Chile:Reiner Wein

Normalerweise feiern chilenische Weingüter das koloniale Erbe. Doch es gibt auch Winzer, die mit der Tradition brechen - und biologisch-dynamisch anbauen.

Von Monika Maier-Albang

Diese zarten Fühler, die sanftgrünen Streifen, die sich den Körper hinabziehen - nein, aggressiv sieht Naupactus Xanthographus nicht gerade aus. Aber wenn man ihn lässt, sagt Alejandra Haddad, dann frisst er sich Blatt für Blatt und Wurzel für Wurzel durch den Weinstock. Die Larven des Tieres, das zur Familie der Rüsselkäfer gehört, bevorzugen das feine Wurzelwerk, die erwachsenen Käfer nehmen das Blatt von den eingekerbten Rändern her in Angriff. Nun könnte man Gift spritzen. Oder man tut, was Haddads Chefs tun: Hennen halten. Und ein paar Truthähne.

Chile: Heiße Sommer, milde Winter: Das Klima ist optimal für die Reben im Colchagua-Tal, wo man das Gut Viu Manent mit Kutschen abfahren kann.

Heiße Sommer, milde Winter: Das Klima ist optimal für die Reben im Colchagua-Tal, wo man das Gut Viu Manent mit Kutschen abfahren kann.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Die Hühner haben gerade Küken und wühlen sich durch den Sand. Der Boden ist wasserdurchlässig im Casablanca-Tal, einem von Chiles wichtigen Weißwein-Anbaugebieten, hat aber auch Anteile von Lehm. Die Pflanzen mögen das, wenngleich die Besitzer darauf achten, dass die Weinstöcke nicht verzärtelt werden. Bewässert wird spärlich, und wenn, dann rieseln die Tropfen nie direkt am Stamm hinunter, sondern ein paar Zentimeter entfernt. Und überhaupt sind die Stöcke hier etwas Besonderes, denn die Emiliana, gegründet in den 1990ern von Rafael und José Guilisasti, ist ein Weingut, auf dem biologisch-dynamisch angebaut wird.

Im Winter ziehen Alpakas durch die Weinberge. Sie halten das Unkraut klein

Im Einklang mit der Natur und den Ideen von Rudolf Steiner wollen sie hier arbeiten: keine Pestizide, kein Kunstdünger, alles muss im Gleichgewicht gehalten werden. Schon Prinz Charles soll, als er 2009 das Weingut besuchte, von der Prinzipientreue angetan gewesen sein. Die meisten Besucher kommen aus Valparaíso hierher in das Tal, das nach der Fahrt von der Küste über die verdorrten Bergrücken wie eine Oase wirkt. Im Hafen von Valparaíso machen jeden Tag zahlreiche Kreuzfahrtschiffe halt, die Gäste werden die steilen Gassen hinaufgefahren, mitten durch die an die Hänge gepinnten bunten Häuser zum ehemaligen Wohnhaus von Pablo Neruda. Weil das den Tag nicht füllt, geht es für gewöhnlich noch tiefer ins Land, zur Weinverkostung. Im chilenischen Sommer, der unser Winter ist, zeigt Haddad den Besuchern Hühner und Truthähne, Alpakas und den orangen Mohn, der zwischen den Reben wächst. "Wir lassen Tiere und Pflanzen für uns arbeiten", erklärt sie. Die Blumen sind Ablenkungsmanöver: Sie werden so gepflanzt oder gesät, dass sie just zu der Zeit blühen, in der es Schädlinge geben könnte, die sich von der Farbe ihrer Blüten angezogen fühlen. Die Insekten fliegen dann Mohn und Lavendel, Fingerhut oder Kamille an, der Wein bleibt verschont. Im Winter ziehen die Alpakas durch die Weinberge und halten das Unkraut klein. Sobald die ersten Blätter austreiben, müssen die Tiere allerdings ins Gatter - "sonst bliebe von den Blättern nichts übrig", sagt Haddad, die Gäste durch die Emiliana führt.

Die Emiliana ist ein Gegenstück zu vielen der großen alten Weingüter, wie es sie etwa im Colchagua-Tal gibt. Dort finden Poloturniere oder Autorennen statt; altes Geld trifft auf koloniale Überheblichkeit. Es gibt zwar Ausnahmen, Viu Manent etwa, wo sie ebenfalls möglichst nachhaltig arbeiten. Insgesamt aber wirken viele der Güter mit ihren Führungen im Halbstunden-Takt doch reichlich saturiert.

Natürlich geht es auch bei dem anthroposophisch arbeitenden Weingut ums Geld, aber eben nicht nur. In der Emiliana sind die Mitarbeiter im Verkauf und bei den Führungen alle um die 30, und sie wirken, wie Alejandra Haddad, überzeugt von der Sache. 13 Weingüter gibt es in dem Tal, "aber nur wir sind ein Ökobetrieb", sagt Haddad. Im Casablanca-Tal werden vor allem Weißweine angebaut, das Klima hier ist optimal für die alten französischen Sorten, die erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts nach Chile kamen. Davor hatten die spanischen Herren das Wein-Monopol. Sorten wie Sauvignon Blanc, Chardonnay, Viognier, Marsanne oder Syrah haben oft in ihrer Ursprungsform überlebt, während sie in Frankreich von der großen Reblausplage zerstört wurden. Ins Casablanca-Tal zieht über die Küstenkordillere kühler Wind vom Pazifik; er mildert die Sommerhitze und sorgt dafür, dass die Trauben langsam reifen und viel Aroma ausbilden. Nur im Frühling gibt es Morgennebel, die den jungen Trieben gefährlich werden können; Windräder drücken dann warme Luft nach unten, hin zu den Reben, um deren zartes Grün zu schützen.

Chile
(Foto: sz)

Alejandra Haddad könnte immer weiter erzählen, der Anbau ist eine Wissenschaft: vom Trichoderma-Pilz, der beim Beschnitt der Reben aufgetragen wird, weil er als Gegenspieler zum Mehltau wirken kann. Von den Präparaten, die sie zur Düngung und zum Schutz der Pflanzen verwenden - hergestellt aus Kamille, Brennnessel, Eichenrinde oder Schachtelhalmen. Aber ins Detail geht Haddad nur, wenn jemand es wirklich wissen will, was, wie sie sagt, selten der Fall sei. Die Gäste erfreuen sich meist einfach an den Tieren, trinken bei der Verkostung im ohne Ecken und Kanten gebauten Empfangsraum ein Glas oder auch drei, essen den dazu passenden Käse, nehmen Honig mit, der den Arbeitern einen Zuverdienst sichert. In der Regel packen sie natürlich auch einen Emiliana-Wein ein. Coyam heißt ihr meistverkaufter, ein starker, perfekt zum Asado passender Rotwein mit vielen Tanninen, wie ihn die Chilenen lieben. Und die Asiaten. Wichtig sei denen vor allem der Preis, sagt Haddad. Sie nähmen gern den teuersten.

Reisetipps

Anreise: z. B. mit Lan nach Santiago, ab Frankfurt hin und zurück ab 750 Euro, www.lan.com

Reisearrangement: Der Veranstalter Windrose Finest Travel organisiert Privatreisen nach Chile, u. a. zum Thema "Wein & Gourmet". Eine sechstägige Reise, bei der zum Beispiel die Weingüter Emiliana und Matetic im Casablanca-Tal sowie Santa Cruz und Viu Manent im Colchagua-Tal besucht werden, kostet p. P. ab 2990 Euro. Man kann dabei auf Weingütern übernachten, z. B. in den Anwesen Viña Vik oder Viña Matetic. Wer das Land länger erkunden will, kann die 14-tägige Reise "Best of Chile" buchen, Tel. 0 30/201 72 10 bzw. 0 30/20 17 21 22, www.windrose.de

Weitere Auskünfte: www.emiliana.cl

In der Emiliana ist das ein Wein, der nach dem griechisch-mythologischen Begriff für Erde benannt ist: Gê. Die Flasche kostet um die 90 Dollar. Für ihre beiden roten Spitzenweine hat die Emiliana die Schweizer IMO-Zertifizierung beantragt und erhalten, bei allen anderen hat man auf die teure Zertifizierung verzichtet. Die deutschen Gäste bevorzugen Weißwein, sagt Haddad, "die mögen was Sanftes". 95 Prozent der Emiliana-Erzeugnisse gehen in den Export, so wie bei vielen chilenischen Weingütern. Wohin, das variiert. Manche haben den amerikanischen Markt für sich erschlossen, andere den europäischen. Die Emiliana-Weine verkaufen sich gut an die asiatische Kundschaft. "Vor allem den Chinesen schmecken unsere Weine", sagt Haddad, das Biologisch-Dynamische wird billigend in Kauf genommen.

Aber auch der Weingeschmack der Chilenen ändert sich gerade. Und das hat mit der Emanzipation der Frauen zu tun in einem Land, in dem Scheidung erst seit 2004 legal ist. Erst seit ein paar Jahren würden Frauen ganz selbstverständlich auch ohne ihren Mann, dafür mal mit Freundinnen ausgehen, sagt Nelson Morales, der in der Hauptstadt Santiago de Chile im Restaurant Casa Lastarria bedient. Die Frauenrunden bestellen Salat, Nudeln oder Käseplatte statt der sonst üblichen Fleischgerichte, zu denen die schweren Rotweine passen. Nach dem Pisco Sour, einem Cocktail auf Traubenschnaps-Basis, gibt es nun Chardonnay oder Sauvignon.

Dass zunehmend Weißweine in Chile angebaut werden, ist also der wachsenden Nachfrage im Land geschuldet - aber auch dem Klimawandel. Die schweren Rotweine werden vor allem in den mittleren Regionen Chiles angebaut, der Süden galt bislang als zu kalt für die Reben. Seit ein paar Jahren aber durchstreiften Terroir Hunter den sich erwärmenden Süden, sagt Mario Muñoz, der in Santiago den Weinladen Vino del Mundo betreibt. Die Suche nach neuen Anbaugebieten für Weine mit niedrigerem Alkoholgehalt führt sie bis hinunter in die neunte Region, Araucanía. Das Anbaugebiet erstrecke sich mittlerweile über mehr als 1000 Kilometer von Nord nach Süd, sagt Munoz, der in seinem Laden Weine aus 60 der rund 250 chilenischen Güter anbietet.

Alejandra Haddad muss jetzt noch schnell den Garten herzeigen, der zum Weingut gehört. Jeder Arbeiter hat hier eine Parzelle, kann Gemüse und Salat für den Eigenbedarf anbauen. Haddad braucht den Salat nicht für sich: Sie hat gerade ein Café aufgebaut und verkauft dort vegetarische Sandwiches. Eine Tour, "Make your own wine", hat sie ebenfalls kreiert. "Die Ideen der Mitarbeiter werden hier wertgeschätzt", sagt Haddad. Und das ist ja mal keine schlechte Aussage.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: