde in der Millionenstadt Brüssel, die kaum noch autochthone Bevölkerung hat. 80 Prozent der Brüsseler gelten als Zugereiste in erster oder zweiter Generation, darunter nicht gerade wenige Manschettenknopfträger aus den EU-Institutionen, die sich kaum in die U-Bahn, geschweige denn ins angeblich so verruchte Anderlecht trauen. Läge Anderlecht außerhalb der EU-Grenzen, würden sie vermutlich in ihren Kommissionsbüros Reisehinweise diktieren.

Andererseits: In jüngster Zeit lohnt sich wieder der Blick in das Stade Constant Vanden Stock, benannt nach dem Vater des heutigen Präsidenten Roger Vanden Stock. Die Mannschaft ist verjüngt worden; der albanische Trainer Besnik Hasi, der den Job vor gut einem halben Jahr übernommen und den damals kriselnden RSCA zu Meisterehren geführt hatte, lässt offensiver, schneller, direkter spielen. "Man muss die Proportionen wahren, denn wir werden natürlich nicht den Meisterpokal gewinnen", sagte Präsident Vanden Stock soeben in einem Interview, "aber mich erinnert das alles ein bisschen an das Ajax Amsterdam von Cruyff und Neeskens. "

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In einer Hinsicht wandelt Anderlecht tatsächlich auf der Ajax-Fährte: Seit ein paar Jahren ist der Klub dazu übergegangen, den Nachwuchs besser zu schulen; neulich sorgte die U13 für Furore, als sie die gleichaltrige Vertretung des FC Barcelona bei einem Jugendturnier schlug. Zurzeit gilt Youri Tielemans als der neue belgische Shooting-Star, der Mittelfeldspieler ist gerade erst 17 Jahre alt und sortiert bereits die Angebote der besten Klubs Europas.

Anderlechts Stars sind aber vorerst noch andere: die argentinische Offensivkraft Matías Suárez, der am Wochenende beim 2:0-Sieg gegen Zulte Waregem die Tore schoss, sowie Mittelfeldspieler Steven Defour, der soeben für 6,5 Millionen Euro beim FC Porto abgelöst wurde.

Defour, 26, geriet damit in doppelter Hinsicht in die Schlagzeilen. Er wurde zum teuersten Einkauf der Geschichte Belgiens - und zum Hassobjekt der Ultras gleich zweier Klubs. Defour war bei Standard Lüttich groß geworden; dass er beim Erzrivalen Anderlecht anheuerte, halten sowohl die Standard- wie die Anderlecht-Fans für unverzeihlich. "Nein zu Defour", lautete ein Banner, das die Anderlecht-Fans zu Saisonstart hochhielten. Jedoch, es ward länger nicht mehr gesehen; auch weil Defour der Elf einige Stabilität verleiht. Eine Chance gegen den BVB rechnen sich die Belgier deswegen lange nicht aus.

"Ich würde nur aus einem Grund nicht mein ganzes Geld auf Dortmund setzten: Es ist immer noch Fußball", sagt van Gool. Ein Prozent Unwägbarkeit sei immer drin.

© SZ vom 01.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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