USA-Reisen:Großer grüner Apfel

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Ein Biohotel in Chelsea, Weinreben auf Staten Island und ein Park rund um eine stillgelegte Hochbahn in Manhattan: New York entdeckt den Öko-Tourismus.

Titus Arnu

Zwischen den Schottersteinen wächst hohes Gras. Blumen mit blauen Blüten bewegen sich elegant neben dem von Büschen und Bäumen überwucherten Gleisbett im Wind. Grillen zirpen. Hunde bellen. Jederzeit könnte eine Antilope aus dem Unterholz hervorbrechen, denkt man, oder vielleicht sogar ein Löwe, wie im Science-Fiction-Film "I am Legend".

Will Smith lebt in diesem Thriller nach einer apokalyptischen Katastrophe als einer der letzten Überlebenden in New York. Killerviren haben fast die gesamte Menschheit ausgerottet, nicht aber Ratten und Insekten. Die Natur hat die Häuserschluchten zurückerobert. Löwen jagen auf der Fifth Avenue Rehe, und aus den Spalten im Asphalt wachsen Bäume.

Ganz so wild geht es im realen New York noch nicht zu. Aber auf der High Line, einer stillgelegten Hochbahn im Meatpacking District an der Westseite Manhattans, hat sich die Natur tatsächlich ihren Raum zurückerobert.

Die Gleise der Bahn, die von der Gansevoort Street zweieinhalb Kilometer weit nach Norden bis zur 34.Straße führen, sind dicht bewachsen, Vögel und Insekten haben dort mitten in der Großstadt ihre Nischen gefunden. Eigentlich sollte die verrostete Bahnstrecke abgerissen werden, doch nun eröffnet Ende des Jahres ein einzigartiger Park auf der Trasse der Hochbahn - mit Bänken, Rasenflächen und einem Wanderweg hoch über der Stadt.

Seit 1999 kämpft die Initiative "Friends of the High Line" mit prominenter Unterstützung durch Schauspieler wie Edward Norton und Kevin Bacon für den Umbau der Trasse in einen Park. Vorbild war die Promenade Plantée, eine stillgelegte Hochbahn in Paris, die 1990 begrünt und für Besucher zugänglich gemacht wurde.

180 Millionen Dollar für den Park

Der Verein setzte sich vor Gericht gegen die Abrisspläne des früheren Bürgermeisters Rudolph Giuliani durch und zählt nun auf die Unterstützung des derzeitigen Bürgermeisters Michael Bloomberg. Der Umbau der zwischen 1929 und 1934 gebauten Güterzug-Strecke, die über 22 Straßenblocks hinwegführt, kostet voraussichtlich 180 Millionen Dollar.

Die Stadt unternimmt derzeit auch sonst einige Anstrengungen, um irgendwie grüner zu wirken, als sie in Wirklichkeit ist. New York ist ja eigentlich kein Ort, bei dem man zuerst an Naturoasen, Ökotourismus und Biohotels denkt. Doch gerade wegen der drangvollen Enge in den Straßen und U-Bahnen der Metropole scheinen die Bewohner Manhattans gerade ihre Liebe zur Natur wiederzuentdecken.

Überall eröffnen Bioläden, in den Restaurants boomt Organic Food, in Chelsea wird demnächst das erste Biohotel der Stadt eröffnet. Marco Burlimann, Director of Food and Beverage im Luxushotel Essex House, bestätigt den Öko-Boom im Tourismusgeschäft: "Es gibt einen regelrechten Bio-Trend in der Spitzengastronomie." Der Küchenchef seines Hotels verwendet bevorzugt saisonale und regionale Produkte, Camembert und Wein lässt er lieber von Long Island kommen als aus Frankreich.

Der Unternehmer Michael Dorf hat gerade die "City Winery" gegründet, eine Kellerei in einer alten Fabrik im Stadtviertel Soho. Dort will er Trauben verarbeiten und den ersten in New York abgefüllten Wein verkaufen. Und ein Club von Naturfreunden will im botanischen Garten auf Staten Island demnächst Weinreben heranziehen.

Offensichtlich will sich New York mal wieder neu erfinden und sich vom bloßen Big Apple in einen grünen Bio-Apfel mit gesundem Image verwandeln. Das ist auch nötig. Fast ein Prozent der Treibhausgase in den USA pumpt New York in die Luft, so viel wie ganz Portugal. Die Klimaanlagen der Wolkenkratzer, Millionen Autos, Busse und Taxis, dazu noch der Müll von acht Millionen Menschen, die zwischen Bronx und Staten Island wohnen - da kommt einiges an CO2 zusammen.

Mit einem 127-Punkte-Plan will Bürgermeister Michael Bloomberg, bislang nicht gerade als Öko-Freak bekannt, bald Abhilfe schaffen. Die chronisch verstopften Straßen des Molochs werden sich in eine "grüne Lunge" verwandeln, wenn in den nächsten zehn Jahren wie geplant eine Million neuer Bäume gepflanzt werden. Es sind Radwege geplant, eine City-Maut für Autos ist im Gespräch, und Bürgermeister Bloomberg hat sich mit dem Taxiverband darauf geeinigt, dass vom Jahr 2012 an nur noch Hybridtaxis in Manhattan fahren dürfen. Knapp 1000 Taxis mit Elektro-Hilfsmotor sind bereits unterwegs. Ihr Kennzeichen ist ein Öko-Apfel-Symbol mit dem Schriftzug "greeNYC".

Natürlich wird die Stadt durch solche Maßnahmen nicht zu einer Art Allgäu mit lauter Biohöfen und glücklichen Öko-Viechern. Und das industriell geprägte und lange Zeit ziemlich schäbige Viertel, durch das die High Line führt, verwandelt sich auch nicht so schnell in einen zweiten Central Park.

Promis zogen ins Industrieviertel

Im Meatpacking District gab es bis Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts nur Schlachtereien, Fabriken und Lagerhäuser, erst vor etwa 15 Jahren hat sich die Gegend in ein schickes Trend-Viertel verwandelt. Erst kamen Künstler und Homosexuelle, dann siedelten sich Modemacher wie Diane von Fürstenberg, Alexander McQueen und Stella McCartney an.

Restaurants wie das Pastis und die Buddha Bar ziehen mittlerweile Stars wie Julia Roberts und in der Folge Massen von Touristen an. Auf der Dachterrasse des Design-Hotels Gansevoort treffen sich an lauen Sommerabenden junge, schöne Menschen, die sich für extrem hip halten.

Vom Swimmingpool aus sieht man das Empire State Building, auf der anderen Seite hat man einen guten Blick auf den Hudson River und den Meatpacking District. Überall entlang der High Line wird gebaut, nur wenige Abschnitte des Parks auf Stelzen sind fertiggestellt.

In der ehemaligen Industriebrache entstehen außerdem viele Bürohochhäuser, Hotels und Apartments. Apple hat an der 14. Straße seinen dritten New Yorker Mega-Store eröffnet - ein untrügerisches Zeichen dafür, dass der Boom des Viertels auf seinem Höhepunkt angekommen ist. Der High Line Park wird die Gegend weiter aufwerten - und die Immobilienpreise weiter verteuern.

Wie so etwas funktionieren kann, hat die Stadt nach der Eröffnung des Central Parks um 1860 erlebt. Fortan gab es eine klare Rangfolge bei den Immobilienpreisen: Wohnungen mit Blick auf den Park waren plötzlich mehr wert als solche ohne. Die Hotels am Central Park, etwa das kürzlich glanzvoll restaurierte Essex House, profitieren von der Nähe zu der grünen Lunge der Stadt. Vom Restaurant aus blickt man durch eine große Glasfront auf die grüne Wand des Parks, eine Seltenheit in New York. Und in den Zimmern des Luxushotels liegen iPods bereit, die man sich in die Ohren stöpseln kann, um anschließend mit Audio-Guide den Park zu erwandern.

Die Wertschöpfung, die durch den Central Park entstand, erwies sich als weit höher als die Kosten für seinen Bau. Im Vergleich dazu ist rund um den neuen Park in Chelsea noch viel zu tun. In der 33. Straße, wo die Gleise der High Line in einer großen Kurve vom Straßenniveau auf die stählerne Hochbahn führen, ist die Trasse in einem schlechten Zustand, der Rost frisst an den Trägern, die Umgebung wirkt trostlos.

Links und rechts von der Strecke sind Helikopterlandeplätze, Rangierbahnhöfe und Busparkplätze zu sehen. Unter der Hochbahn campieren Obdachlose, im Sommer werden hier Schneepflüge abgestellt. Es ist noch nicht so richtig vorstellbar, dass hier bald jemand gerne spazieren geht.

Je weiter man nach Süden wandert, desto lebendiger wirkt die Umgebung. An der 26. Straße beginnt das Party-Zentrum Manhattans: Nachtclubs, Bars und Sushi-Restaurants prägen das Straßenbild. Der Architekt Frank Gehry hat für einen Internetmilliardär einen schimmernden Elfenbeinturm hochgezogen, Hotelier André Balazs lässt an der 12. Straße ein Luxushotel seiner Kette The Standard bauen, direkt über dem neuen Park, die High-Line-Trasse führt durch das Gebäude hindurch. Ganz in der Nähe ist auch der neue High Line Ballroom, wo David Bowie als Schirmherr des High Line Festivals aufgetreten ist, um für den Park zu werben.

Blätterdach aus Essigbäumen

Der durch die Stadt mäandernde Fußweg wird zu Wasserbecken führen, zu Sonnendecks mit Ausblicken auf den Hudson und zu einem Amphitheater, errichtet über der 10th Avenue. Auf beiden Seiten des Stegs werden Essigbäume wachsen, so dass die Parkbesucher wie in einem Wald unter einem Blätterdach laufen.

Die Stadtlandschaft werde "aufgebrochen, fragmentiert; nichts wird gerade sein", erklärt James Corner, Gründer des ausführenden Landschaftsarchitekturbüros Field Operations, seine Idee. "Der Park wird den Menschen die Möglichkeit zum Schlendern geben."

Der Verein "Friends of the High Line", der die Umwandlung der Eisenbahntrasse in einen öffentlichen Raum vorangetrieben hat, setzt sich dafür ein, dass der ursprüngliche Charakter der Umgebung bewahrt wird. Die Sträucher und Blumen, die seit der Stilllegung der Anlage vor 25 Jahren auf Gleisen, Bahnsteigen und Brücken wucherten, sollen möglichst nicht entfernt und nötigenfalls nachgepflanzt werden. Restaurants und Souvenirshops sind nicht geplant auf der Hochbahn, es soll möglichst still sein in dem Park. Fuchs und Hase werden sich dort wohl nicht gute Nacht sagen, Löwe und Reh zum Glück auch nicht, aber immerhin Grille und Mensch.

© SZ vom 25.09.2008/dd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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