Wirtschaftsprogramm der Piraten:Wir wollen alles - außer Vollbeschäftigung

Freiheit, Transparenz, Mindestlohn als "Brückentechnologie" zum bedingungslosen Grundeinkommen: Die Piraten geben sich auf ihrem Parteitag in Bochum Eckpfeiler eines Wirtschaftsprogramms. Am Ende einer emotionalen Debatte stehen viele vage Aussagen. Partei-Vize Nerz spricht von "wichtigen Visionen".

Hannah Beitzer, Bochum

Inhalte, Inhalte, Inhalte - darum soll es beim Bundesparteitag der Piraten in Bochum gehen. Vor allem in der Wirtschaftspolitik hat sich die Partei viel vorgenommen. Im Bundestagswahlkampf soll ihr niemand vorwerfen können, sie habe zu ökonomischen Fragen noch keine Meinung.

Es dauert am Samstag einige Zeit, aber dann verabschieden die Piraten tatsächlich ein Wirtschaftsprogramm - wenn auch gestückelt. Fünf von sieben Module des Antrages PA091 erhalten die nötige Zweidrittelmehrheit.

Die Piraten zeigen darin, dass ihnen zu Sozial- und Arbeitsmarktpolitik am meisten einfällt. Die Partei führt den Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens in ihrem neuen Grundsatzprogramm fort. Sie spricht sich zudem für einen Mindestlohn als "Brückentechnologie" zum bedingungslosen Grundeinkommen aus.

Die Vollbeschäftigung als arbeitsmarktpolitisches Ziel lehnen die Piraten hingegen ab. In ihrem Verständnis soll jeder Mensch frei entscheiden dürfen, was er arbeitet: Kunst, Kindererziehung, Ehrenamt - alles ist möglich. Arbeiten um der Arbeit willen ist für sie ein Grundsatz von gestern. In Zukunft, so argumentieren viele, könnten immer mehr unangenehme Jobs von Maschinen erledigt werden. Wozu also Menschen zu etwas zwingen, was sie nicht wollen?

Im Antrag ist viel von Freiheit die Rede, von Transparenz und auch von der Digitalisierung der Gesellschaft. Das gehört zum Standardvokabular der Partei, viel konkreter wird es nicht.

"Aus dem Antrag kann man viel herauslesen", sagt André Presse, einer der Antragssteller, im Gespräch mit SZ.de. Sein Vizevorsitzender stimmt zu: "Ein Programm muss die grundsätzliche Richtung vorgeben", sagt Sebastian Nerz. Wichtig sei es, "Visionen" zu entwerfen. "Das ist ja gerade die Kritik an der Regierung Merkel", sagt er, "dass sie gerade einmal die Tagespolitik schafft, aber die großen Reformen nicht angegangen werden."

Doch bis zur Vision ist es auch bei den Piraten ein langer Weg - und nicht jeder ist am Ende zufrieden. Von Dutzenden Wirtschaftsanträgen schaffen es drei Grundsatzpapiere auf die Tagesordnung. Keiner ist wirklich radikal, trotzdem kochen die Emotionen hoch, als wäre soeben der Klassenkampf ausgebrochen.

"Mir fehlt das Alleinstellungsmerkmal"

"Könnt ihr mir mal bitte erklären, was dieser neoliberale Müll bei uns zu suchen hat?" erregt sich ein Diskutant. "Hier wird immer gesagt, dass wir freie Märkte hätten - aber freie Märkte sind nur eine theoretische Abstraktion", erklärt ein anderer seine Sicht der Dinge. "Was mir fehlt ist das piratige Alleinstellungsmerkmal. Das hätte genauso bei den Grünen oder den Linken stehen können", beschwert sich ein Dritter. Andere stören sich an Begriffen wie "soziale Marktwirtschaft", wieder andere sind beleidigt, weil es ihre eigenen Anträge nicht auf die Tagesordnung geschafft haben.

Doch letztlich setzen sich pragmatische Stimmen wie die von Anke Domscheit-Berg aus Brandenburg durch. "Mit diesem Antrag würde ich nicht mehr das Gefühl haben, dass wir Löcher haben in der Wirtschaftspolitik", begründet sie ihre Zustimmung zum angenommenen Vorschlag. "Ich finde es sehr gut, wie er sich abgrenzt von den etablierten. Er macht auch nicht den Fehler, soziale Marktwirtschaft als etwas Böses anzusehen", schwärmt ein anderer Pirat.

Die ideologische Bandbreite, das wird an diesem Nachmittag klar, ist bei den Piraten in der Wirtschaft deutlich größer als in anderen Politikfeldern. "Es gibt eine Strömung, die klassische linke Forderungen vertritt, die eine komplette Demokratisierung der Wirtschaft fordert", sagt auch die ehemalige Beisitzerin Julia Schramm, die Mitglied der Antragskommission ist. "Und es gibt eine eher marktliberale Strömung."

Mit dem vorliegenden Antrag kann sich zwar die Mehrheit anfreunden - er lässt allerdings viel Raum für Interpretation. Die müssen die Piraten nun Schritt für Schritt mit Inhalten füllen. Und noch viele Male zwischen marktliberalen und linken Positionen wählen.

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