Peru:Würde Indiana Jones nach Machu Picchu reisen?

Eher träfe man ihn in der Ruinenstadt Kuélap im Norden von Peru - trotz einer neuen Seilbahn fühlen sich die wenigen Besucher dort wie Entdecker. Ebenso an einem Wasserfall, der die Einheimischen ängstigt.

Von Florian Sanktjohanser

Das Licht geht an, und die Mumien schreien. So sehen sie zumindest aus, mit den eingefallenen Lippen und gebleckten Zähnen. Sie stehen in Regalen hinter einer Glaswand, eingewickelt in Stoffbahnen. Ihr Fund war 1997 eine Sensation. Arbeiter entdeckten die Gräber, als sie an der Laguna de los Condores im Norden Perus den Urwald rodeten. Sie schlitzten die Bündel auf, und als sie kein Gold fanden, warfen sie einige enttäuscht in den See.

"Auf die Idee, dass die Mumien selbst Zehntausende Euro wert sind, kamen sie nicht", sagt Andreas Haag. Der 46-Jährige führt regelmäßig Touristen in die neue letzte Ruhestätte der 219 Mumien. Viele Besucher kommen nicht hierher. Denn das Museum steht in Leymebamba, einem Städtchen in der Provinz Amazonas, fernab der Touristenzentren.

"Die Menschen hier wollten nicht, dass die Fundstücke in Lima unter Tausenden anderen verschwinden", erklärt Haag, der 1991 als Zivildienstleistender nach Peru kam und blieb. Eine Gruppe österreichischer Mäzene finanzierte das Museum, das im traditionellen Rundhaus-Stil in einem Tropengarten erbaut wurde. Alles ist vorbildlich: die Exponate dreisprachig beschriftet, die lichte Architektur preisgekrönt. Und so soll das kleine Leymebamba nun eine der Attraktionen in einem ambitionierten Plan der Regierung werden: den Norden Perus touristisch zu entwickeln.

Denn während es in Cusco und Machu Picchu zugeht wie in Neuschwanstein, sind die Ruinenstädte und Naturwunder in diesem abgelegenen Teil des Landes leer. Weniger als zehn Prozent der Besucher wagen sich in den Norden. Das soll sich nun ändern, mithilfe frisch geteerter Straßen, neuer Hotels und der ersten Seilbahn des Landes.

Im Zentrum des Plans steht das stille Reich von José Gabriel Portocarrero Chavez: Kuélap, die Stadt der Chachapoya, verborgen im Nebelwald auf 3000 Metern Höhe. Die Wolkenmenschen waren gefürchtete Krieger, sie rasierten sich die Schädel, bemalten ihre Gesichter rot und hängten die Köpfe erschlagener Feinde unter ihre Dächer. Nach erbitterten Kämpfen gelang es den Inka, die Chachapoya zu unterwerfen. Ihre prächtigste Stadt, Kuélap, versank im Dschungel.

Chavez wurde vor 59 Jahren im Weiler gleich unterhalb der Ruinen geboren. Aus dem Fenster seines Hofs sieht man die Stadtmauer aus groben Kalksteinblöcken, Bäume stehen wie Wächter auf ihrer Brüstung. "Die ersten Touristen sah ich als Junge", erzählt Chavez, während seine Frau das Abendessen serviert. "Ich versteckte mich jedes Mal im Gebüsch." Als er 1978 aus der Schule kam, half er, die Bäume und das Gestrüpp zu roden, die die Ruinen überwucherten. Er bekam einen Job als Wärter, kassierte, führte Besucher, räumte den Müll weg. Ein paar Jahre arbeitete er ganz allein hier.

Jetzt soll sein Kuélap "das zweite Machu Picchu" werden. So verkündete es Perus Präsident Ollanta Humala im fernen Lima. Humala ließ für gut 24 Millionen Euro eine Seilbahn bauen, ihre Kabinen sollen Touristen in 20 Minuten aus dem Dorf Nuevo Tingo zu den Ruinen tragen. Seit März fährt die Seilbahn. Peruanische Hotelketten planen nun neue Häuser in Nuevo Tingo, für das Jahr 2026 erhofft sich das Fremdenverkehrsamt 435 000 Besucher, fast 15 Mal so viele wie im vergangenen Jahr.

Peru: In Zukunft sollen Touristen mit der ersten Seilbahn Perus zu Kuélap gelangen.

In Zukunft sollen Touristen mit der ersten Seilbahn Perus zu Kuélap gelangen.

(Foto: Ernesto Benavides/AFP)

Für Andreas Haag sind das Luftschlösser. "Das Ganze kann nur funktionieren, wenn es Flüge nach Chachapoyas gibt", sagt er. Die Stadt hat aber nur einen kleinen Flughafen, die Landebahn ist für große Maschinen zu kurz. Deshalb müssen Touristen weiter auf dem Landweg in den hohen Norden reisen. Eine lange Fahrt, zu lang für viele.

Die Chachapoya, die hier einst lebten, bauten in jeder Höhenlage die dazu passenden Pflanzen an

José Chavez ist weniger kritisch, er hält die Seilbahn für eine gute Idee. "So können auch Unfitte die Ruinen sehen." Der Wärter hat sein Haus ausgebaut und vermietet jetzt vier Gästezimmer. Seine Frau verkauft Snacks und Souvenirs vor den Ruinen. Für die beiden sind die Pläne der Regierung eine Chance.

Vorerst aber bleibt es in ihrem Dorf ruhig. Morgens krähen die Hähne in den Höfen ringsum, Nebel hängt in den Bergen. Ein Schwarm grüner Papageien flattert kreischend über die Stadtmauer hinweg. "Da oben sieht es aus wie immer", sagt Andreas Haag. "Als würde gleich Indiana Jones um die Ecke biegen." In der unglamourösen Realität war es ein Landrichter, der die Ruinen 1843 zufällig entdeckte. Die Bewohner der Dörfer ringsum kannten sie natürlich immer. Eine Hunderte Meter lange und 15 Meter hohe Mauer ist schwer zu übersehen.

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Haag steigt eine Gasse in der Stadtmauer hinauf, sie wird immer schmaler, bis nur noch Platz für einen Menschen ist. "Optimal zu verteidigen." Manche hielten Kuélap deshalb für eine Fluchtburg, in die sich die Chachapoya zurückzogen, als die Inka langsam ihr Land eroberten. Aber wenn man oben ins Freie tritt, sieht man, was gegen diese These spricht: Ringsum öffnet sich eine mehr als 100 Meter breite Terrasse. Die Bauherren ließen den Raum hinter der Außenmauer mit Bruchsteinen auffüllen und ebneten so den Hang ein. Und sie bauten ihre Rundhäuser bis dicht an den Rand - nicht gerade praktisch für einen Abwehrkampf.

Traumhafter Wasserfall der mörderischen Nixe

Haag zeigt auf Kratzspuren im Pflaster. "Von Lamahufen", erklärt er, "die Chachapoya waren eine Bauerngesellschaft." Auf den terrassierten Hängen bauten sie die Pflanzen mehrerer Klimazonen an: tropische Früchte in den heißen Tälern, darüber Mais und schließlich Kartoffeln im kühlen Hochland.

Die Felder sind geblieben, vom höchsten Punkt der Festung sieht man sie in den grünen Bergen ringsum. Hier oben stand früher der Hohepriester auf dem Altar. Vielleicht besah er die Opfergaben, welche die Pilger durchs Tor heraufschleppten. Im Haupttempel, wegen seiner geneigten Mauer Tintenfass genannt, fand der Archäologe Alfredo Narváez Hunderte Kultfiguren, Keramiken anderer Kulturen und Schmuck aus Stachelaustern, also vom Meer. Und zwischen dem Füllmaterial der Stadtmauer entdeckte er Skelette, die nach verschiedenen Bräuchen bestattet waren.

Für den Archäologen Beweise, dass Kuélap ein Heiligtum für alle Stämme der Chachapoya war, dass sie von weither kamen, um hier den Göttern zu opfern und ihre Toten zu begraben. "Aber jeder behauptet etwas anderes", sagt Haag.

Kuélap zieht seit Langem Hobbyarchäologen und Spinner an. "Hier im Hochland findet man auf jeder Bergkuppe Ruinen", sagt Haag. Dazu kommen all die Mythen um die Chachchapoya. Die Spanier schrieben, sie seien groß und hellhäutig gewesen. Grund genug für wildeste Thesen: Die einen glauben, dass die Chachapoya Wikinger gewesen seien, andere halten sie für Phönizier, die den Amazonas hochgesegelt waren. Oder für einen verlorenen Stamm Israels.

Tatsächlich waren die Wolkenkrieger aus dem Amazonas-Tiefland eingewandert, das ergaben Genanalysen ihrer Nachfahren in den Bergdörfern. Und sie waren offenbar eine recht egalitäre Gesellschaft. Die 420 Rundhäuser in Kuélap sind alle ähnlich groß, manche sind mit Rauten- und Zickzackmustern verziert, aber Paläste gab es keine. Und auch keine Monumentalbauten wie in Machu Picchu. Dafür Stille und ein bildschönes Ensemble. Hohe Bäume krallen sich in die Ruinen, Bartflechten baumeln von moospelzigen Ästen, Kolibris schwirren um leuchtend rote Bromelien. Es ist leicht, sich hier als Entdecker zu fühlen.

Ein gewaltiger Wasserfall wurde erst 2006 vermessen. Die Einheimischen mieden den Ort

Wer es noch abgeschiedener will, fährt nach Karajia. Haag parkt sein Auto im Dorf und geht querfeldein durch die Äcker. Ein Bauer treibt seine beiden Ochsen an, sie ziehen einen Hakenpflug, wie ihn die spanischen Eroberer mitbrachten. Der Weg führt hinab in eine grüne Schlucht und entlang einer Felswand. Dort, in einem Überhang hoch oben in der Felswand, stehen sechs karminrot bemalte Statuen. Mit ihrem länglichen Kopf, dem spitzen Kinn und den tief in den Höhlen liegenden Augen erinnern sie an die Moai auf der Osterinsel. Die Einheimischen nennen sie Purun Machus, alte Wilde.

Es sind Sarkophage aus Lehm und Stroh, wahrscheinlich für die Gebeine großer Krieger der Chachapoya. Zwei Statuen tragen Schädel auf der Hutspitze. "Solche Orte gelten als magisch", sagt Haag und deutet auf Menschenknochen am Wegesrand. "Hier kommen heute noch Schamanen her, um mit ihren Patienten Heilrituale zu praktizieren."

Aberglaube war auch der Grund, warum die neueste Attraktion der Nordroute so spät entdeckt wurde. Die Einheimischen mieden den Gocta-Wasserfall lange. Sie erzählten sich, im Becken zu seinen Füßen lebe eine Nixe, die Männer verführt und ins Wasser zieht. Bekannt wurde der Gocta erst 2006, als ihn ein deutscher Entwicklungshelfer mit peruanischen Forschern vermaß - und die Rekordhöhe von 771 Metern feststellte. Ob er damit der dritthöchste Wasserfall der Welt ist oder nur Nummer 16, ist Definitionssache. Und letztlich egal.

Eine Augenweide ist der Wasserfall schon aus der Ferne, vom Dorf Cocachimba, wo Investoren nach der Rekordmeldung eilig eine Lodge mit Swimmingpool bauten. Am Fußballplatz daneben warten Guides mit Pferden. Gemächlich trotten sie zwischen Baumfarnen und Balsabäumen hindurch, über eine Hängebrücke und neu angelegte Treppen. Und dann steht man im Sprühregen, legt den Kopf in den Nacken, schaut über die Urwaldberge und hofft in einem Anflug von Egoismus, dass Andreas Haag recht behält mit seiner Skepsis.

Ein Machu Picchu ist genug.

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