Gardasee:"Meine Freunde erklärten mich für verrückt"

Alberto Rania schmiss seinen sicheren Job, um der letzte Fischer von Riva am Gardasee zu werden. Dafür riskiert er manchmal sein Leben.

Von Helmut Luther

Morgens um drei schwanken auf dem Viale Rovereto einige Nachtschwärmer heimwärts - anscheinend die einzigen, die um diese unchristliche Zeit auf den Straßen von Riva unterwegs sind. Doch dann knattert ein Dreiradroller heran, biegt in die kopfsteingepflasterte Piazza ein, die hinunterführt zur Rocca, der mittelalterlichen Stadtfestung direkt am Seeufer. Im wassergefüllten Graben, der sie umgibt, dümpeln Motorboote. Vor einem dieser Boote parkt der Fahrer seinen weißen Roller. Er schlüpft in eine Ölhose, springt ins Boot, drückt einige Knöpfe am GPS-Gerät und startet den Außenbordmotor. Dann tuckert er hinaus in die Dunkelheit.

Alberto Rania ist der letzte Fischer von Riva. Der 54-Jährige hat als Koch in Hamburg und München gearbeitet, dann 24 Jahre lang in einer Papierfabrik im nahen Arco am Fließband gestanden. Im Frühjahr 2015 hat Rania diesen Job aufgegeben, um hauptberuflich Fischer zu sein hier am Nordufer des Gardasees. "Meine Freunde erklärten mich für verrückt, auch meine Frau war anfangs skeptisch", erzählt Rania, während er den Kahn am Zehn-Meter-Turm Spiaggia degli Olivi vorbeilenkt, welcher nachts seinen Lichtstrahl über die tintenschwarze Seeoberfläche schickt.

Alberto Rania

Wenn Alberto Rania seinen Fang präsentiert, hat er schon einen langen Arbeitstag auf dem See hinter sich.

(Foto: Privat)

Die Badeanstalt wurde in den 1930er-Jahren von dem Architekten Giancarlo Maroni erbaut, prominenter Dauergast war der schrille Dichter und Mussolini-Freund Gabriele D' Annunzio. "Als Kinder drückten wir außen an den Fensterscheiben der noblen Strandbar unsere Nasen platt, für den Eintritt fehlte das Geld", sagt Rania.

Er hält nun Kurs auf zwei Leuchtbojen Richtung Malcesine. Dort hat er gestern Abend einige Netze ausgelegt. Dabei wurde Rania von einem Gewitter überrascht, über dem Monte Baldo im Osten zuckten Blitze - jedoch fielen lediglich ein paar Tropfen, sodass sich der Fischer seine Regenjacke gar nicht erst überzog.

Der See verlangt Respekt

Alberto Rania weiß allerdings, dass der Gardasee gefährlich sein kann für Segler, Surfer, Badende. "Es gibt jedes Jahr mehrere Tote", sagt er. Besonders hier an der fjordähnlichen Nordhälfte, wo die steilen Felswände einen Windkanal bilden, fänden extreme Wetterumschwünge statt, mit meterhohen Wellen und Windspitzen über 100 Kilometer pro Stunde. Ihm selbst habe eine Böe schon einmal das Boot umgeworfen, erzählt Rania; im vergangenen Jahr verfingen sich seine Netze in der Motorschraube. "Ich hatte sie vor dem Hafen von Riva ausgebracht und wollte sie unbedingt vor einem nahenden Sturm einholen." Erst kurz vor der Hafenmauer sei es ihm gelungen, das Boot wieder manövrierfähig zu bekommen. "Seitdem ist mein Respekt vor dem See noch gewachsen."

In dieser Nacht bleibt alles friedlich. Es herrscht beinahe Windstille. Im Vollmondlicht glänzt die geriffelte Seeoberfläche wie zerknittertes Stanniolpapier. Inzwischen hat Alberto Rania die erste Leuchtboje erreicht. Er schaltet den Motor ab und beginnt das Netz einzuholen, indem er sich mit gespreizten Beinen gegen die Bordwand stemmt. Das gesäuberte Netz rollt er in einer Plastikkiste auf.

Gardasee: SZ-Karte: Mainka

SZ-Karte: Mainka

"Solche Bedingungen gibt es selten", sagt Rania in die vom monotonen Wellengeplätscher untermalte Stille hinein. Im Netz hängen Gardasee-Sardinen - Finten - , manche bis zu 20 Zentimeter lang. Rania löst sie aus den Maschen und wirft sie in Styroporkisten, die er mitgebracht hat. Die Finten gehören wie die Sardinen zur Familie der Heringe; sie sind ehemalige Meeresfische, die nur zum Laichen ins Süßwasser schwammen. Irgendwann blieben sie dann einfach im See. Die größeren Felchen, die zwar im Gardasee stark verbreitet sind, die Rania aber in weit geringerer Zahl fängt, landen mit einem dumpfen Klatschen auf dem Schiffsboden.

Die Fangmethode, mit der Alberto Rania hier auf dem See zwischen Riva und Malcesine arbeitet, heißt "fliegende Netze". Es ist eine schwierige Art zu fischen, da der Wind und starke Strömungen die nirgendwo fixierten Fanggeräte abtreiben. Manchmal entsteht auch ein sogenannter "Sack": Netz und Beute verheddern sich, stranden auch noch an den Uferfelsen. Die Fischer fürchten das, denn der Schaden ist beträchtlich.

Überhaupt, sagt Rania: In seinem Revier sei der Gardasee weit gefährlicher als im Süden, wo ihn grüne Hügel rahmen.

Ein See mit zwei Gesichtern

"Eigentlich sind es zwei komplett verschiedene Seen, die Nord- und die Südhälfte." Im Norden sind die Wetterverhältnisse oft so schlecht, dass Rania sich nicht auf den See hinauswagen kann. Es ist ja kein Zufall, dass die Surfer und Segler ans windumtoste Nordufer kommen.

Rania zufolge gibt es am Gardasee noch rund 50 Fischer, die hauptberuflich tätig sind. Mit ihnen tauscht er Erfahrungen aus. Man berät sich darüber, in welcher Tiefe eine bestimmte Fischart am besten zu fangen ist. "Sardinen zum Beispiel halten sich in dieser Jahreszeit nahe an der Wasseroberfläche auf; sie bevorzugen wärmere Temperaturen."

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Steile Felswände prägen den Nordteil des Gardasees bei Riva.

(Foto: Westend61/Imago)

Forellen sind besonders begehrt

Aber auch beim heutigen Fang gilt: keine Regel ohne Ausnahmen. Bei Vollmond, so sagen die Fischer, ziehen die Fische weniger umher und gehen folglich nicht so leicht ins Netz. Heute aber hat Rania nach etwa einer Stunde beinahe drei Kisten mit den Gardasee-Sardinen gefüllt, außerdem gut zwei Dutzend Felchen gefangen. "Du bringst mir Glück", scherzt er, als er nacheinander zwei fünf Kilo schwere Forellen über die Bordwand zieht.

Die begehrtesten unter den Gardasee-Fischen bringen ihm 20 Euro pro Kilo ein. Aber es gibt auch Tage, an denen Rania gar nichts fängt. Heute bleiben nur die Netze in Ufernähe an der Mündung des Sarca-Flusses, wo Rania Schleie und Hecht fangen wollte, wider Erwarten leer.

Es ist sechs Uhr früh, als Alberto Rania sein Boot zurück in den Hafen von Riva lenkt, am Lungolago, der Uferpromenade zwischen Lazise und Garda, sind bereits die ersten Jogger unterwegs. Gleich wird die Sonne ihre rosafarbenen Finger über die verschachtelten Ziegeldächer der Altstadt ausstrecken. Per WhatsApp informiert der Fischer seine Stammkunden darüber, was er heute gefangen hat.

Punkt zehn Uhr parkt Alberto Rania seinen weißen Roller erneut vor der Rocca. Er hat inzwischen den Fang ausgenommen und steht im T-Shirt vor seinem Transportfahrzeug, welches ihm auch als mobiler Laden dient. Auf Eis schimmern die silbrigen Sardinen, tranchierten Felchen und in daumendicke Steaks zerlegten Forellen. Die Piazza ist voller Menschen. Eine Artistengruppe zeigt akrobatische Figuren, Einheimische schlängeln sich auf Fahrrädern, gerne mit Hündchen vorne im Korb, um Touristengruppen herum.

Rania und sein Laden bilden ein beliebtes Fotomotiv. "Wenn ich pro Bild 50 Cent verlangen würde, bräuchte ich nicht mehr zum Fischen rausfahren", witzelt er. Doch auch so muss sich Rania nicht beklagen. Vor dem Laden hat sich eine Warteschlange gebildet. Immer wieder wird der gelernte Koch von Kunden nach Rezepten gefragt.

Reiseinformationen

Anreise: mit dem Auto von München über die Brennerautobahn, Ausfahrt Rovereto Sud, ca. 5 Stunden.

Unterkunft: Hotel Antico Borgo, via A. Diaz 15 in Riva del Garda, Doppelzimmer mit Halbpension ab 109 Euro pro Nacht und Person, Tel.: 0039 / 464 55 22 77, www.anticoborgogarda.it. Hotel Oasi, Viale Rovereto 110 in Riva, Doppelzimmer ab 115 Euro, Tel: 0039 / 464 55 45 07, www.oasi-hotel.it. Hotel Villa Miravalle, Via Monte Oro 9 in Riva, Halbpension ab 109 Euro pro Nacht und Person, www.hotelvillamiravalle.com, www.anticoborgogarda.it.

Weitere Auskünfte: Alberto Rania verkauft jeweils dienstags, freitags und samstags von 10 bis 12 Uhr fangfrischen Fisch an der Rocca, Piazza C. Battisti, Tel.: 0039 / 33 34 85 92 60, info@albertorania.it.

Ein braun gebrannter Rentner in rotem Marken-Polohemd erklärt hingegen, keine Kochtipps mehr zu benötigen. "Ich bin hier an der Piazza aufgewachsen und esse nur Seefisch", sagt Silvano Ravella. Der 70-Jährige empfiehlt die Forellensteaks. "Sie schmecken hundert Mal besser als Lachs und sind gesünder als Zuchtforellen, die man hier in vielen Restaurants bekommt." Ein Tipp noch vom Stammkunden: Zu den in Salz und Öl eingelegten Felchen-Filets, die Alberto Rania in kleinen Gläsern verkauft, passe hervorragend der lokale Weißwein Nosiola. Weißbrot dazu, der Wein zum Hinunterspülen, so zergingen die Filets auf der Zunge.

Eine sehr gute Idee. Man setzt sich dazu am besten auf eine Bank ans Seeufer. Gegenüber springen Jugendliche kreischend von Felsen ins Wasser hinunter, weiter draußen ziehen die Surfer und Segler ihre Kreise. Und keiner von den Wassersportlern scheint zu ahnen, welche Leckerbissen unter seinen Füßen herumschwimmen.

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