Gold im Riesenslalom:"Schlampiges Genie"

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Mit der Wucht einer Boxerin: Riesenslalom-Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg hat ihren eigenen Kopf. Das gibt ihr Selbstvertrauen und macht sie mit 20 Jahren so stark.

Michael Neudecker, Whistler

Wenn Viktoria Rebensburg sich freut, dann hat sie so etwas Boxerhaftes an sich. Nicht von der Statur her, sie ist ja eher klein gewachsen, und sie hat die Statur, die viele 20-Jährige haben, auch das Gesicht, rundlich und jung. Aber sie macht diese Boxerbewegung, immer macht sie diese Bewegung, wenn sie sich freut: mit der rechten Faust einen Aufwärtshaken, den man bei Henry Maske oft vermisst hat, und dazu verzieht sie den Mund, als wolle sie tatsächlich gleich jemanden verprügeln.

Sie hat den Aufwärtshaken natürlich auch am Donnerstagabend aufgeführt, nachdem sie auf der Medal Plaza von Whistler ein paar Mal jubelnd auf dem Podest gehüpft war, ehe sie ihre Goldmedaille für den Sieg im Riesenslalom bekam. Die Leute haben gelacht, das kam an. Man sieht es ja eher selten hier, dass sich die Athleten am Abend, in diesem feierlichen Rahmen, noch immer so ausgelassen freuen. "Das sprudelt halt einfach so aus einem raus", sagt Viktoria Rebensburg.

Diese Goldmedaille war sehr überraschend, ganz besonders für Viktoria Rebensburg selbst. Sie hat noch nie ein Weltcup-Rennen gewonnen, und Olympiasiegerin mit 20, es gab in der traditions- und siegreichen Geschichte des deutschen Alpinrennsports nur eine, die jünger war, als sie Olympiagold gewann: Heidi Biebl, 1960, in Squaw Valley. Viktoria Rebensburg wurde 30 Jahre später erst geboren. Gleich nach dem Rennen schüttelte sie immer wieder den Kopf, schlug sich auf die Stirn, "Wahnsinn", sagte sie, "des is einfach der Wahnsinn".

Die Geschichte dieses Rennens wird nun für immer mit Viktoria Rebensburg verbunden sein, und man wird sich die Geschichte noch oft erzählen. Das Wetter war am Mittwoch so schlecht gewesen, dass nach dem ersten Durchgang entschieden worden war, den zweiten Durchgang auf den Donnerstag zu verlegen. Und das gab es ja noch nie bei Olympia, dass ein Rennen an zwei Tagen ausgetragen wird, wetterbedingt; 1980 in Lake Placid war das vom Programm von vornherein so vorgesehen.

Skirennfahrer brauchen die Anspannung vor dem Rennen, die Konzentration, um in den Tunnel zu kommen, in dem sie dann den Berg hinunterfahren. Man kann sie zwar direkt nach dem ersten Lauf kurz ansprechen, dann aber nicht mehr, die meisten brauchen dann Ruhe; es ist nicht einfach, die Anspannung über ein paar Stunden aufrechtzuerhalten. "Ich bin im Bett gelegen und hab mir gedacht, hey, morgen zweiter Durchgang", sagt Viktoria Rebensburg, "das war komisch, das kennt man ja nicht."

Im Video: Die 20jährige Viktoria Rebensburg hat bei den olympischen Spielen in Kanada Gold im Risenslalom geholt.

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Für die Psyche, so empfand sie das Warten, "war das sehr zehrend". Ob sie da an eine Medaille gedacht hat? Nun, Sportler denken immer an eine Medaille, sonst wären sie nicht Sportler, "ich musste mich da eher bremsen", sagt Viktoria Rebensburg, sie grinst. Es kommt oft vor, dass man sie bremsen muss. Viktoria Rebensburg mag in der Öffentlichkeit ein bisschen unscheinbar rüberkommen, aber das liegt wohl an ihrem Alter. In Wahrheit ist sie kein ganz einfacher Athlet, stur manchmal, auf jeden Fall hat sie einen ausgeprägten eigenen Willen.

"Es gibt Athleten, die tun alles, was du ihnen sagst", beschreibt Mathias Berthold, der Bundestrainer, "und es gibt welche, die musst du von der Sache überzeugen." Es gibt keinen Zweifel, zu welcher Kategorie Rebensburg zählt. "Sie hat ihren eigenen Kopf", sagt Alpindirektor Wolfgang Maier. Aber Berthold und Maier sagen das ohne Wertung, es ist ja nicht zwingend schlecht, einen eigenen Kopf zu haben. Solche Athleten sind in der uniformierten DSV-Schule sowieso selten; so gesehen ist Viktoria Rebensburg also etwas Besonderes. Und was ihr Talent betrifft, so war es ja nur eine Frage der Zeit, bis sie einmal ein Rennen gewinnt.

In Cortina, noch kurz vor Olympia, war sie im Riesenslalom erstmals aufs Podest gefahren, sie wurde Zweite. "Jetzt hab ich eine Medaille umhängen und darf mich Olympiasiegerin nennen", sagt Viktoria Rebensburg, "der Hammer." Nach solchen Siegen wird immer nach den Leuten gesucht, die dem Athleten dabei geholfen haben, der Athlet dankt meist den Eltern, der Familie, den Trainern. Bei Viktoria Rebensburg fällt da zunächst ihr Konditionstrainer auf, den sie privat engagiert hat, um im Sommer zusätzlich zum Mannschaftstraining zu arbeiten, und dann natürlich Christian Schwaiger, seit 2006 Techniktrainer der deutschen Frauen, ein Österreicher wie Berthold.

Schwaiger sagt, Rebensburg habe früher viele Fehler gemacht, oft "mit dem Kopf durch die Wand" gewollt. "Die Vicky ist ein schlampiges Genie", sagt Schwaiger. Er hat viel mit ihr geübt, hat dafür gesorgt, dass ihr Stil stabil wird, denn das war ja ihr Problem: Dass sie immer auf Angriff gefahren ist, immer. Sie fährt eine für Frauen ungewöhnlich direkte Linie, man sieht das sonst eigentlich nur bei Männern. Aber daran orientiert sich Rebensburg, an den Männern, wie Schwaiger und Berthold sagen - es hat nur eine Zeit gedauert, bis ihr Männerfahrstil und sie selbst zueinander gefunden haben.

Athleten, die ihren eigenen Kopf haben, sind zumeist sehr selbstbewusst, und keine Eigenschaft ist wichtiger für Skirennfahrer als Selbstbewusstsein. Aber schlampiges Genie?. Viktoria Rebensburg lächelt kurz, als man sie darauf anspricht, dann sagt sie: "Das Genie ist ein nettes Kompliment, aber über das schlampig muss ich mit dem Christian noch mal reden."

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