Athlet des Tages (1):Spektakel der Vielfalt

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Staunend im Märchenland: Leichtathletik-Weltmeisterschaften sind eine Chance für Sportler aus den kleinsten und ärmsten Ländern der Welt. Für Quaski Itaia aus Nauru zum Beispiel.

T. Hahn, Berlin

Quaski Itaia marschiert etwas unsicher durch die Interviewzone. Als fühle er sich überfordert von den vielen Eindrücken, die bei der Leichtathletik-WM in Berlin auf ihn einprasseln. Das Olympiastadion mit seinen hohen Tribünen, die vielen Leute, die berühmten Athleten, neben denen er sich vor seinem Vorlauf über 100 Meter am Samstag warm machte - das alles muss ihm so groß und mächtig vorkommen.

Quaski Itaia aus Nauru gehörte zu den Exoten, die über 100 Meter an den Start gingen. (Foto: Foto: Getty)

Und jetzt sieht er, wie die Journalisten über dem Geländer lehnen, um Stimmen von Sportlern aufzufangen, und einer fragt tatsächlich ihn, Quaski Itaia, Feuerwehrmann aus Nauru, nach seinen Eindrücken und nach seinem kleinen Land, das kaum einer kennt.

Quaski Itaia ist ausgeschieden im Vorlauf, natürlich, er hatte keine Chance mit seinen 11,76 Sekunden, die mancher Sprinter hierzulande schon in der B-Jugend ins Ziel bringt. Und trotzdem ist auch er eine wichtige Person bei dieser WM gewesen. Es gibt die Idee von Marketing-Experten, die Vorläufe abzuschaffen und die WM nur noch für die Besten zugänglich zu machen, um das Programm zu straffen.

Es ist keine besonders gute Idee, sie widerspricht dem Geist der Leichtathletik, die den großen Vorteil gegenüber materialintensiven Sportarten hat, dass gerade ihre Laufdisziplinen billig sind und damit auch für ärmste Länder Chancen bietet. Besonders die 100 Meter werden deshalb bei jeder WM zu einem Spektakel der Vielfalt, bei denen Olympiasieger wie Usain Bolt aus Jamaika neben Hobbyathleten antreten, deren Nationen nicht einmal richtig bekannt sind.

Männer, die 100 Meter geradeaus laufen können, gibt es überall, Quaski Itaia zum Beispiel hat sich bei den Meisterschaften von Nauru über 100 Meter durchgesetzt. "Vier, fünf" Landsleute seien angetreten, sagt Itaia, er siegte - nun bereichert er die WM, die tatsächlich Gesichter aus 202 Ländern zeigt.

Die Exoten sind unterschiedlich. Manche haben ein richtiges Sendungsbewusstsein wie Gerald Phiri, 20, der die Abbeydale Grange Highschool in Texas besucht, lange in Sheffield/England lebte, aber für Sambia im Süden Afrikas antritt.

Er ist gar nicht wie ein Exot gerannt, sondern hat sich in Vorlauf Nummer 9 als Zweiter hinter Usain Bolt (10,20) in 10,30 Sekunden für das Viertelfinale qualifiziert. Und er sagt, er wolle ein Vorbild sein für die Jugend seines wirtschaftlich gebeutelten Geburtslandes.

Andere Exoten meiden die Medien so wie Okilani Tinilau aus Tuvalu, dessen Verband die IAAF gerade erst als 213. Mitglied aufgenommen hat. Tinilau war Letzter im Bolt-Vorlauf in 11,57 Sekunden und eilte so wortlos durch die Interviewzone wie Bolt selbst. Wieder andere machen eine fast auf tragische Weise unglückliche Figur, wie Dominic Caroll aus Gibraltar, dessen WM-Auftritt nicht viel länger dauerte als seine Reaktionszeit am Start (0,162 Sekunden). Danach fasste er sich an den Oberschenkel und humpelte davon.

Weiter staunen

Und dann sind da diese Exoten wie Quaski Itaia, Jahrgang 84, der eigentlich auch nicht viel sagen will, der aber zu höflich ist, um einfach weiter zu laufen. Ja, sagt er, diese WM-Teilnahme bedeute "viel Erfahrung" für ihn: "Den Weltmeister zu treffen, mit ihm zu laufen."

Nauru ist ein Zwergstaat mit 12000 Einwohnern aus der Inselwelt Mikronesiens im Pazifik. Der moderne Hochleistungssport muss den Menschen auf Nauru vorkommen wie eine entfernte Vision. Daran liegt es wohl, dass Quaski Itaia so seltsam abwesend wirkt, als irre er immer noch gedankenverloren durch ein buntes Märchenland.

Er sagt, bis Donnerstag werde er bleiben. Ins Stadion gehen, weiter staunen. Und am Sonntag das zweite Mitglied der Leichtathletik-Nationalmannschaft von Nauru anfeuern. Rosa Mystique Jones, Teenager mit einer 100-Meter-Saisonbestzeit von 12,61 Sekunden, die so chancenlos sein wird wie Quaski Itaya und trotzdem schon jetzt zu den Gewinnern der WM zählt.

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