1. FC Nürnberg: Almog Cohen:Ein Israeli in Nürnberg

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Heimspiele in Rufweite zum ehemaligen Reichsparteitagsgelände: Der Fußball-Profi Almog Cohen ist der erste Israeli beim 1. FC Nürnberg. Seine zwei besten Freunde im Team sind Muslime.

Jonas Beckenkamp

Wenn Almog Cohen sagt, er sei müde vom Training, will man ihm erst gar nicht glauben. Die Augen kneift er wegen der Nürnberger Frühjahrssonne zu, aber sein Gemüt ist wach, und man merkt, dass es diesem jungen Mann gerade kaum besser gehen könnte.

"Ich bin Fußballer und mir gefällt es hier - für alles andere gibt es Politiker": Almog Cohen, erster Israeli beim 1. FC Nürnberg. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Cohen spielt beim 1. FC Nürnberg, den Trainer Dieter Hecking kürzlich als eindrucksvollen "Kindergarten" geadelt hat. Das war nach dem 1:1 auf Schalke, wo der Verein zwar ausnahmsweise nicht gewonnen, aber ein ordentliches Spiel abgeliefert hatte. Es läuft bei den Franken. Nur Dortmund ist in der Rückrunde besser. Auf den fünften Tabellenplatz fehlen Nürnberg nur drei Punkte, und dort befindet sich der FC Bayern.

Einen wie Cohen könnten die Münchner derzeit gut gebrauchen. Er beackert das defensive Mittelfeld, als gäbe es dort Bonuspunkte für jeden gelaufenen Meter. Gerne grätscht er auch mal gattusomäßig dazwischen. Vergleiche mit der kalabrischen Kneifzange vom AC Mailand hört Cohen auch wegen seiner Zottelfrisur und der kurzen Beine häufig. Er nimmt sie als Kompliment. "Ich habe noch nichts gewonnen, und er ist ein großer Spieler, der Erfolge vorzuweisen hat. Aber ich bin natürlich Almog Cohen und nicht Gattuso."

Israels Gattuso stammt aus Ber'Scheva, gelegen zwischen dem Gaza-Streifen und dem Südzipfel des Westjordanlandes. Er ist der einzige jüdische Profi der Bundesliga - und das in Nürnberg, der einstigen Stadt der Reichsparteitage. Nur ein paar Schritte vom Frankenstadion entfernt befinden sich noch heute, 66 Jahre nach Kriegsende, faschistische Gemäuer, Torbögen und Prachtstraßen aus Nazi-Zeiten. Hier hetzte Hitler gegen Juden, hier wurden die Rassengesetze verabschiedet.

Hier spielt jetzt Almog Cohen, 22, der aufgeweckte Israeli mit dem Ziegenbärtchen.

Cohen sagt: "Ich bin Fußballer, und mir gefällt es hier. Für alles andere gibt es Politiker." Sein Glaube, seine Herkunft - was bedeutet das hier? Cohen wiederholt: "Mir geht es um den Sport. Und den sollte man nicht mit der Politik vermischen."

In fast jedem Interview muss er über das Thema sprechen, und viele erwarten, dass er den Völkerverständiger gibt. Er hat angemessene Antworten parat. "Vielleicht reden wir irgendwann nicht mehr nur über Politik. Beim Sport ist es egal, ob du schwarz, weiß, Muslim oder Jude bist."

Der 1. FC Nürnberg hat eine antisemitische Geschichte. Ab 1932 wurde der Verein, damals stolzer Rekordmeister, von den Nazis vereinnahmt. Nach einem verlorenen Meisterschafts-Halbfinale gegen die Bayern hetzten NSDAP und "Stürmer" den jüdischen Trainer Jenö Konrad aus dem Amt: "Klub! Besinn Dich und wache auf. Gib Deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem", schrieb das Propagandablatt. Konrad rettete sich und seine Familie nach New York. Ein Jahr später beschloss der Verein, alle jüdischen Mitglieder auszuschließen.

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Heute hängen bei Heimspielen israelische Fahnen in der Fankurve. Almog Cohen ist der erste Israeli beim "Club", und er fühlt sich wohl.

"Antisemitismus habe ich in Deutschland nicht eine einzige Sekunde gespürt - auch nicht in gegnerischen Stadien", sagt er. "Das ist heute ein ganz anderes Deutschland." Freunde und Familie haben ihn bei seinem Wechsel im vergangenen Jahr unterstützt. Er suchte damals die große Karriere als Profi, darum kam er nach Deutschland. "Die Bundesliga ist eine der drei Topligen in der Welt. Als ich erfuhr, dass mich ein deutscher Erstligist wollte, war das eine Riesensache. Hier wird sehr hart gearbeitet. Das ist genau mein Ding." Malocher-Mentalität - das suchte er. Er kannte das von Lothar Matthäus, der 2008 seinen Verein Maccabi Netanya trainiert hatte. "Matthäus war sehr professionell. Nach jedem Training nahm er mich beiseite und übte mit mir das Passspiel. Immer wieder musste ich ihm zentimetergenau den Ball zuspielen."

Als Cohen zu Vertragsverhandlungen mit seinem Vater nach Franken kam, vermittelte der Verein einen Kontakt zur israelitischen Kultusgemeinde. Deren Vorsitzender Arno Hamburger unterstützte den Spieler beim Einleben. "Das ist natürlich etwas Besonderes für einen Israeli, der ausgerechnet nach Nürnberg kommt", sagt er.

Heute ist Cohen mit Hamburgers Sohn Joachim befreundet, man hilft sich. "Aber Almog ist unpolitisch. Für seinen Vater war das anfangs schwerer", erzählt Joachim Hamburger: "Als der hier stand und erfuhr, dass Hitler vor dem Stadion Reden hielt, hat ihn das schon aufgewühlt." Weil im Supermarkt koschere Lebensmittel Mangelware sind, holt sich der Spieler zweimal pro Woche Krauttaschen von Hamburgers Frau.

Überhaupt, das Essen. Beim Mannschaftsbankett ist es für Cohen praktisch, dass auch zwei Moslems bei Nürnberg unter Vertrag stehen, Ilkay Gündogan und Mehmet Ekici. Die essen wie er kein Schweinefleisch. Beide sind heute Cohens beste Kumpels.

"Vielleicht sollten alle einfach mit dem Fußballspielen beginnen. Dann wären die Konflikte gelöst", sagt Cohen und wird kurz politisch. "Aber so ist die Welt leider nicht."

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