Australian Open:Überrollt vom "total California girl"

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Angelique Kerber: Machtlos in Melbourne (Foto: Getty Images)

Fahrig, unsicher, mutlos: Angelique Kerber spielt im Achtelfinale der Australian Open wie vor ihrem großen Aufstieg. Coco Vandeweghe bestraft das mit dem ihr eigenen Selbstbewusstsein.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Auf dem Bildschirm wurde die Uhrzeit angegeben, wann Angelique Kerber erscheinen sollte. 0.50 Uhr. Coco Vandeweghe war für 1.00 Uhr angesetzt. Zehn Minuten später nur, und da war schon klar: Allzu lange wollte die Deutsche nicht mehr Stellung nehmen, und das musste sie auch nicht. Ihre Erklärungen waren recht einfach, warum sie, die Titelverteidigerin, die Gewinnerin der Australian Open 2016, in diesem Jahr nicht einmal übers Achtelfinale hinausgekommen ist: "Es war nicht mein Tag und nicht mein Match", sagte sie, und das ließ sich tatsächlich prägnant am Ergebnis ablesen: Mit 6:2, 6:3 hatte die Amerikanerin Vandeweghe, nach eigener Aussage ein "total California girl" und bekanntermaßen mit Selbstbewusstsein bis zum Mond ausgestattet, Kerber chancenlos zurückgelassen. "Mein Plan ging auf", sagte sie, als wäre es das Normalste, eine Nummer eins zu besiegen.

Vandeweghe hat dann zwar rasch nachgeschoben, dass es doch "recht speziell" sei, gegen die Beste gewonnen zu haben, aber als sie den Nachsatz: "Das nehme ich an", aufreizend nachschob, klang das, als hätte sie den Sieg schon in ein Päckchen gepackt, samt Schleife, und nach Rancho Santa Fe geschickt, wo sie lebt.

Eine höchst eigenwillige Abwicklung dieses Duells war das von beiden Seiten, denn sie hatten, jede für sich, außergewöhnliche Leistungen gezeigt: Vandeweghe, eine ohnehin fanatische Kämpferin, stets mutig auf dem Platz mit der Lust auf Risikoschläge, glückte sehr, sehr viel. Kerber spielte fahrig, unsicher, mutlos. Sie spielte wie jene Kerber, die sie eigentlich abgelegt hatte bei ihrer Häutung vor zwölf Monaten, als sie aus sich selbst eine kraftvolle, siegreiche, offensive Akteurin geformt hatte. Es folgte eine Saison, in der sie Tennisgeschichte schaffte, mit dem zweiten Grand-Slam-Titel noch bei den US Open, dem Aufstieg zur Nummer eins, Olympia-Silber, Sportlerin des Jahres.

"Sie kam nie wirklich ins Spiel", resümierte Boris Becker als Experte bei Eurosport, "man hat bei Kerber nie erkannt, dass sie wirklich daran glaubt. Auch das letzte Aufbäumen war nicht da. Das hat mir ein bisschen gefehlt." Die kurze Spieldauer von nur 1:07 Stunden spiegelte wider, wie wenig Kerber im Match war. Im zweiten Satz hatte sie zwar das Break zum 2:0 geschafft und auf 3:1 erhöht, aber umgehend erfolgte die Wende. "Sie hat das Spiel in die Hand genommen", sagte Kerber, der wenig einfiel, um tiefergehend die Niederlage erklären zu können. Sie wirkte leer, müde, ratlos. Sie wusste auch nicht, wie es jetzt überhaupt für sie weitergehe. Sie wusste immerhin: "Man kann nicht zwei Wochen sein bestes Tennis spielen. An Tagen wie heute muss man durch. Das hat nicht gereicht." Das stimmte.

Einen Vorteil hat ihr Aus vor der zweiten Turnierwoche: Sie muss jetzt nicht mehr Fragen beantworten, wie es ist, als Nummer eins und Siegerin des Vorjahres mit dem Druck umzugehen. Kerber hatte sichtlich zu kämpfen von Beginn an, um sich freier zu fühlen. Nach zwei Dreisatzsiegen, in denen Schwächen nicht zu leugnen waren, schien sich die 29-Jährige aus Kiel mit dem Erfolg gegen die Tschechin Kristyna Pliskova wieder jener Leichtigkeit und Aufgeräumtheit anzunähern, mit der sie im Januar 2016 so begeistert hatte. "Ich glaube, ich muss ein bisschen darüber nachdenken, was die letzten Wochen passiert ist", sagte Kerber nun.

SZ-Grafik; Quelle: Australian Open (Foto: aussieplan)

Sie hatte ja von "neuen Challenges" gesprochen, die auf sie in dieser Saison zukommen. Melbourne hat ihr schon mal ein konkreteres Gefühl für diese Herausforderungen gegeben, wobei nicht alle Bühnen so bedeutsam und groß sein werden wie jetzt. "Ich kann immer noch ein gutes Jahr spielen", sagte sie vorausblickend. Die Nummer-eins-Position könnte sie indes schon in einer Woche verlieren, dann nämlich, wenn die Amerikanerin Serena Williams das Turnier gewinnt. "Das ist nur eine Zahl vor meinem Namen", sagte Kerber, "es liegt jetzt nicht mehr in meinen Händen."

Ausgeschieden ist auch Mona Barthel, sie verlor gegen Serenas Schwester Venus 3:6, 5:7. Die 26-Jährige hatte sich als Qualifikantin vorgekämpft und wird sich auf den 111. Weltranglistenplatz verbessern. Sie könnte im Februar das Fed-Cup-Team auf Hawaii gegen die USA verstärken. "Ich muss sehen, wie mein Körper alles verarbeitet", sagte Barthel, bei der vor einem Jahr eine Viruserkrankung diagnostiziert worden war.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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