Tansania:Schnell treten!

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Im Arusha-Nationalpark kann man nun erstmals Safaris auf dem Fahrrad unternehmen. Die Furcht vor den wilden Tieren fährt allerdings mit.

Von Bernd Kastner

Der Mann mit dem Gewehr lächelt, grüßt und präsentiert ganz nebenbei seine Flinte. Er ist Ranger und soll die Gruppe die nächsten Stunden beschützen. Also doch. Daheim war es noch ein Running Gag: Safari auf dem Fahrrad? Haha! Da dürfen nur Trainierte mitmachen, man muss ja schneller sein als die Löwen. Tansania. Jeder kennt die grandiose Landschaft aus dem Fernsehen, die Älteren sehen Bernhard Grzimek vor sich, den Schutzpatron der Serengeti, man hat Elefanten und Nashörner in der flirrenden Savanne vor Augen, dahinter die weiße Spitze des Kilimandscharo, man sieht Geländewagen und die kleinen Flugzeuge der Tierfilmer. Und jetzt alles per Mountainbike?

Erstmals durchquert eine Gruppe von Radfahrern den Arusha-Nationalpark, hier leben Hyänen und Leoparden. Der Park liegt am Fuß des Mount Meru, 4566 Meter hoch, es ist der kleine Bruder des Kilimandscharo, gleich bei Arusha. Die Stadt ist das Touristenzentrum im Norden Tansanias. Von hier aus ist es nicht weit in den Ngorongoro, den weltgrößten, nicht mit Wasser gefüllten Vulkankrater, den Zehntausende Tiere bevölkern. Knapp unterhalb des Äquators liegt die Gegend. "The traffic is terrible", hat uns Justaz Mollel in Arusha beim Start gewarnt. Der 37-jährige Guide stammt aus Arusha. Er führt ansonsten Wanderer auf den Kili. Verkehr also schrecklich. Und die Raubtiere?

Weit vor dem Tor zum Arusha-Park ist der Asphalt zu Ende, dann ist die Straße Schotter und Staub, sie beginnt flach, wird hügelig. Anders als der Jeep-Tourist beginnt der Radler, das Land zu schmecken und zu spüren. Nach fünf Kilometern schmeckt es salzig vom Schweiß, bald brennen die Augen, weil er die Sonnencreme löst, und wenn ein Lkw überholt, dann riecht es nach Diesel. Steine, die kein Jeepfahrer beachtet, wollen umfahren sein.

Mount Meru ist in Wolken gehüllt, er holt den letzten Tropfen heraus, selbst jetzt, in der Trockenzeit. Die Piste führt durch Bergwald, ein paar Meter nur sieht man hinein ins üppige Grün. Verbergen sich dort die Tiere? Je regelmäßiger der Tritt ist, desto wilder werden die Gedanken. In der Gruppe fühlt man sich sicher, aber wo bitte ist der Ranger geblieben?

Beruhigend, dass hier Zebras grasen. Dann sind keine Löwen in der Nähe - oder?

Mollel radelt voran, er hebt die Hand. Das ist das Zeichen für Gefahr, er hat es allen eingeschärft. Arm oben heißt: Vorsicht! Was ist los? Bloß ein Jeep im Gegenverkehr. Es wird steil, die Radlerkarawane streckt sich, ein erster Schluck aus der Flasche, erstes Stöhnen ist zu hören, nicht jeder ist bergerprobt. Pause. Auf der einzigen großen Wiesenfläche in diesem Park grasen Tiere, vor allem Zebras. Irgendwie ist das dann doch beruhigend, und wie gut zu hören, dass hier gar keine Löwen leben. Und ja, der Ranger ist noch da, er sitzt in einem der Begleitbusse.

Radeln im Norden Tansanias ist anders als man denkt, zumindest in der ausgehenden Trockenzeit, das ist im europäischen Spätsommer. Dann herrschen ideale Temperaturen, irgendwo bei 20 Grad, abendliche Kälte inklusive, der Höhe von 1500 bis 2000 Metern sei Dank. Die großen Landstraßen sind asphaltiert und gut zu befahren, kaum ein Schlagloch nervt. Den Seitenstreifen teilen sich Radler mit Fußgängern, die meisten überholenden Autos halten Abstand. Auf den Schotterpisten aber ist das gefederte Bike ein Segen.

"Giraffen!" Kein Arm geht hoch, die Stille Post ist jetzt laut. Wo? Da vorne, rechter Hand, im Wald! Die ersten in der Karawane haben sie gesehen, eine Giraffenfamilie, die Hinteren rätseln: Wo denn? Bewegt sich was? Ist das jetzt ein Baumstamm oder ein Hals? Merke: Wer Tiere entdecken will, radle vorne in der Gruppe, die letzten schauen in die Bäume. Immerhin, ein paar Affen turnen hoch oben herum.

Hinterm Arusha-Park geht die Sonne unter, nördlich des Meru ist das Land braun-grau. Bergab, es geht bergab, laufen lassen, schauen und staunen, diese Landschaft, diese Anmut. Staunen auch über die Büsche am Straßenrand, sie wirken von Weitem, als würden sie Früchte tragen. Es sind Plastiktüten, die der Wind in die Äste geweht hat. Müllbäume. So typisch die Savanne für Afrika, so typisch der Abfall, man nimmt erst als Radler wahr, welches Problem Tansania hat. Die Straßenränder sind gesäumt von Plastikflaschen, mal frisch und rund, mal alt und plattgefahren, und je näher eine Siedlung, desto mehr Müll.

In den Dörfern kehrt sich das Staunen um, die Radler sind die Attraktion. Jeeps mit Touristen sind Alltag, aber eine Gruppe Weißer in Radlermontur, das ist noch neu. Kinder bestürmen die Radler, wollen mal aufsitzen. Dann weiter, ein paar Kilometer sind es noch. Die Meru-Flanken leuchten im Abendlicht, und plötzlich ist da ein Brummen. Da! Hinterm Busch! Es wird doch nicht . . . nein, bloß eine Kuh, deren "Muh" der Fahrtwind aufgeblasen hat.

An der Abzweigung zum Nacht-Camp warten die Busse, sie übernehmen die letzten Kilometer. Als Radreisender darf man nicht glauben, umweltschonender als der 08/15-Tourist unterwegs zu sein. Die Gruppe wird dauerhaft von zwei Bussen begleitet. Einer ist für die Teilnehmer da, um Strecke zu machen, der andere für die Fahrräder und für die Verpflegung, für Klappstühle und Tische. Ein Bus fährt vor der Gruppe, einer dahinter, ein Ökotrip ist das nicht. Und eine Bike-Safari auch nicht. Gewiss, am Ufer des Lake Manyara hüpfen und fliegen die Marabus neben den Radlern herum, Gnus ziehen in langen Reihen vorbei, und wenn ein großer Schatten die Bahn des Radlers kreuzt, ist das ein Pelikan. Spektakulärere Tierbegegnungen bleiben aus auf den täglichen Radetappen von 20 oder 40 Kilometern, es wäre auch zu gefährlich. Der Manyara-Nationalpark ist nur für Autos offen, ebenso der Ngorongoro-Krater. Deshalb beinhaltet die Tour Jeep-Passagen, um Nilpferde und Nashörner zu sehen und Löwen, natürlich.

Im Ort Mto Wa Mbo wartet ein Mann im roten Umhang, ein Massai, man erkennt Angehörige dieses Volkes von Weitem an ihren Tüchern. Er begleitet die Gruppe in sein Dorf, sein Boma, es liegt ein paar Kilometer abseits, im Nichts. Er leiht sich ein Mountainbike, alle folgen ihm durch vertrocknetes Land. Weiter im Westen ist der Umriss eines Höhenzugs zu erkennen, es ist die Kante des Großen Afrikanischen Grabenbruchs, der sich vom Jordan-Tal über das Rote Meer, durch Ostafrika bis in den Süden des Kontinents erstreckt. Zwei Erdplatten arbeiten gegeneinander, sie formen eine vulkanische Landschaft, die bisweilen an die Toskana erinnert. Jetzt, in der Ebene davor, spielt der Wind mit Staub, Windhöschen tanzen am Horizont.

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Die Massai sind der wohl bekannteste Volksstamm Ostafrikas, halbnomadische Hirten, die in Lehmhütten leben. Ein paar junge Massai treiben in der Dämmerung ihre Herde vom Feld ins Dorf, die Radler dürfen helfen. Die Massai wissen, was Touristen lieben. In der Mitte des Boma befinden sich zwei Pferche, für die Rinder und die Ziegen. Ein kreisrundes Geflecht aus Büschen, Ästen und Dornen schützt den Schlafplatz der Tiere vor Raubtieren. Ein Mann nächtigt inmitten der Herde.

Um den Pferch laufen zwei Massai, sie tragen einen Speer bei sich. Falls nachts eine Hyäne des Weges kommt oder sich ein Löwe angeschlichen hat, in der Hoffnung auf einfache Beute. Ein Löwe, außerhalb der Nationalparks? Also doch? Die Massai wissen mit den Raubtieren zu leben. Die Löwen, erzählen sie, kommen nur dann, wenn das Gras der Savanne hoch ist. Jetzt ist Trockenzeit, jetzt ist Radfahrzeit.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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