Football-Spieler Ben Roethlisberger:Der umstrittenste Mann im US-Sport

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Steelers-Quarterback Ben Roethlisberger (rechts, neben Linebackers-Trainer Joey Porter) sorgt im US-Sport für hitzige Diskussionen. (Foto: imago/ZUMA Press)

Als wehrhafter Quarterback wird Ben Roethlisberger in Pittsburgh geschätzt. Aber um ihm unbeschwert zuzujubeln, ist sogar Fans seine Vergangenheit zu finster.

Von Jürgen Schmieder, Kansas City/Los Angeles

Ein riesiges Fragezeichen. Das würden die Menschen sehen, wenn der Zeugwart der Pittsburgh Steelers einen Punkt unter der Rückennummer von Spielmacher Ben Roethlisberger anbringen würde. Ein Fragezeichen statt der Ziffer "7", es wäre ein Symbol dafür, was viele Amerikaner vor der Playoff-Partie der Steelers bei den Kansas City Chiefs über die polarisierendste Figur im US-Sport denken: Sie wissen einfach nicht, was sie von diesem Typen halten sollen.

Wenn es nur nach dem Sport ginge, müsste auf das Trikot des Quarterbacks ein Ausrufezeichen gemalt sein. Ben Roethlisberger ist ein Straßenfootballer, ein Haudegen. Einer, der Gegenspieler mühelos abschüttelt und Passempfänger intuitiv bedient. Ein Anführer, der Kollegen nach Fehlern nicht anschreit, sondern sie, viel wirkungsvoller, mit einem bösen Blick bestraft.

In den vergangenen 13 Jahren hat er seinen Verein acht Mal in die Playoffs, drei Mal ins Finale und zu zwei Meisterschaften (2006, 2008) geführt. Die Steelers gelten auch in dieser Saison als aussichtsreicher Kandidat auf den Titel in der amerikanischen Footballliga NFL. Wegen Running Back Le'Veon Bell. Wegen Receiver Antonio Brown. Und wegen Quarterback Ben Roethlisberger, den sie in Pittsburgh liebevoll "Big Ben" nennen.

Der jüngste Super-Bowl-Quarterback der NFL-Geschichte

Der große Ben wuchs in einem Kaff im Bundesstaat Ohio auf. Im Sport war er immer der Beste - und entwickelte so schon früh jenes Anspruchsdenken, das zahlreichen Sportlern irgendwann zum Verhängnis wird: Es hat die Zuschauer nicht zu interessieren, was ein Sportler von Montag bis Samstag treibt - solange er am Sonntag das große Spiel gewinnt.

Wie soll einer auch Bescheidenheit lernen, wenn er schon als Teenager gewohnt ist, dass sich beim Betreten eines Raumes alle Anwesenden nach ihm umdrehen?

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Bei Roethlisberger kam erschwerend hinzu, dass er im Jahr 2004 sehr schnell Stammspieler bei den Steelers wurde, und eine Saison später der jüngste Super-Bowl-Quarterback der NFL-Geschichte. Drei Spielzeiten darauf, im Alter von 25 Jahren, gewann er durch einen präzisen Pass kurz vor Schluss seinen zweiten Titel. So einem werden im US-Sport gerne übermenschliche Kräfte zugesprochen, er wird zur unverwundbaren Gottheit erklärt. Wen interessiert da schon, dass er seine Rechnungen in den Restaurants und Bars von Pittsburgh nicht bezahlte, dass er seine Begleiterinnen öfter wechselte als seine Bettwäsche, dass er auch seine Mitspieler nicht respektierte? Alles egal, solange er Trophäen nach Hause brachte?

Nun, und das müssen zahlreiche Sportler während ihrer Karriere erfahren: Es interessiert die Leute immer dann, wenn einer die großen Spiele nicht mehr gewinnt. Oder wenn die Anschuldigungen derart schwerwiegend sind, dass selbst große Spiele plötzlich sehr klein werden.

Ben Roethlisberger wurde zwei Mal vorgeworfen, Frauen vergewaltigt zu haben: 2008 in einem Hotel in Nevada und zwei Jahre später in einem Night Club in Georgia. Im ersten Fall einigte sich Roethlisberger außergerichtlich mit der Klägerin, im zweiten Fall wurde keine Anklage erhoben. Er wurde nie verurteilt, und doch wurden in der Wahrnehmung auf einen Schlag all jene Charakterschwächen bedeutsam, die zuvor niemanden interessiert hatten: Kollegen beschwerten sich über Arbeitsmoral und Arroganz, Steelers-Legende Terry Bradshaw forderte seine Entlassung. In seiner Heimatstadt erzählten die Einwohner den Zeitungen und Sendern, dass sich Roethlisberger schon immer für was Besseres gehalten habe. Das traf ihn besonders. Seit 2010 ist im Jahrbuch der Steelers als Geburtsort nicht mehr die Kleinstadt Findlay angegeben, sondern Cory Rawson. Der Ort existiert gar nicht.

Ach ja: Seit 2008 haben die Steelers keine Meisterschaft mehr gewonnen.

Wie die Geschichte weitergeht, ist aber mindestens erstaunlich: Roethlisberger ist seit 2011 mit der tief religiösen Arzthelferin Ashley Harlan verheiratet, das Paar hat drei Kinder und erfüllt kranken Kindern scheinbar unrealistische Wünsche. Er gilt nun als vorbildlicher Mitspieler, der sieben Jahre jüngere Center Maurkice Pouncey sagt gar: "In dem Moment, in dem Ben aufhört, wird auch meine Karriere vorbei sein." So was freilich lieben sie in den USA, diese Geschichte wird in Hollywood immer wieder erzählt, von Billy Wilders "Sunset Boulevard" über "Rocky III" bis hin zu "Cocktail": Wenn der hochnäsige Protagonist geschmäht am Boden liegt, sich entwickelt und am Ende als geläuterter Held obsiegt. In der Geschichte von Roethlisberger steckt viel, was auch im amerikanischen Wesen zu finden ist.

Seinen Wandel zum liebevollen Vater finden nicht alle authentisch

Fehlt nur noch das fröhliche Ende. Der dritte Titel mit den Steelers. Er hat diesen Verein nach einer Knieverletzung zu Saisonbeginn auf seine Schultern genommen, beinahe alleine in die Playoffs getragen - und soll ihn bis ins Endspiel führen. "Der erste Gegner bringt ihn nie zu Fall", sagt Verteidiger Arthur Moats, der vier Jahre lang gegen Roethlisberger gespielt hat: "An diesem Typen prallen 130-Kilo-Brummer einfach ab, er hält sich für unverwundbar und ist es deshalb auch."

Das freilich behaupten auch seine Kritiker: Er habe sich als privilegierter Sportler von den Vergewaltigungs-Vorwürfen freigekauft und den Wandel vom ekligen Playboy zum liebevollen Familienvater nur deshalb vollzogen, um als Footballer weiterhin Millionen verdienen zu dürfen. Roethlisberger spricht, obwohl er nun netter zu Journalisten ist als früher, nicht über seine Vergangenheit, er sagt nur: "Ich weiß, dass ich mich verändert habe, vor allem seit der Geburt meiner Kinder. Was andere über mich denken, kann ich nicht beeinflussen. Jeder hat das Recht auf seine Meinung." Es wird am Sonntag zahlreiche Fans geben, die keine "7" auf dem Trikot von Roethlisberger sehen, sondern ein riesiges Fragezeichen.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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