Simon-Dach-Straße:Szenekiez im Geheimtipp-Dilemma

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Aus dem Zauber des Geheimtipps kann schnell ein Fluch werden: Ein Graffito in der Revaler Straße in Berlin-Friedrichshain. (Foto: Getty Images)

Die Simon-Dach-Straße wird in Reiseführern als Geheimtipp für Partyfreudige gepriesen. Jetzt ist die Sache einem Stadtrat unheimlich geworden.

Von Sarah Schmidt

Es ist das Dilemma des sogenannten Geheimtipps. Eine Ecke in einer beliebigen Metropole entwickelt sich zu einem lauschigen Örtchen. Cafés, Bars, drollige kleine Geschäfte sprießen aus dem grauen Asphalt und versprühen angeblich authentischen Charme. Die Anwohner rühren mit wohligem Lächeln in ihrem Matcha/Baobab/Filterkaffee-Heißgetränk oder nippen am Holunder/Ingwer/Açaí-Cocktail.

Dann platzt der Traum von der heilen Hipster-Welt.

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Die Szeneblätter schreiben vom neuen "In-Kiez", es folgen die Zeitungen. Auf einmal muss man vorbestellen, um für den Sonntagsbrunch noch ein Plätzchen zu ergattern und die schrammelige Lieblingskneipe macht plötzlich auf schick. Und dann: kommen die Touristen. Das ist der Moment, wo sich der Zauber des Geheimtipps in einen Fluch verwandelt. Irgendwann feiern dann Australier auf Europa-Tour mit Oberstufenschülern auf Klassenreise.

Der Simon-Dach-Kiez soll aus Berliner Touristen-App gelöscht werden

Neuestes Beispiel für diese Tragödie des Geheimtipps ist der Simon-Dach-Kiez in Berlin-Friedrichshain. Allerdings wirft sich ein tapferer Retter in die Schlacht, um die Ehre des Szeneviertels und die Nachtruhe der Anwohner zu retten.

Nachdem der Einsatz von Psssst-leise-Pantomimen im Frühjahr 2015 keinen nennenswerten Erfolg hatte, plant Wirtschaft- und Ordnungsstadtrat Peter Beckers den Befreiungsschlag: Die Wirtschaftsförderung des Bezirksamtes habe erreicht, dass der Simon-Dach-Kiez in den Tipps der App "Going Local Berlin" nicht mehr erwähnt wird, berichtet die Berliner Morgenpost.

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Was insofern einigermaßen paradox ist, da der Simon-Dach-Kiez gar nicht in der App auftaucht, wie Christian Tänzler, der Sprecher von Visit Berlin nun klargestellt hat. Die App "Going Local Berlin" gehört zu der Tourismusseite. Die wiederum ist von der Stadt selbst beauftragt, Berlin von seiner schönsten Seite zu präsentieren.

"Je dunkler am Abend, desto lebendiger die Straße"

In der Tat haben auch die offiziellen Werber Anteil am Touristen-Hype um die Simon-Dach-Straße. Gleich der erste Google-Eintrag führt auf Visit Berlin, wo die "wahre Kneipen- und Flaniermeile" unter dem Motto "Immer Happy Hour" angepriesen wird. "In der Straße reiht sich Bar an Café an Club", heißt es da, "je dunkler am Abend, desto lebendiger die Straße" und "im Sommer findet die Party meist draußen im sogenannten Kiezhof statt". Das Ganze gibt es auch auf Englisch, Spanisch, Französisch und Italienisch. Wer will sich da über internationale Touristen beschweren, die lautstark und im Freien die German Hauptstadt feiern wollen?

Wer nun aber ernsthaft denkt, dass das Entfernen der Party-Party-Party-Anleitung den Simon-Dach-Kiez in ein gemütliches Wohnsträßchen zurückverwandelt, hat das Konzept Geheimtipp leider nicht verstanden. Denn ist die Legende vom In-Viertel erst einmal in der Welt, hilft kein Zetern und kein Löschen, sondern nur eins: Durchatmen, Matcha-Tee trinken und auf den nächsten Hype warten. Irgendeinen Kiez werden die Australier schon als nächstes entdecken.

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