Sprachlabor (258):Stark pfeffrig

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Ein gekochtes Hühnerei, aufgeschlagen im Eierbecher. (Foto: Martin Gerten/dpa)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger behandelt Sprachschmerzen.

DER NUR ALS BEISPIEL gedachte Satz "Sie schlug die Augen und das Frühstücksei auf" lässt die Fülle der Bedeutungen erahnen, die in dem Verb aufschlagen stecken. Außer den Augen und dem Ei kann man das Quartier, ein Buch, den Ball oder sich das Knie aufschlagen, und dass es damit noch lang kein Ende hat, beweist der von Leser M. verwundert wiedergegebene Satz: " Die erste Band ist vor ein paar Takten erst aufgeschlagen, der Regen bereits das achte Mal." Es handelt sich hier um einen Sprachjux, nämlich um die ironische Übertragung eines an sich nicht sehr lustigen Vorgangs aufs Alltäglich-Menschliche, bei der aus "Die Maschine ist hart aufgeschlagen" die banale Ankunftsmeldung "Bin eben in der Lilienstraße aufgeschlagen" wird. Scherze dieses Schlags wirken stark pfeffrig und müssen behutsamst dosiert werden.

EIGENTORE kommen immer wieder vor, doch während der Fußball-WM sollte Gnade herrschen. Einige Leser haben nach gutem Schiedsrichterbrauch gepfiffen, als im Sprachlabor formal und formell auf etwas blamable Weise verwechselt wurden. Der Merksatz "Kriminaler war Krimineller" hätte den Lapsus vielleicht verhindert.

MANCHMAL STOSSEN SOGAR PROFESSOREN an ihre Grenzen. Einer von ihnen, unser Leser Dr. H., will wissen, warum alle Welt die Gewerkschaft Ver.di wie den Komponisten Verdi ausspricht, also mit anlautendem "W". Da diese Frage nichts fürs Labor ist, sei sie zuständigkeitshalber an Karl Valentin weitergegeben, der die Aussprache seines Namens als "Walentin" mit dem Hinweis bekämpfte, dass man auch keinen "Wogel" habe, sondern einen "Fogel".

SPRACHSCHMERZEN sind manchmal nur Phantomschmerzen, und so könnte es sich auch beim Kollegen H. verhalten, den "die zunehmende Überhandnahme des Wortes zunehmend im Sinn von Die Welt wird zunehmend kleiner " nervt. Das Partizip zunehmend in der Bedeutung von immer weiter, immer mehr ist indes keine marottenhafte Neuerung. Als Schiller an Goethe gemeldet hatte, dass Frau und Kind wohlauf seien, antwortete dieser: "Möge es zunehmend so fortgehen." Bei uns kam der Dichter Moritz Rinke mit der Bemerkung zu Wort, dass Jogi Löw "zunehmend auf den Tribünen der Stadien sitzt". Kollege H. sinniert seitdem, ob der Bundestrainer dicker geworden sei, ohne dass es jemandem auffiel.

© SZ vom 12./13.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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