Mittelmeer:Zusammen wachsen in Zypern

Nord-Zypern

Wie ein zu hoch gewachsener griechischer Tempel: das Hotel Kaya Artemis in Bafra.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Wie reist es sich auf einer zerrissenen Insel? Ein Besuch im von der Türkei besetzten Norden Zyperns - wo vieles nur auf den ersten Blick malerisch erscheint.

Von Monika Maier-Albang

Die Esel sind größer und dunkler, als man sie aus Griechenland und aus der Türkei kennt. Sie kamen wohl einst im Schlepptau nordafrikanischer Eroberer, als Lastenträger, die nur heute niemand mehr braucht. Und so stellt sich einer vor das Auto, während ein anderer seine flaumbewachsenen Lippen durch das Fenster des so ausgebremsten Wagens reckt. Die Händler in Dipkarpaz, dem nächstgelegenen Dorf, machen mittlerweile gemeinsame Sache mit den Wegelagerern - und ein gutes Geschäft mit verhutzelten Karotten.

An die 4000 verwilderte Esel leben im äußersten Nordosten von Zypern, an der Spitze der Karpaz-Halbinsel. Ein Zaun hält sie davon ab, gen Süden zu wandern und die Felder kahl zu fressen. Eine Attraktion sind sie längst, allerdings nur eine zusätzliche. Unterhalb des Klosters, das nach dem Apostel Andreas benannt ist und an einer Steilküste liegt, fließt Quellwasser aus einer einbetonierten Felswand etwas müde ins Meer; es soll bei Augenleiden helfen. Der Priester von Dipkarpaz, Zacharias Georgio, hat zudem Olivenöl gesegnet und am Eingang zur Kirche aufgestellt. Die Gläubigen tupfen es mit Watte auf und nehmen es im Plastikbeutel mit nach Hause, wo Kranke warten. Das Geld, das sie dalassen, legen sie auf den Opferstock. Sicherheitshalber. Aus der Kiste, so munkelt man, bedient sich das türkische Militär.

So ist das hier, im Norden Zyperns. Vieles, das malerisch erscheint auf den ersten Blick, ist bei näherem Hinsehen nicht nett. Auch um die Esel war ein Streit entbrannt. Die Parkverwaltung im Norden verlangte Eintritt ins Schutzgebiet. Die Pilger aus dem Süden fühlten sich gegängelt; sie kommen ja nicht der Esel wegen. Mittlerweile ist der Zugang frei. Aber die Emotionen sind noch immer schnell abrufbar.

Seit 1974 hält die Türkei den Norden Zyperns besetzt. Die Invasion auf der von türkischen wie griechischen Zyprioten bewohnten Insel folgte auf einen griechischen Putsch. Bis heute wird die Türkische Republik Nordzypern nur von der Türkei anerkannt, der Süden, die Republik Zypern, ist seit 2004 Mitglied der EU. Die Trennlinie wird von den UN bewacht, ist aber an mittlerweile sieben Übergängen passierbar. Wer sie vom Süden her überquert, landet in einer Parallel-Türkei, nur ohne die dort allgegenwärtigen Erdoğan-Bildnisse. In Nordzypern hat das türkische Militär das Sagen, auf den Marktplätzen stehen, in kemalistischer Tradition, Denkmäler, die Staatsgründer Atatürk zeigen.

Erst seit Kurzem füllen die Pilger aus dem griechischen Süden wieder Busse, die zum orthodoxen Kloster Apostolos Andreas fahren. Zum einen, weil dieses frisch renoviert wurde und es Zacharias Georgio erst seit diesem Jahr gestattet ist, einmal pro Monat hier Gottesdienst zu feiern. Zum anderen, weil viele Menschen aus dem Süden erst jetzt, Jahre nach der Öffnung des ersten Übergangs im Jahr 2003, ihre Angst so weit abgelegt haben, dass sie überhaupt bereit sind, in den Norden zu fahren. Auf beiden Seiten gab es Pogrome und Vertreibung. Da tastet man sich lieber vorsichtig an den anderen heran.

In Nikosia singen und tanzen seit Mai Menschen inmitten der Pufferzone - jeden Tag

In der geteilten Hauptstadt Nikosia ist dieses zaghafte Aufeinanderzugehen an einem Ort besonders sichtbar: in der Ledrastraße. Seit 2008 gibt es dort einen Übergang, den man nur zu Fuß passieren kann. Obwohl man mitten in der Altstadt ist, war die Gegend abends lange ausgestorben - Geschäfte und Restaurants wollten so weit weg wie möglich vom Zonenrandgebiet. Geht man nun gegen 19 Uhr vom Süden aus über die Demarkationslinie, landet man in einem Pulk Menschen, die um bunt behäkelte Olivenbäumchen herum Syrtos tanzen. Seit dem 18. Mai versammeln sich die Aktivisten von "Unite Cyprus Now" täglich innerhalb der Pufferzone, der "Green Line", wie sie hier sagen. Junge wie Alte, griechische wie türkische Zyprioten. Es ist anrührend zu sehen, wie Cemal Varoğlu ein Lied auf Türkisch singt, das Mihalagis Dilyaris auch aus seiner Kindheit kennt - nur eben auf Griechisch. Beide gehören zur angestammten Bevölkerung, beide mussten die Heimat verlassen und sich ein neues Zuhause suchen. Dillirga heißt das Lied. Es handelt, natürlich, von der Liebe.

Ein paar Meter weiter bauen junge Musiker ihre Instrumente auf. Im Café MekHan, das im Innenhof der stilvoll renovierten kleinen Karawanserei Kumarcılar Han, der "Herberge der Glückspieler", aufgemacht hat, werden sie spielen. "So etwas gab es hier vor ein paar Jahren noch nicht", sagt Simon Bahçeli, ein Mann mit türkisch-zypriotischen Wurzeln, der lange in Großbritannien gewohnt hat. Er war Vorreiter bei der Wiederbelebung der nördlichen Altstadt. Ende 2015 eröffnete Bahçeli außerhalb von Büyük Han, der großen Karawanserei, das Café "Hoi Polloi". Der griechische Name im türkischen Teil der Stadt ist Programm: "Die vielen", das Volk zu beiden Seiten des Zauns, sollen sich hier treffen, und das tun sie auch.

"Die Berliner Mauer ist doch auch in einer Nacht gefallen"

Bahçeli hat ein paar schlichte Tische aufgestellt, zu elegant mag er's nicht. Es kommen die Jungen, sie hören tatsächlich Janis Joplin, unterhalten sich auf Englisch - die einen verstehen kein Griechisch mehr, die anderen haben nie Türkisch gelernt. Ein Vorbild für die Zukunft der Insel? "Es wird funktionieren, wenn das alte Denken nicht mehr in den Köpfen ist", glaubt Bahçeli. Und auch wenn gerade wieder Gespräche über die Wiedervereinigung der Insel, die unter UN-Vermittlung in der Schweiz stattfanden, gescheitert sind: Die Hoffnung will er nicht aufgeben. Wie auch die Aktivisten von "Unite Cyprus Now" zwar enttäuscht sind, aber weitermachen wollen. "Die Berliner Mauer ist doch auch in einer Nacht gefallen", hört man oft auf der Insel.

Der Weg aber scheint noch weit zu sein. Das merkt auch, wer als Tourist versucht, beide Teile der Insel zu bereisen, ohne ein Reiseunternehmen an seiner Seite zu haben. Mietautos bekommt man entweder nur für den Norden oder für den Süden - die Abwicklung im Schadensfall könnte kompliziert werden. Den Übergang in Nikosia muss man ohnehin erst einmal finden. Ausgeschildert ist er nicht. Und auch nicht verzeichnet auf der touristischen Karte, die man im Süden bekommt. Auf keinen Fall will die Republik Zypern den Eindruck erwecken, dass sie die Machtverhältnisse im Norden anerkennt. Die türkische Seite hat in ihren Touristen-Karten zwar die Checkpoints verzeichnet, dafür gibt es kein Symbol für Kirchen, die Gäste ja vielleicht doch interessieren könnten. Gut zu finden sind indes Marinas, Golfanlagen - und die Esel von Karpasia.

Dieser Teil der Insel, einer der schönsten, wird wohl nicht mehr lange so wild und unberührt bleiben, wie man ihn jetzt noch erleben kann. Unterhalb des Esel-Zauns liegt ein kilometerlanger Sandstrand, ein Schutzgebiet für Schildkröten. Trotzdem machen sich bei Golden Sands Hütten breit. Wer sich auskennt, findet Oasen wie die Bucht bei Agios Filon. Ein paar Schirme, ein Restaurant. Wer Zyperns ruhige Seiten kennenlernen will, sollte allerdings ohnehin im Herbst oder Frühjahr kommen, wenn die Orchideen blühen und man auf den Wanderwegen im Gebirge nicht verglüht.

Mittelmeer: *international nicht anerkannt, mit Ausnahme der Türkei

*international nicht anerkannt, mit Ausnahme der Türkei

Doch auch dann wird man die Bausünden sehen: die Marina auf der Karpaz-Halbinsel, ins Nichts gesetzt, an einen Strand, an dem bis dato nur alle paar Kilometer steinerne Überreste von jahrhundertealten Lagerhallen für Johannisbrotschoten standen. An den Hängen ziehen sich Apartment-Siedlungen mit geklonten Häusern empor, die zwar weder über Wasser- noch Stromanschluss verfügen, aber günstig zu haben sind. Briten und Russen werden auf großen Werbetafeln als Kunden umworben. Sie füllen gemeinsam mit Türken vom Festland auch die Bordelle und Casinos Nordzyperns, die hier florieren, weil Glücksspiel in der Türkei offiziell verboten ist. Eine Schnellstraße führt seit Kurzem fast bis zur Spitze der Insel. Praktisch, wenn man baden gehen will. Praktisch aber auch für die "Bauhyänen", wie Irene Raab Marancos die Spekulanten nennt, die im Norden Zyperns gute Geschäfte machen. Auf rechtlich unsicherem Terrain.

Die aus Deutschland stammende Reisefachfrau lebt seit drei Jahrzehnten bei Girne, dessen griechischer Name Kyrenia auch von türkischen Zyprioten benutzt wird. Mit der Grenzöffnung 2003 und dem EU-Beitritt 2004 sei eine Kettenreaktion in Gang gebracht worden, sagt Raab Marancos: Auf einmal hätten Bauern begonnen, ihr Land zu verkaufen - Land, das griechischen Bauern gehörte. Die Siedler aus Anatolien waren nach der Annexion in den 1980er-Jahren von der türkischen Regierung in die menschenentleerten Dörfer geschickt worden. Nun fürchteten sie, im Falle einer Wiedervereinigung Zyperns in die Türkei zurückzumüssen. "Da haben sie den Boden lieber zu Geld gemacht."

Wasser, Strom, Tomaten für die Hotels - die Türkei beliefert mittlerweile den Norden Zyperns mit allem, was er für seine touristische Expansion braucht. Arbeitskräfte inbegriffen. Man trifft hier viele Türken, die froh sind, der Enge und Perspektivlosigkeit ihrer Heimat entkommen zu sein, Kurden häufig, aber auch Menschen, die in Antalya keine Arbeit mehr finden. Hier gibt es sie - Nordzypern habe die Zahl seiner Besucher zwischen 2010 und 2015 von 900 000 auf 1,5 Millionen nahezu verdoppelt, schreibt die griechisch- zypriotische Tageszeitung Simerini. Es gibt mittlerweile einige Strände, zu denen - rechtswidrig - nur Hotelgäste Zugang erhalten oder für die Eintritt verlangt wird.

Das jüngste Tourismus-Projekt im Norden heißt Bafra: 18 Hotels an einem bislang unbebauten Strand im Süden der Karpaz-Halbinsel. Zwei stehen bereits: Arche Noah in Form eines Schiffs und Kaya Artemis, das aussieht wie ein zu hoch gewachsener griechischer Tempel. Das nächste Hotel, das fertig wird, heißt Babylon.

In den Hotels des Nordens finden Türken eine Zuflucht, die es daheim nicht aushalten

Dabei will der Norden nur machen, was der Süden längst vorgemacht hat, in Badeorten wie Agia Napa oder Limassol. Schon in den 1960er-Jahren, als Zypern noch geeint war und bevor die Urlauber Ibiza oder Mallorca kannten, gab es hier einen Party-Strand: Varosha, ein damals neu entstandener Teil der Stadt Famagusta an der Ostküste. Weiter, weißer Sand, türkises Wasser, Hochhäuser. Man fand das schick. Heute ist Varosha eine Geisterstadt im türkisch besetzten Norden. Ein einziges Hotel ist zugänglich, dort stehen Lounge-Sessel am Strand. Man kann hier baden mit Blick auf fensterlose Häuser und einen Wachturm am Strand. Das Meer jenseits der roten Bojen ist angeblich vermint.

Auch in Famagusta haben sich zahlreiche Initiativen gegründet, die eine Wiedervereinigung anstreben. Evie Hadjikakou-Abou Youssef kann sich noch erinnern, wie sie als Kind hier geschwommen ist, zum "Kamelfelsen", einem Buckel vor der Küste, und zurück. Sie war 14, als sie, ihre Geschwister und Eltern das Haus am Strand Hals über Kopf verlassen mussten. "Da hängen so viele Kindheitserinnerungen dran."

Das Orangenfest, das Sintflutfest am Strand mit dem großen Jahrmarkt. Famagusta ist eine interessante Stadt mit seinen venezianischen Befestigungsanlagen, den alten Lagerhallen, der antiken, teils noch unter Sand und Bäumen begrabenen Siedlung Salamis, der Kathedrale, erbaut vom französischen Kreuzfahrer-Geschlecht der Lusignans, die als Moschee genutzt wird. Einen Übergang gibt es, eine neue Straße dorthin auch. Die Öffnung war für Juni in Aussicht gestellt, bis heute kann man nicht passieren, das türkische Militär sperrt sich. Doch auch von den Nachbarorten im Norden wie im Süden komme wenig Unterstützung, klagt Serdar Atai.

Dort fürchtet man wohl die Konkurrenz. Atai, der mit seiner Organisation Masder für eine Anerkennung Famagustas als Unesco-Weltkulturerbe kämpft, ärgert das. "Die Insel muss sich auf ihr gemeinsames Erbe besinnen. Wenn wir wieder ein Land sind, werden alle profitieren, türkische wie griechische Zyprioten."

Reiseinformationen

Anreise: Der Nordteil der Insel Zypern hat zwar einen Flughafen im Westen von Nikosia; Ercan wird aber, da die Türkei als einziger Staat die Türkische Republik Nordzypern anerkennt, nur von der Türkei aus angeflogen. Man muss also in Istanbul umsteigen. In den Süden gibt es direkte Flugverbindungen von Deutschland nach Larnaca.

Reisearrangement: Der Münchner Studienreiseanbieter Studiosus hat eine zehntägige Reise durch beide Teile Zyperns im Programm. Man reist z. B. nach Paphos, in das Troodosgebirge, nach Nikosia und Kyrenia, Salamis und Famagusta. In Nikosia trifft die Gruppe eine Dichterin, in Famagusta einen UN-Mitarbeiter. Die Reise "Zypern - die ganze Insel" ist inklusive Flug, Rundreise, Übernachtungen in Vier- und Fünf-Sterne-Hotels, Halbpension und Studiosus-Reiseleitung ab 1845 Euro buchbar. Internet: www.studiosus.com Weitere Auskünfte: www.welcometonorthcyprus.org, www.visitcyprus.com

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