Amerikanischer Profi in Afghanistan:"High profile target" auf dem Fußballplatz

Lesezeit: 3 min

Für einen Tag Frieden: Afghanische Fußballfans beim Länderspiel zwischen Afghanistan und Pakistan in Kabul (Foto: REUTERS)

300 Dollar Gehalt, ein winziges Zimmer, Selbstmordanschläge in der Stadt: Nick Pugliese spielt als erster US-Amerikaner in der afghanischen Fußball-Liga. Der 23-Jährige ist fasziniert von der Sportbegeisterung im Land - dafür nimmt er viele Gefahren in Kauf.

Von Johannes Knuth

Seinen größten Triumph als Fußballer verfolgte Nick Pugliese von der Ersatzbank aus. Im Mai 2013 war er mit seinem Klub Ferozi FC ins Finale des Kabul Cups eingezogen, der afghanischen Version des DFB-Pokals. Pugliese trottete nach 60 Minuten vom Feld. An der Seitenlinie verfolgte er, wie seine Mannschaft im Elfmeterschießen gewann. Pugliese und seine Mitspieler stürmten aufs Feld, sie erdrückten sich fast.

"Es gibt nichts Besseres, als einen Titel zu gewinnen, egal, wo du spielst", sagte Pugliese später, "in dem Moment war ich endgültig Teil der Mannschaft."

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Ein halbes Jahr später wohnt Nick Pugliese wieder bei seiner Familie in Rochester, US-Bundesstaat New York. Die afghanische Profiliga hat Winterpause. Im Sommer wollte der 23-Jährige seine Geschichte noch nicht erzählen: zu gefährlich. Nun berichtet Pugliese. Wie er als erster Amerikaner seit der Invasion der US-Armee in der afghanischen Profiliga anheuerte. Wie er damit sein Leben gefährdete. Wie er für seinen Mut belohnt wurde.

Im Sommer 2012 zieht Pugliese nach Kabul. Er hat fertig studiert, er war Kapitän der Fußballauswahl seiner Uni. Nun soll er Software für eine Telekommunikations-Firma entwickeln. Pugliese sagt: "Es gibt so viele Stereotype über Afghanistan. Ich wollte herausfinden, wie es wirklich ist."

Pugliese lebt in einer bewachten Anlage mit einer Fitnesshalle, einer Cafeteria, einem eigenen Apartment, für 3000 Dollar im Monat. Wenn er essen gehen will, kaufen die Sicherheitsleute für ihn ein. Wenn er abends eine Bar besuchen möchte, fährt ihn ein Sicherheitsmann hin und holt ihn wieder ab. Wenn er zu Fuß gehen will, sagen sie ihm: zu gefährlich. So geht das jeden Tag. Neun Monate lang. "Ich habe kaum mitgekriegt, dass ich in einem anderen Land lebe", sagt Pugliese.

Fußball oder Job

Er spielt heimlich Fußball auf einem Bolzplatz, mitten in Kabul. Der Platz war einmal ein Basketballfeld, die amerikanischen Soldaten hatten es gebaut, und als die Amerikaner gingen, trugen die afghanischen Jugendlichen zwei Tore auf das Feld und spielten Fußball. Pugliese versteht die Sprache nicht, die Afghanen sprechen kein Englisch. Aber alle verstehen Fußball.

Einer der Afghanen spielt für Ferozi FC, ein Klub der Kabul Premier League (KPL). Er nimmt den Amerikaner mit zum Training. Der Trainer bietet ihm einen Vertrag an, für umgerechnet 300 Dollar im Monat, dazu eine Wohnung. Pugliese fragt die Vorgesetzten seiner Firma, ob Beruf und Fußballtätigkeit vereinbar wären. Seine Chefs sagen: Entweder der sichere Job, oder eine Fußballkarriere ohne Absicherung.

"Ich habe zwei Wochen gewartet", sagt Pugliese, "aber ich wusste sofort, was ich machen würde."

Er informiert seine Familie. "Es gab ein paar Vorbehalte", sagt er. "Ich dachte, er wollte mich veräppeln", sagt seine Mutter Kim, "aber es war seine Entscheidung." Pugliese zieht in eine kleine Wohnanlage, dem Eigentümer seines neuen Klubs gehören ein paar Gästezimmer, mit Bett, Schreibtisch, Regal, einem Wachmann mit Gewehr vor der Haustür.

Pugliese lebt jetzt vom Fußball. Dreimal pro Woche ist Training. Es gibt keine Umkleiden, keine Physiotherapeuten, keine Garantien. Wem das Kreuzband reißt, der muss in der Regel seine Karriere beenden. Bei Heimspielen im Ghazi-Stadion bleiben viele Zuschauer fern, der Ort sei "verflucht", sagen sie. Als die Taliban an die Macht kamen, erschossen sie im Ghazi in den Halbzeitpausen die Gefangenen.

Pugliese wird Stammspieler bei Ferozi, eine von 14 Mannschaften der KPL, einer privaten Profiliga. Das Niveau ähnelt einer College-Liga. Ferozi spielt ein 4-4-2-System, Pugliese ist Sechser. Theoretisch. "Es war mehr ein 5-5", erinnert er sich, "eine Reihe hat angegriffen, eine verteidigt." Hatte er je Probleme als Amerikaner? "Überhaupt nicht", sagt Pugliese. Er hält die Defensive zusammen, das zählt. Nach den Spielen zeigen seine Teamkameraden ihm die Stadt, laden ihn zum Essen ein. "Fußball", sagt Pugliese, "hat das ermöglicht."

Im Mai 2013 gewinnt Ferozi den Kabul Cup.

Pugliese fühlt sich akzeptiert, sicher, auch als Amerikaner, als "high profile target". Wenn ein Selbstmordattentat die Stadt aufschreckt, ändert er seine Gewohnheiten. Er kleidet sich wie die Einheimischen, lernt die Sprache. "Das Wichtigste ist", glaubt er, "dass du die Kultur respektierst. Das klingt vielleicht naiv, aber ich glaube, das hat mich verschont."

Freudenschüsse, stundenlang

Kurz darauf, am 11. September 2013, zwölf Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center, gewinnt die afghanische Nationalmannschaft gegen Indien die Südasien-Meisterschaft, mit einigen Teamkameraden von Pugliese. Die Südasien-Meisterschaft ist vermutlich höchstens in Südasien bekannt, für Afghanistan gibt es an diesem Tag nichts Wichtigeres. Es ist der erste internationale Titel für die Fußball-Nationalmannschaft.

Nach dem Spiel strömen Hunderttausende Menschen ins Freie, feuern mit ihren Sturmgewehren in den Himmel, stundenlang. "Ich weiß nicht, ob Fußball Afghanistan vereinigen kann", sagt Pugliese, "aber an dem Tag war das Land für einen Moment vereinigt."

Anfang Dezember zieht Ferozi FC ins Playoff-Finale der Liga ein, Pugliese verwandelt im Halbfinale den entscheidenden Elfmeter. Das Finale verlieren sie 0:1. Kurz darauf kehrt der 23-Jährige in die USA zurück. Im kommenden April wählen die Afghanen, danach entscheidet er, ob er zurückgeht. Seine Familie will nicht. Pugliese überlegt, einen Dokumentarfilm zu produzieren, falls er zu Hause bleibt, "ich weiß noch nicht so recht, was ich als Nächstes machen werde", sagt er.

Ziemlich sicher ist: Es wird etwas mit Fußball in Afghanistan zu tun haben.

© SZ vom 16.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: