Zweiter Weltkrieg:Warum die griechische Justiz einen deutschen Historiker verfolgt

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Deutsche Fallschirmjäger bei den Kämpfen um Kreta. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Deutsche massakrierten Zivilisten, doch was taten kretische Partisanen im Zweiten Weltkrieg? Heinz Richter forschte nach - sein Buch bringt ihm nun eine Anklage in Griechenland ein.

Von Christiane Schlötzer

Wenn Alexis Sorbas, der kretische Überlebenskünstler, nicht weiter wusste, dann hat er ein bisschen fabuliert. Kreta ist eben eine Insel vieler Mythen, nicht nur antiker. "In Kreta", so schreibt der deutsche Historiker Heinz Richter, "entwickeln sich Geschichten beim Erzählen".

Nun ist die blumige Erzählung gewiss keine ägäische Spezialität, kommen sich aber Fantasie und historisches Forscherinteresse zu nahe, besteht Havarie-Gefahr, wie der Professor aus Deutschland erfahren musste. In Kreta ist der 76-jährige Autor zahlreicher Griechenland-Bücher nun angeklagt - als Mythenzerstörer.

Heinz Richter, so der Vorwurf, soll den kretischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten verunglimpft und lächerlich gemacht haben. Kreta wurde 1941 von der deutschen Wehrmacht überfallen, die "Schlacht um Kreta" jährt sich im Mai zum 75. Mal.

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Es war die erste Invasion aus der Luft in der Kriegsgeschichte, sie war so verlustreich, dass Hitler dem Erfinder der Fallschirmjägertruppe, Kurt Student, sagte, es werde nie wieder eine Luftlandeoperation geben. Das hinderte den General nicht daran, das Gemetzel zum "Sieg der Kühnsten" zu verklären.

Der Mythos der todesmutigen und todgeweihten Fallschirmjäger war so mächtig, dass er in der alten Bundesrepublik noch lange lebte. In Kreta wiederum wird die Erinnerung an den "heldenhaften" Widerstand gegen die deutschen Okkupanten bis heute nachhaltig gepflegt.

Richter sagt: Der Widerstand werde "romantisiert", Gräueltaten der kretischen Partisanen aber würden marginalisiert. "Es war ein Krieg in seiner wildesten, primitivsten Form", schreibt er in seinem Buch "Operation Merkur" (erschienen 2011 auf Deutsch und Griechisch): "Verwundete wurden getötet, Tote geschändet."

"Ich habe mich da etwas dämlich ausgedrückt"

Der oft besungenen kretischen Freiheitsliebe allein will Richter die erbitterte Abwehr "aus dem Hinterhalt" auch nicht zuschreiben, die Briten hätten sehr mitgeholfen. Dass die deutschen Besatzer selbst höchst brutal vorgingen, mit Erschießungen von Zivilisten, dem Niederbrennen ganzer Dörfer, verschweigt Richter nicht.

Sein Fazit aber lautet: Die Schlacht um Kreta sei "einerseits der letzte ,saubere' Feldzug des Zweiten Weltkrieges" gewesen, "aber zugleich der Beginn der ,schmutzigen' Kriegführung, die durch Partisanenüberfälle und Repressalien geprägt ist".

Nun ist ein solcher Schluss in der Tat fragwürdig, schließlich hatten die Deutschen in Polen schon zuvor einen ziemlich schmutzigen Krieg geführt ( hier mehr dazu). Am Telefon sagt Richter: "Ich habe mich da etwas dämlich ausgedrückt." Er sei wegen seiner langen Beschäftigung mit Griechenland eben so in dem Land "zu Hause", dass er immer und zuerst an Hellas denke.

Eine etwas seltsame Rechtfertigung. Aber ist das alles Grund zu einer Anklage? Nach dem griechischen Anti-Rassismus-Gesetz?

Das Gesetz sieht Geld- und Haftstrafen von bis zu drei Jahren vor, beschlossen wurde es erst im Sommer 2014. Die EU hatte zuvor kritisiert, dass es in Griechenland straffrei war, den Hitlergruß zu zeigen und Nazi-Devotionalien zu verbreiten. Das neue Gesetz sollte sich denn auch insbesondere gegen die Aktivitäten der griechischen Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte" richten.

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Nun wird es gegen einen emeritierten deutschen Professor angewendet - "eine Premiere", wie dessen Anwalt meint. Richter glaubt: "Ich bin nur der Prügelknabe", für Merkel, Schäuble und alle deutschen Politiker, die sich wegen ihrer Härte in Haushaltsfragen in Griechenland höchst unbeliebt gemacht haben.

Am 7. Januar soll der Prozess auf der Insel fortgesetzt werden, Richter wird nicht hinfahren. "Ich bin doch nicht lebensmüde", sagt er. Schon zur Prozesseröffnung in Rethymnon im September war er nicht erschienen, dafür der frühere griechische Generalstabschef Manousos Paragioudakis.

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Der hatte sich schon zuvor über Richter erregt. Der pensionierte General verlangte von der Universität Kreta, Richter einen erst 2014 verliehenen Ehrendoktor abzuerkennen.

In kretischen Medien brach danach ein Sturm der Empörung über den Deutschen herein. Der staunte: "Gemeinderäte selbst der kleinsten kretischen Dörfer fassten entsprechende Beschlüsse."

Für eine Legende hält Richter auch die in ganz Griechenland verbreitete Überzeugung, der kretische Widerstand habe Hitlers Angriff auf die Sowjetunion um sechs Wochen verzögert, was letztlich für die deutsche Niederlage gesorgt habe.

In diesem Punkt weiß sich Richter mit zahlreichen Historikern einig. Griechische Geschichtswissenschaftler hatten 2014 vor dem Rassismus-Gesetz gewarnt, sie fürchteten Eingriffe in die akademische Freiheit. Mitglieder der Athener Akademie kritisieren denn auch nun den Prozess.

Nikos Kazantzakis, der Erfinder des "Alexis Sorbas", hat 1945 auch ein weit weniger bekanntes Buch verfasst. Dafür ist er im ersten Sommer nach dem Krieg durch Kreta gereist und hat die Folgen von vier Jahren Okkupation aufgelistet: Kaum ein Dorf, das keine Toten zu beklagen hatte. So viel zu allen Mythen, neuen und alten.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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