Salzburg ganz anders:Der Blick einfach gewaltig

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Krimi-Autor Wolf Haas liebt den schönen Schein der Stadt und lässt in "Silentium" seine Opfer von den bezauberndsten Stellen in die Tiefe stürzen.

Andreas Fischer

Unterwegs zu den Drehorten des Filmes "Silentium" - Wolf Haas zeigt die Schokoladenseite der Stadt, so wie er sie in seinem gleichnamigen Roman beschreibt: "Der Blick einfach gewaltig,. . . mitten in der Stadt die zwei Berge, du stehst am Mönchsberg, von drüben schaut der Kapuzinerberg herüber, und im Tal dazwischen tausend Kirchen und Klöster aufgefädelt am grün blitzenden Salzachfluss, das musst du dir vorstellen wie ein funkelndes Edelsteinkollier zwischen den prächtigen Brüsten einer Oktoberfest-Kellnerin, praktisch Vollendung der Natur."

(Foto: Foto: www.salzburg.info)

Tatsächlich, so sieht das aus von hier oben! Berge wie Brüste? Wolf Haas mag seine Sprachbilder. "Kollier" - schon besser. Nichts als glänzender Schein da unten und doch ist alles echt. Genau das wollen die Heerscharen von Touristen sehen.

Sie spielen sowohl im Krimi als auch im wirklichen Leben der Stadt eine wesentliche Rolle: Jede Saison aufs Neue bilden sie derartige Zusammenballungen, dass selbst gutmütige Bewohner von einer Heimsuchung reden und mancher Mozartkugelverkäufer zuweilen auf sie schimpft.

Sie mögen es kaum glauben, die Busladungen von Japanern und Amerikanern, dass es Salzburg wirklich gibt, mit seinen Herrenhäusern, Festspielpalästen und gewaltigen Formationen von Kirchen; sie mögen nicht glauben, dass sie hier kein alpines Disneyland gezeigt bekommen, sondern echte, historisch gewachsene Häuser, Straßen und Plätze. So dass sich manche erst durch mutiges Klopfen am Mönchsbergfels davon überzeugen wollen, nicht auf Pappmachee hereinzufallen.

Vom Mönchsberg in den Abgrund

Salzburg, das protzige Kollier am Busen Österreichs, ist zwar einerseits reine Fassade, andererseits ein überaus echter Tatort. Die realen Akteure bringen jeden Tag Geschichten für hundert Drehbücher auf die Bühne des Lebens.

Wenn in "Silentium" das katholische Bauamt, die Festspielverwaltung, die Kirchenoberen tätig werden, hört sich das an wie eine Zuspitzung der aus den Salzburger Nachrichten bekannten Skandale. Ist es aber nicht. Denn Wolf Haas schafft seine Figuren und seine Handlungen nicht, weil er authentisch sein will. Vielmehr liebt er das Spiel mit der Verwechslung: Wenn Leser und Zuschauer auf den Trick reinfallen und seine Geschichten am Ende noch für ein echtes Stück Österreich halten, ist er freilich nicht traurig.

"Genau von hier oben ist er gesprungen", sagt Haas und zeigt vom Geländer des Mönchsberges hinab auf die Dächer der kaiserlichen Reitschule, die 50 Meter tiefer unten steht. Mit dem Sprung von der herrlichen Aussichtsplattform hinunter aufs Dach des täglich von tausend Japanern fotografierten Gebäudes fängt alles an in "Silentium": "Weil natürlich Ironie des Schicksals, dass sich die Selbstmörder immer die schönsten Abgründe aussuchen. Das ist genau wie mit dem Eiffelturm, wo die Franzosen oft ein paar hundert Kilometer reisen, nur damit sie sich hinunterstürzen können. Belgier, Holländer, Deutsche auch Eiffelturm. Aber bei den Deutschen teilt es sich schon, und es sagen viele, Humboldt-Terrasse bietet mir mehr Qualität, und die Sprache kann ich auch".

Keiner kann sich besser einfühlen in die Probleme von Selbstmördern als der Brenner - so heißt der füllige Privatdetektiv in "Silentium" und den vorangegangenen Krimis. In diesem Fall bezweifelt er allerdings, ob der Springer freiwillig seinen landschaftlich so reizvollen Weg ins Jenseits antrat - oder mit ein bisschen fremder Hilfe.

Krimi-Autor Wolf Haas (Foto: Foto: ddp)

Über den ersten Toten und dessen Vorleben ermittelt der Brenner zuerst im Untergeschoss des bischöflichen Knabenkonvikts, wo Gottlieb, so hieß die Leiche, dereinst als Schüler beim Hygieneunterricht vom Sportpräfekten missbraucht worden war - "rampampam, die Hormone". Der jetzige Sportpräfekt, Herr Fitz, das riecht der Brenner gleich, ist auch nicht ohne. Der nämlich weiß von den sündigen Geschehnissen in seinem Hause, den vergangenen und gegenwärtigen und versucht mit allen Mitteln, die priesterliche Kutte des Schweigens darüber zu halten (Silentium!). Das gibt dem Brenner zu denken, und er deckt in kleinen Schritten eine geschäftliche Verbindung auf - zwischen den Herren und Damen der Festspielverwaltung, dem erzbischöflichen Bauamt, einem Mädchenhändlerring, den illustren Dirigenten der Festspiele und dem Sportpräfekten Fitz.

Zweite Station: Priesterseminar

Auf der zweiten Etappe des Rundgangs erläutert Wolf Haas das Wirken der Kirche in Salzburg und was sein Werk damit zu tun hat: An einem für solche Überlegungen äußerst geeigneten Ort, vor dem Priesterseminar, Heiliggeistgasse 14. Hier kommt der Nachwuchs für all die Bischöfe und Kardinäle her, hier erhalten sie den letzten Schliff, die Priester und Priestermacher, ohne die Salzburg nicht Salzburg wäre.

Es ist eine mächtige Burg der Glaubensproduktion, in der Mitte steht die barocke Priesterhauskirche mit ihren zwei wuchtigen Türmen, links das Jungfraueninternat, Collegium Convictorium Virgilianorum. Es ist heute mangels Nachfrage stillgelegt. Links liegt das Internat für die Priesteranwärter, das Collegium Presbyterorum et Alumnorum.

Um hier hinein, ins Priesterseminar zu kommen, müssen sich die Knaben lange vorbereiten. In Buch und Film tun sie das im "Marianum". Dieses Haus, den wichtigsten Handlungsort in "Silentium", kann der Autor nun allerdings nicht vorführen: "Frei erfunden nämlich" freut sich Haas.

Das Knabenkonvikt für katholische Gymnasiasten hat in Salzburg nur ein schwaches Pendant. Es musste als Drehort für die Verfilmung in doppelter Hinsicht ausscheiden, erklärt Haas vor der prächtigen Fassade der Priesterhauskirche: Das echte "Borromäum" liegt nämlich zu weit außerhalb, seine Mauern brächten wohl auch nicht den Geist herüber, der in "Silentium" zwischen Duschraum und Kanzel weht.

Dazu kommt, so erzählt Haas, dass die katholische Kirche Österreichs kaum ihre geweihten Hallen als Drehort für ein Stück zur Verfügung gestellt hätte, das ausgerechnet die sündhaften Entgleisungen ihrer Ehrenmänner in den Vordergrund stellt. Die Marianum-Szenen wurden dann in Wien gedreht, in den Räumen eines ehemaligen Klosters. Dass es im Film wie Original-Salzburg aussieht, gefällt Wolf Haas besonders gut. Er pfeift auf authentische Drehorte.

Im Biergarten hinter der Priesterhauskirche kann man sitzen, trinken und besprechen, wie "Silentium" ankam im katholischen Salzburg: Vorn das Priesterhaus, Gardinen wehen aus offenen Schlafsaalfenstern, um die Ecke die mächtige Kirche mit ihrem Eichenholzportal, hinten die auch bei den Dienern Gottes beliebte Wirtshaustheke.

Hier machen sie also Pause und genehmigen sich ein paar Biere, die Herren Regens, Spirituale und Präfekten, die später selber junge Männer in Geistesdingen unterweisen und in "Silentium" bei der Zöglingsunterweisung liebevoll Hand anlegen.

Lacheffekt statt Kritik

Haas wollte die Kirche nicht kritisieren. Er setzt auf den Lacheffekt, der sich einstellt, wenn einer den von Kirchenmännern getragenen Mantel der Scheinheiligkeit lüftet, die sich naturgemäß immer wieder peinliche Fehltritte erlauben, statt ihrem hochheiligen Amt nachzugehen. Andererseits beherrscht es Haas sehr sauber, aus dem schlüpfrigen, zum billigen Witz verleitenden Milieu ironiegetränkte Sprach-Skulpturen zu meißeln.

"Silentium" hat er schon lange vor dem Skandal in St. Pölten geschrieben, durch den Bischof Krenn sein Amt verlor, weil er pornographische Internetspielchen in seinem Hause zugelassen hatte. Die Idee zum Buch kam Wolf Haas vor zehn Jahren, als der Wiener Erzbischof Groer, einer der höchsten Kirchlichen Würdenträger, des Missbrauchs von Zöglingen bezichtigt wurde.

Was ihn daran gereizt hat, waren die Details: "Wie denn das passiert sei, haben sich alle gefragt in ihrem voyeuristischen Blick und dann hieß es immer, 'in der Dusche', beim Waschunterricht. Daran hat mich interessiert, dass ein Alltagswort wie 'Dusche', so pornographisch aufgeladen wurde. . .Um diesen Kern habe ich also den Roman aufgebaut."

Finale im Hotel Stein

Hier spielt das große Finale in "Silentium", bei einer der besten Adressen der Stadt, oben auf den "Steinterrassen", überm Ufer der Salzach. Hier kommen am Schluss des Films die reichsten und mächtigsten Salzburger Bürger am kalten Büffet zusammen.

Hier präsentieren sich alle, die etwas zu verbergen haben und der Brenner muss zwischen Fräcken und Abendkleidern ermitteln, was er als professioneller Loser gar nicht gern tut. Hier kommt die ganze Wahrheit heraus: Über den Sportpräfekten Fitz, die Festspieldirektorin und ihre Finanzen und über das kirchliche Bauamt mit seinen genialen Methoden der wunderbaren Bodenvermehrung. Und hier kann Wolf Haas noch einmal Salzburgs Kirchen und Klöster als Kollier vorführen, vor der rechten Hälfte des Busens, dem Mönchsberg, gruppiert.

© SZ vom 6.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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