Abstimmung über HSVPlus:Hamburger Revolution

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Große Zustimmung für die Reform: die Mitglieder des Hamburger SV. (Foto: dpa)

AG für die Profis, Öffnung für Investoren: 86,9 Prozent der Mitglieder des Hamburger SV stimmen für eine umfangreiche Strukturreform und schaffen große Teile ihrer eigenen Mitbestimmung ab. Nun wird das Personal neu sortiert.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Es hörte sich in der Arena am Volkspark an, als habe der Hamburger SV am Sonntag um 16.33 Uhr gerade ein noch wichtigeres Tor geschossen als Pierre-Michel Lasogga eine Woche zuvor beim Relegationsspiel in Fürth für den Klassenerhalt. Es war der Jubel von 86,9 Prozent der 9702 Mitglieder, die bei der bisher größten Vereinsversammlung des Klubs beschlossen hatten, die Fußball-Profiabteilung als AG auszugliedern und für Investoren zu öffnen.

Dieser Jubel wurde noch übertroffen, als der designierte Aufsichtsratsvorsitzende Karl Gernandt noch eine Bemerkung zu Dietmar Beiersdorfer machte. Ja, sagte Gernandt: "Didi hat uns die Hand gegeben" - um künftig als Vorstandsvorsitzender die Geschäfte zu leiten. Man werde sich mit dem äußerst populären früheren HSV-Manager, der derzeit noch bei Zenit St. Petersburg unter Vertrag steht, sofort zusammensetzen, um zu besprechen, wie die nächsten Tage ablaufen.

Gernandt, Intimus von HSV-Gönner Klaus-Michael Kühne, hatte triumphierend die Bühne entern wollen, wurde aber zunächst von einem Ordner aufgehalten. Der kannte den von nun an wichtigsten HSV-Mann im Hintergrund nämlich noch nicht. Während Ernst-Otto Rieckhoff, der frühere Aufsichtsratschef und Initiator der am Sonntag erfolgreichen Reformbewegung HSV Plus, davon sprach, Gewinner sei allein der HSV, entwarf Gernandt schon mal eine mittelfristige Zielsetzung. In drei Jahren, so sein Versprechen, solle der Klub wieder eine "solide Mannschaft" haben und in der "Transferperiode wieder mit breiterer Brust auftreten". Dann würden auch die derzeitigen Gegner, die sich in Kritik an diesem Konzept "verrannt" hätten, anders darüber denken.

Dabei hatte es durchaus Fragen gegeben zu dem neuen Modell, an dem nach Vorstellung der Initiatoren nichts mehr geändert werden durfte, weil es ein geschlossenes System sei. Viele Mitglieder, die dennoch Fragen stellten, wurden ausgepfiffen oder ausgebuht. Der frühere Präsident Jürgen Hunke musste sich sogar "Hunke-raus"-Rufe anhören.

Dagegen bekam der aktuelle Vorstand um Carl-Edgar Jarchow, überraschend nicht nur Gernandts Beifall, sondern auch den der Anwesenden, weil er die Umwandlung mit Juristen und Steuerprüfern vorbereitet hatte. Dabei waren viele auch deshalb gekommen, um Jarchow in den nächsten Tagen in die Wüste zu schicken. Und er selber musste Worte zum neuen Modell finden, das ihn als Klubchef sozusagen abschafft.

Schnell machten die Anhänger klar, dass sie in einer kompletten Neuaufstellung des Klubs den einzigen Weg aus der Krise sehen, obwohl ihre eigene Mitbestimmung in vielen Teilen abgeschafft wurde. 75 Prozent Zustimmung hätten für diesen neuen Weg gereicht. Es wurden 86,9. Ein Vertagungsantrag von Rainer Ferslev, Anwalt für Insolvenzrecht, der wie Hunke eine sechs- bis achtwöchige Bearbeitung des Entwurfs ermöglichen wollte, wurde mit 89 Prozent Stimmen abgelehnt.

Der frühere Aufsichtsratschef Manfred Ertel sprach von einer "Nordkorea-Klausel". Denn die Meinungsfreiheit werde durch die neue AG deutlich eingeschränkt: Künftig sollten zum Beispiel alle Beiträge, die in der Mitglieder-Zeitschrift supporters news erscheinen, genehmigt werden. Streit gab es auch um das Stadion, das der AG ebenso zugeteilt werden soll wie das Vereinsemblem, die Raute, die für mögliche Investoren am interessantesten ist. Einer sprach gar von einer "feindlichen Übernahme".

Christian Strauß, bisher im Finanzausschuss des Aufsichtsrates, meinte, das sei alles "von langer Hand vorbereitet", vom früheren Klubboss Bernd Hoffmann und heutigen Marketing-Vorstand Joachim Hilke angefangen. Bald würde die Vermarktungsagentur Sportfive noch größer einsteigen und dann kämen die Hedgefonds. Hilke hingegen, auch ein Kandidat für den neuen AG-Vorstand, sagte: "Wir wollen keine Investoren, die es auf Finanzrendite abgesehen haben."

Wie sehr das interne Klima im HSV vergiftet ist, zeigte sich auch, als Jarchow erklärte, das Auswärts-Ticketing werde den Supporters nicht weggenommen, obwohl das mit dem neuen Statut möglich wäre. Darauf erwiderte Ertel nur: "Das sind ungedeckte Schecks." Mit vielen der 33 Amateur-Abteilungen ist offenbar gar nicht über die Umwandlung geredet worden.

Wann die neue HSV-Führung antreten wird, ist unklar. Der bisherige Sportchef Oliver Kreuzer zeigte sich schmallippig. Er werde "Kontakt zu Didi aufnehmen und warten, wie dieser sich entscheidet." Der neue sechsköpfige Aufsichtsrat mit den früheren Profis Thomas von Heesen und Peter Nogly soll spätestens am 1. Juli antreten, wenn das alte Gremium geschlossen zurückgetreten ist. Erstes frisches Geld könnte bald eintreffen beim hoch verschuldeten Klub. Etwa jene 20 Millionen Euro, die Kühne versprochen hat. Auch der Schuhpartner hat mit einem Signing fee von mehr als sechs Millionen Euro seinen Vertrag verlängert. Es kann also offenbar nur aufwärts gehen, es sei denn, die Kritiker bekommen recht.

© SZ vom 26.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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