Wenn Wandern zum Erwandern wird:Das Brot der Armen und Feinschmecker

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Der neue Keschtnweg - eine Verbeugung vor der Kastanien - führt tief in das Leben des Ritten

Mein Lieblingsweg ist der Wanderweg Nummer eins, der von Klobenstein nach Oberbozen führt, der einem immer den Blick über das Tal des Eissack hin zu den Dolomiten öffnet, vor allem zum Schlern. Ein Weg, den man beliebig varieren kann, mal schaut man beim Honigmuseum vorbei, mal springt man in den Wolfgrubner See. Und wenn man keine Lust zum Laufen hat, lässt man sich von der Rittner Eisenbahn ein Stück tragen.

Jetzt gibt es einen neuen, gekennzeichneten Weg, den Keschtenweg - eine Verbeugung vor der Kastanie. In einem Band von Kastanienhainen streckt sich dieser vom Vahrner See bis hin zum Rittner Hochplateau und hinunter in den Bozner Talkessel zur Bilderburg Runkelstein. Es ist eine schöne Route, 63 Kilometer lang und jeder Teil lohnt. Der markierte Weg führt, mit einer Reihe von Exkursionen, durch farbenprächtige Mischwälder, über sattgrüne Wiesen und immer wieder durch Kastanienhaine.

In kurzen Abständen bieten Gasthöfe ihre Produkte an: Hollersaft, Speck und eben auch Keschtn. Die Ehrung der Kastanie ist keine Spielerei. Sie war Europas "Brotbaum", bis in die Neuzeit das Nahrungsmittel für mindestens sechs Monate im Jahr und ganzjährig in den beiden Weltkriegen. Ihr Holz ist ein stabiler Baustoff, das Laub diente als Streu in den Ställen. Ähnlich wie die Kartoffel und das Brot wurde die Kastanie zu einer Symbolfrucht, die heute noch bei verschiedenen Anlässen als Glücks- und Freundschaftssymbol dient.

Da die Kastanie vor allem als Armenspeise galt, wurde sie in der Nähe von Klöstern und kirchlichen Ansitzen kultiviert, sie wurde gesammelt und zu Mehl verarbeitet. Viele Märchen und Sagen ranken sich um die Frucht, wie die vom "Keschtnmandl", das sich gern in den hohlen Stämmen alter Kastanienbäume versteckte, sich aber auch so klein machen konnte, dass es in leeren Schalen Platz fand, um unfolgsamen Kindern oder Dienstboten das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.

Als Wegweiser zu den Sehenswürdigkeiten am Rande der Route - einschließlich Feen und Geister- haben die Initiatoren eine Wanderkarte herausgebracht, die von einem ausführlichen Informationsheft begleitet wird. Natürlich hat man an den Wein gedacht, und hat rund 50 Einkehrmöglichkeiten aufgelistet.

Probeweise laufen wir ein Stück bei Barbian, eine Wanderung, die drei Stunden dauern wird. Bevor wir aufbrechen gibt es im Gasthof "Zur Traube" ein Vormas,ein Frühstück, das man auch am späten Vormittag bekommen kann mit Sülze, Kalbskopf, Wurst und Zwiebel. Vormas, auch Vormues, meint vor dem Mus, vor dem Mittagsessen. Das wiederum bestand früher überwiegend aus gekochter Milch mit Mehl.

Die Wanderung geht, nach dem Verbeugen am schiefen Turm von St. Jakob, zügig voran, am Gerichtshof, dem Frühaufhof,dem Kirchlein St. Maria vorbei, über einen Weg, der langsam talabwärts nach Kollmann führt. Der Blick öffnet sich von dem anfangs noch geteerten Weg ins Tal nach Waidbruck, wo die Landstraße Brixen-Bozen und auch die Brenner-Autobahn vorbeilaufen. Hinter Kollmann verlassen wir wieder die Ebene, es geht zum Ritten bergan.

Rast ist angesagt, denn auf dem Lande gibt es das Mus um elf Uhr, eine Stunde früher als in der Stadt. Die Bauersleut müssen eben früher `raus. Bis die Kirchenglocke die Zehnerin läutet , ist die Bauersfrau auf dem Feld - läutet es die Elferin, muss das Mus auf dem Tisch stehen, dann kommen die Männer. Darum heißt das Elfer-Läuten auch die Weiberangst, weil die Bäuerin gelegentlich mit dem Essen im Rückstand ist. Wir lassen alle Kirchlein bimmeln und läuten und vergnügen uns, gelehnt an eine Trockenmauer oberhalb der Friedburg, mit Pfarrlinger Schüttelbreatlen. Das ist Brot, gebacken in großen Fladen und mit Gewürzen wie Kümmel und Zigeunerkraut schmackhaft gemacht. Dazu trinken wir selbstgemachten, trüben Apfelsaft. Die gotische St.Ingenuin-Kirche bei Saubach weist den Weg. Wir machen uns wieder auf. Erfreuen uns an Berghahnenfuss, Wiesenprimeln und dem blassen Knabenkraut. Selbst der ordinäre Löwenzahn gefällt, denn jede Blume, ob selten oder häufig zu finden, ist eine Freude für die Seele.

Unten im Tal reduziert sich die Autobahn zu einem grauen Band. Stolz und strahlend weiß steigen jenseits des Eissack die Geislerspitzen hinter dem Grödner Tal auf, im Süden davon der Langkofel und die anderen Gipfel der Dolomiten, und zum Greifen nahe liegen die Seiser Alm, der Schlern und die Trostburg Oswald von Wolkensteins. Der Weg steigt an zum Hexenbödele, hinter dem Gschnaltnerhof biegen wir auf dem Weg acht ab. Die nächste Wiesenlichtung lässt uns den Dicktelebach hören, der später in den Eisack stürzt, und den Eichenwald unterhalb von Rotwand sehen. Und wieder betreten wir einen Wald aus Edelkastanien.

Nach soviel Natur ist Zeit für eine Brotzeit, Marende, wie man hier sagt. Es gibt Tuscher, das sind schwarzplentene Knödl, Knödel aus Buchweizenmehl. Ein Tuscher lässt 35 Almleute satt werden, sagt man. Dazu Käse, Speck und Wein - Dominus barrique, als Lohn für diese Wanderschaft. Geprostet wird gen Klausen, zur Eisacktaler Kellerei. Und gelobt wird Albrecht Dürer, der Klausen in seinem Kupferstich "Das große Glück" verewigt hat. Das kleine Glück haben wir längst gefunden, auf dem Keschtenweg, wo es mehr gibt als Kastanien.

Von Hans-Herbert Holzamer

Info: TVB Eisacktal, Tel. 0039/0472/802 232

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