Sprachlabor (40):Der Unterschied zwischen nur weihen und einweihen

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger über die Doppeldeutigkeit von Untiefe.

Hermann Unterstöger

DIE SHOW "HART ABER FAIR" wirbt mit dem Slogan "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft", was insofern fragwürdig ist, als ja Politik nichts per se Unwirkliches ist. Wie auch immer: Dann und wann trifft auch das Sprachlabor aufs pralle Leben, beispielsweise wenn sein Verfasser auf einer Holz-Messe gefragt wird, ob man bei der SZ jetzt völlig verrückt geworden sei.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: ag.dpa)

Der Zorn des Lesers gründet sich auf einen Bericht, wonach irgendwo eine Papstsäule "eingeweiht" worden sei, während doch jedermann wisse, dass eine Papstsäule kein Gebäude sei, das man betreten könne. Man könne aber nur Objekte, in die man hineingehen könne, auch einweihen - alles andere könne man nur weihen. Die Archivrecherche hat zwar für die letzten neun Jahre keinen entsprechenden Artikel erbracht, aber es wurden in der Tat neben unzähligen Kirchen, Sportplätzen, Fertigungshallen usw. auch ein paar nicht betretbare Objekte "eingeweiht", darunter eine Böllerkanone und ein Marterl. Eine öffentliche Toilette war ebenfalls dabei. In die kann man zweifellos hineingehen, doch fand ein Leser den Bericht damals trotzdem anstößig, freilich aus theologisch-liturgischen Erwägungen.

FATAL WIRD ES für den Verfasser dieser Zeilen, wenn ihn ein Leser fragt, ob er dies und das nicht "in seiner unnachahmlichen Art" aufgreifen und geißeln möchte. Natürlich würde er den Leser, in dem Fall Herrn H., am liebsten umarmen und ihm ein "Wird erledigt!" zurufen, doch dann sieht er das Thema und wird unschlüssig.

Es geht Herrn H. um das Wort Untiefe, das in der Überschrift "Von den Untiefen der Seele" vorkam und eindeutig die Abgründe der Seele meinte, nicht deren seichte Stellen. Die Untiefe ist der Sprachglosse liebstes Kind, jedenfalls eines ihrer Lieblingskinder; dabei werden stets die gerügt, die sie im Sinn von Abgrund, große Tiefe verwenden. Schon in Grimms Wörterbuch wird indessen auch diese Bedeutung angeführt, mit Beispielen wie dem folgenden: "Dieses Versinken in die gräulichsten Untiefen der Sinnlichkeit" (Hebbel). Wolfgang Fleischer verknüpft in seiner Wortbildungslehre die Untiefe mit Wörtern wie Unmenge oder Unzahl, bei denen un- als Steigerungspräfix auftritt. Und er fährt fort: "Daher rührt die Doppeldeutigkeit von Untiefe, eigentlich nicht tiefe, also flache Stelle, aber schon seit dem 18. Jh. - vor allem im Binnenland - auch als besonders tiefe, unergründliche Stelle aufgefasst".

© 14./15.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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