Flims (Graubünden):Hoch-Genüsse

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Zwischen der Rheinschlucht und der Ringelspitz wartet ein verstecktes Bergparadies mit kulinarischen und landschaftlichen Hochgenüssen.

Von Stefan Herbke

Die Eiszeit endete mit einem gewaltigen Knall. Noch vor ungefähr 15.000 Jahren reichten die Eismassen im Raum Flims bis auf rund 2000 Meter Höhe und stützten die Talseiten. Dann wurde es warm. Das Abschmelzen der Gletscher und damit verbunden der nachlassende Druck auf die seitlichen Berghänge, unterstützt durch Unmengen an Schmelzwasser, waren letztlich Auslöser für den größten Bergsturz Europas am Flimserstein.

Um sich die Dimensionen des Flimser Bergsturzes bildlich vorzustellen, sind Zahlen hilfreich: rund zwölf Milliarden Kubikmeter Fels stürzten in der Späteiszeit talwärts, begruben eine Fläche von rund 40 Quadratkilometern zwischen Reichenau und der Station Castrisch, und türmten sich bis zu 800 Meter auf. Die Folgen sind nicht zu übersehen.

Der Rhein wurde aufgestaut und musste sich über Jahrhunderte hinweg durch die Barriere einen neuen Weg suchen. Eine zeitraubende Arbeit, dessen krönendes Ergebnis die gewaltige Rheinschlucht bildet, die werbewirksam gerne auch "Swiss Grand Canyon" genannt wird. Ruinaulta ("hoher Abbruch"), wie die Schlucht im rätoromanischen Sprach- und Kulturraum der Surselva bezeichnet wird, klingt da schon passender.

Segensreicher Bergsturz

Für die Region Flims war das Ereignis im Rückblick betrachtet ein Segen. Durch den Bergsturz entstand die sonnenverwöhnte Terrasse über dem Rheintal mit ihren ausgedehnten Wiesen und Wäldern, die geradezu lieblich ist, vor allem durch den Kontrast zum mit Steilwänden aufragenden Flimserstein dahinter, der wie ein Wächter über dem Urlaubsort thront und wo einst der Bergsturz seinen Anfang nahm.

Die hellen und glatt geschliffenen Felspartien sind heute noch sichtbares Zeichen der Katastrophe. Und als echte Attraktion lockt die Ruinaulta mit dem mäandrierenden Rhein und den leuchtend weißen Kalkwänden, messerscharfen Graten und bizarren Türmen - Anziehungspunkt für Wanderer, Eisenbahnfreunde, Wanderer und Rafting-Fans.

Nicht zuletzt bietet Flims viele lohnende, wenngleich durch ihre eher sanften Formen wenig spektakuläre Gipfel, die teils deutlich über die 3000-Meter-Marke ragen, aber bis heute gern übersehen werden. Nur der Cassonsgrat am Flimserstein, der mit Bergbahnen leicht zu erreichen ist, macht eine Ausnahme, während die Berge dahinter wie Ringelspitz, Trinserhorn, Piz Sardona, Piz Segnes und Laaxer Stöckli in erster Linie Kulisse sind.

Eingeweihte haben dagegen den Gratkamm längst entdeckt und schätzen neben den aussichtsreichen Zielen auch die Einsamkeit und eine gewisse Ursprünglichkeit der Touren.

Diese klare Trennung verwundert dann doch wieder, schließlich zählt Flims zu den beliebtesten Urlaubsorten in Graubünden. Vor allem im Winter, wenn sich in der Alpenarena Flims-Laax-Falera ein Skikarussell der Superlative dreht.

Ruhige Sommerszeit

Im Sommer dagegen wird die Weiße Arena zur Grünen Arena, alles ist wesentlich ruhiger. Gut, da sind die Mountainbiker, die im Bereich des Liftgebiets zahlreiche Trails finden, wobei bergorientierte Biker am ehesten die Mammutstrecke zum Vorabgletscher interessiert. Doch die schnellen Zweiradfans verteilen sich ganz gut und tangieren die Spaziergänger und Wanderer nur am Rande.

Das Gros der Sommergäste bevorzugt die gemütlichen und schattigen Wanderwege, etwa vom fast schon mondänen Flims-Waldhaus nach Conn. Auch in die Höhe wagen sie sich, allerdings nicht zu hoch hinaus. Flims ist bekannt für seine guten Wanderwege bis hinauf in die 2000-Meter-Region.

Dort machen auch kulinarische Hochgenüsse ihrem Namen alle Ehre. Etwas Feines für den Gaumen gibt es in Flims wie selbstverständlich auch in Hütten und Bergrestaurants. Typisch Schweiz eben, selbst einfache Gerichte schmecken vorzüglich, wenngleich ein Blick auf die Preise ein ängstliches Zucken des Geldbeutels hervorruft. Doch davon sollte man sich auf keinen Fall den Appetit verderben lassen.

Und wer etwa auf Startgels bei Ueli Grand einkehrt und den Chef beobachtet, wie er höchstpersönlich am offenen Kamin steht und seine Gerichte grillt, dem läuft sofort das Wasser im Munde zusammen.

Vor dem Genuss...

Zur Alpenrose Startgels kommt man nicht zufällig, zu abseits liegt das Bergrestaurant bei der Grauberg-Talstation von den gängigen Wanderwegen, nach Startgels kommt man wegen Ueli Grand. Selbst von der Sesselbahn-Station Foppa ist man gut 30 Minuten unterwegs - zurück ins Tal deutlich länger, schließlich fährt abends keine Bahn mehr. Doch für das feine Brot aus dem eigenen Holzbackofen und für die am Grill zubereitete Polenta oder das zarte Lamm ist eigentlich kein Weg zu weit.

Ueli Grand ist ein "Bergleroriginal", wie ihn Einheimische gerne bezeichnen. Dazu passt bereits das Äußere: kräftige Statur, langer, rötlicher Vollbart und lichtes Haar. Kurz, ein uriger Typ, der aber weiß, was er macht. "Nirgends schmeckt das Lamm besser als bei ihm", urteilen seine Gäste.

Ueli hat das richtige Händchen, um das Fleisch lang genug, aber keinesfalls zu lang auf dem Grill zu lassen, und die Qualität seines Lammfleisches kennt er bestens. Die Lämmer stehen auf seiner Weide, und die Milch für den selbst gemachten Schafskäse kommt von den Schafen, die gleich hinter Startgels saftige Wiesen finden.

In die Gänge kommen

Kulinarische Hochgenüsse begegnen einem bei vielen Wanderungen rund um Flims. Wer seine Touren geschickt aussucht, der spaziert von einem Gang zum nächsten. Und das mit gutem Gewissen, denn die Kalorien werden genauso schnell verbrannt, wie sie vorher aufgenommen wurden.

Die geschickte Vermarktung als Kulinarik-Trail lag da fast auf der Hand. Statt vom Tal zum Gipfel heißt es beim Kulinarik-Trail Berg-&-Sicht-Wanderung mit "Capuns da Larnags" in der Tegia Larnags, Rast bei "Bündner Gerstensuppe" im Bergrestaurant Runcahöhe, Übergang zum "Lammkotelette vom Holzkohlengrill mit am offenen Feuer gekochter Polenta und marktfrischem Gemüse" in Startgels, und Gipfelfreuden bei der "Bündner Nusstorte mit marinierten Waldbeeren" im Bergrestaurant Foppa.

Bevor einem das Wasser im Munde zusammenläuft, zurück zur Eiszeit. Anders als in Conn wurde oberhalb von Bargis die Landschaft unmittelbar durch das Eis geformt. Mit aller Kraft schob sich der Gletscher durch das Tal, hobelte und schliff es zu einem klassischen U-Tal, durch das ein traumhafter Anstieg führt.

Der Blick zurück ist atemberaubend. Ein tief eingeschnittene Tal, durch dessen grünen Boden ein Bach wunderschön mäandriert, rechts begrenzt von den mächtigen Abstürzen des Flimsersteins, links steile Flanken mit Wiesen, in denen man erst beim zweiten Blick erkennt, dass selbst dort oben Kühe weiden. Berggängige Kühe, denn ein Ausrutscher wäre fatal.

Menschenverlassen

Bei La Rusna weitet sich das Tal, oberhalb einer kurzen Steilstufe öffnen sich weite Karkessel, einsame Kare, in denen man nur Schafen und Kühen begegnet. Wanderer trifft man lediglich auf dem Anstieg über die Fuorcla Raschaglius zum Cassonsgrat, wer dagegen in die Trinser Furgga steigt, der ist mutterseelenallein und freut sich, wenigstens ab und zu einen Steinmann zu sehen.

Genau das macht den Reiz der Berge über Flims aus, es sind einsame Ziele, bei denen noch ein gutes Maß an Orientierungsvermögen gefragt ist. Und es gibt Gipfel, auf die sich das ganze Jahr über kein Mensch verirrt. Piz Sax, Tristelhorn, Glaserhorn, diese Namen stehen in kaum einem Tourenbuch.

Nur einen wird man häufiger finden, zumindest auf der Gipfelwunschliste: den Ringelspitz. Der höchste Gipfel des Kantons St. Gallen und die höchste Erhebung zwischen Glarner Alpen und Silvretta ist mit seiner auffallenden Gipfelnadel nicht zu übersehen. Ein unnahbarer, kühner Berg, selbst auf dem Normalweg zu anspruchsvoll für den Durchschnittsbergsteiger, so dass er für viele nur Wunsch bleibt.

Die gemütliche Ringelspitzhütte ist der Stützpunkt für die meisten Gipfelaspiranten, nur eine Handvoll wählt jedes Jahr den Anstieg von Bargis aus über den Rücken des Tschep. Der ist allerdings erst möglich, wenn die Schneeflecken in der steilen Felsflanke westlich des Ringelspitz von der Sommersonne weggeschleckt sind.

Erlebnis Zustieg

Dann zeigt sich das schmale Schuttband an der Nahtstelle zwischen dem brüchigen, leicht bräunlichen Flyschschiefersockel und dem festen, leicht grünlichgrauen Verrucano-Gestein des Gipfelaufbaus, das eine Querung der Flanke ermöglicht.

Allein der Zustieg dorthin ist ein Erlebnis. Weglos folgt man dem mit Edelweiß übersäten Rücken, der weiter oben in eine mit Felsplatten übersäte Geröllwüste übergeht, bis unter den steilen Gipfelaufbau - wer Einsamkeit sucht, der ist hier genau richtig.

Und wer sich für Geologie interessiert, der ist begeistert. Wie mit dem Lineal gezogen, verlaufen die Grenzen zwischen dem viel älteren Verrucano-Gestein (Grauwacke) und einer Kalkschicht, die wiederum auf Flyschschiefern liegt, wobei die Linie am Ringelspitz auf rund 3100 Metern Höhe ihren höchsten Punkt erreicht und nach Westen zu deutlich abfällt.

Das Besondere dabei ist, dass älteres Gestein auf dem viel jüngeren liegt, unter Geologen heute bekannt als Glarner Hauptüberschiebung. Vor mehr als 200 Jahren bemerkte Hans Conrad Escher als erster, dass mit der Abfolge von Grauwackeformation und Alpenkalk etwas nicht stimmt. Doch Leopold von Buch, damals einer der führenden Geologen, hielt 1809 nach einer Begehung erst einmal dagegen: "Grauwacke gehört zur Übergangsformation und kann nie auf Alpenkalk ruhen".

Wir sind abgeschweift, zurück zur Trinser Furgga. Ein einsamer Übergang und ein Pass mit zwei Gesichtern. Südseitig ein sanftes Kar, nordseitig eine jäh abfallende Flanke aus lockerem Schiefergestein, durch die ein Pfad unter den Nordabstürzen des Trinserhorns zur markanten Moräne des Sardonagletschers führt. Etwas unterhalb thront die kleine Sardonahütte über dem Calfeisental mit der alten Walsersiedlung St. Martin, etwas oberhalb beginnt der kleine Gletscher, der in der Regel harmlos ist, doch nach dem Rekordsommer 2003 ist vieles anders.

Tückisches Gelände

Die meisten wählen als Ziel das knapp über die 3000-Meter-Marke reichende Trinserhorn, das über einen Schuttrücken ohne Schwierigkeit zu erreichen ist. Die fotogenen, mit Eiskappen verzierten Gipfel von Piz Sardona und Piz Segnes gegenüber schauen zwar gefahrlos aus, doch der Firnhang vom Segnesgletscher auf den Gratrücken ist sehr steil und weist unter Umständen Spalten auf.

Oben beginnt eine aussichtsreiche Höhenwanderung, die über den breiten und harmlosen Schutt- und Firnrücken zu den Aussichtslogen zwischen Tödi und Ringelspitz führt. Zum Schauen gibt es wahrlich genug, wobei beim Piz Sardona mehr die Tiefblicke auf Elm faszinieren, während am Piz Segnes die Fernblicke begeistern.

Es gibt viel zu sehen und zum Erkunden. Wer seinen Abstieg über den Oberen Segnesboden wählt, der steht bei La Siala vor einem der schönsten Bergbilder von Flims. Die markanten Felszacken der Tschingelhörner heben sich auffallend ab von den Schuttbergen der Nachbarschaft, doch am interessantesten ist das Nichts in der Mitte. Maximal 21 Meter im Durchmesser weist das Martinsloch auf, das mitten in den Felsen klafft und durch das zwei Mal im Jahr die Sonne auf die Kirche von Elm scheint.

Und schon wieder essen...

Nicht alle Wanderungen rund um Flims führen bergauf, bei einigen geht es bergab. Etwa in die imposante Rheinschlucht oder von Flims-Waldhaus durch den "Uaul Grond", den Großen Wald. Von dem hat übrigens die Surselva (bedeutet soviel wie "ob dem Wald") ihren Namen. Zahlreiche Wege durchziehen die grüne Lunge von Flims, in der versteckt der türkisfarbene, von unterirdischen Quellen gespeiste Caumasee liegt und Abkühlung an heißen Sommertagen verspricht.

Egal welchen Weg man einschlägt, irgendwann landet jeder in Conn, dem Hauptgang des Kulinarik Trails "Wald & Wasser". Zur Auswahl stehen hausgemachte "Trinser Birnen-Ravioli" oder "Kartoffel-Ravioli", noch besser sind allerdings die Polentagerichte, schließlich wurde das Polenta-Rezept von der Großmutter überliefert. Und dann ist sie wieder da, die Eiszeit, diesmal in Form eines leckeren Eisbechers.

WISSENSWERTES

Anreise: Vom Bodensee durch das Rheintal über Bad Ragaz und Chur nach Flims. Anreise per Bahn problemlos. Bahnhöfe in Chur und Ilanz, Busverbindung nach Flims.

Informationen: Alpenarena.ch, Informationsbüro Flims, CH-7017 Flims, Tel. 0041/81/9209200, Fax 9209201, www.alpenarena.ch, tourismus@alpenarena.ch

Bergsteigerschulen: Alpine Action Unlimited, Flims Dorf, Tel. 0041/81/9367474, www.alpineaction.ch; Mountain Fantasy, Flims Waldhaus, Tel. 0041/81/9367077, www.mountain-fantasy.ch

Hütten: Ringelspitzhütte, 1998 m, SAC, bew. Anfang Juli bis Ende September, Tel. 0041/79/7022505 und 0041/81/6302411, www.ringelspitz.ch

Sardonahütte, 2158 m, SAC, bew. Anfang Juli bis Mitte August täglich, bis Ende Oktober nur Sa und So, Tel. 0041/81/3061388.

Berghaus Bargis, 1549 m, privat, bew. Anfang Juni bis Ende Oktober, Tel. 0041/81/9111145.

Segneshütte, 2102 m, privat, bew. Mitte Juni bis Ende Oktober, Tel. 0041/81/9279925.

Edelweiss Cassonsgrat, 2634 m, privat, bew. von Anfang Juli bis Mitte Oktober, Tel. 0041/81/9115898, keine Übernachtung. Das kleine Berggasthaus wird von der Schwester von Ueli Grand bewirtschaftet. Auf der Terrasse sitzen, das Panorama bewundern und dabei ein Gipfelraclette mit Wein zu genießen: wahrer Genuss.

Führer: Rolf Goetz: Wanderführer Surselva, Rother-Verlag, 2003; B. Condrau und M. Hunziker: SAC Clubführer Bündner Alpen 1 - Tamina-und Plessurgebiet, Verlag des SAC, 1988

Karten: Landeskarte der Schweiz 1:25000, Blätter 1174/Elm, 1175/Vättis, 1194/Flims und 1195/Reichenau; Landeskarte der Schweiz 1:50000, Blatt 247/Sardona

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