Wahlkampf in Großbritannien:Abschied von klaren Verhältnissen

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David Cameron empfiehlt sich als Garant des Aufschwungs. Aber reicht das? (Foto: AP)
  • Am 7. Mai wählt Großbritannien ein neues Parlament. Das Unterhaus ist offiziell aufgelöst worden, der Wahlkampf hat begonnen.
  • Nur der konservative Amtsinhaber Cameron und der Labour-Vorsitzende Miliband dürfen auf den Posten des Premierministers hoffen.
  • Sämtliche Umfragen lassen erwarten, dass es keinen klaren Sieger geben wird. Eine Koalition oder eine Minderheitsregierung sind die wahrscheinlichsten Szenarien.
  • Ein entscheidender Faktor im nächsten Parlament dürfte die separatistische Scottish National Party werden.

Von Christian Zaschke, London

Hunderte Touristen hatten sich am Montagmittag vor dem Buckingham Palace eingefunden, doch die wenigsten dürften gekommen sein, um David Cameron zu sehen. Der britische Premierminister stattete Königin Elisabeth II. seinen letzten Besuch in dieser Legislaturperiode ab, am 7. Mai wird im Vereinigten Königreich gewählt. Das Parlament ist am Montag aufgelöst worden, der Wahlkampf hat nun auch offiziell begonnen.

Die Touristen waren hingegen gekommen, um einem anderen ritualisierten Vorgang beizuwohnen: der traditionellen Wachablösung vor dem Palast. Dass der Premier die Queen am Tag der Auflösung des Parlaments besucht, hat ebenfalls Tradition. Bis 2010 gesetzlich geregelt wurde, dass alle fünf Jahre zu einem festgelegten Termin abgestimmt wird, hatte die jeweilige Regierung das Recht, zu einem ihr genehmen Zeitpunkt Wahlen auszurufen.

Der Premier bat die Königin dann 25 Arbeitstage vor dem Wahltermin, das Parlament aufzulösen. Dank des neuen Gesetzes ist die Zustimmung der Queen nicht mehr nötig, Cameron bat sie am Montag nicht um die Auflösung, er informierte sie darüber.

Die Konservativen und Labour liegen laut Umfragen gleichauf

Sämtliche Minister bleiben nun im Amt, bis es eine neue Regierung gibt. Die bisherigen Parlamentarier firmieren jedoch allesamt nicht mehr als Abgeordnete. In den kommenden fünfeinhalb Wochen konzentrieren sich die Parteien auf den Wahlkampf, insbesondere die jeweiligen Vorsitzenden werden ausgiebig durchs Land reisen.

Als Cameron von seinem kurzen Besuch im Palast an seinen Amtssitz in der Downing Street zurückkehrte, erwartete ihn vor der Eingangstür ein hölzernes Pult, auf dem ein Manuskript bereit lag. "In 38 Tagen stehen Sie vor einer eindeutigen Wahl", las er ab, "der nächste Premierminister, der durch diese Tür geht, bin entweder ich oder es ist Ed Miliband."

In der Tat können sich nur der Konservative Cameron und der Labour-Vorsitzende Miliband Hoffnungen darauf machen, als Chef der größten Fraktion im Parlament von der Queen zum Premierminister ernannt zu werden. Das ist allerdings so ziemlich das Einzige, was sicher ist. Die anstehende Wahl gilt als die offenste, am wenigsten vorhersehbare seit Jahrzehnten, sowohl was ihren Ausgang als auch was ihre Folgen angeht.

Die Kontrahenten (von links): Premierminister David Cameron, sein Vize Nick Clegg und der Labour-Chef und Herausforderer Ed Miliband. (Foto: Chris Jackson/Getty)

Sämtliche Umfragen lassen erwarten, dass es keinen klaren Sieger geben wird. Tories und Labour liegen gleichauf bei etwa 33 Prozent der Stimmen. Das reicht nicht für eine absolute Mehrheit. Das britische Mehrheitswahlrecht ist allerdings darauf ausgelegt, dass es einer der beiden großen Parteien gelingt, die absolute Mehrheit der 650 Sitze im Unterhaus zu gewinnen.

Dass die Tories derzeit in einer Koalition mit den Liberaldemokraten regieren, gilt besonders unter konservativen Beobachtern als politische Anomalie. Es ist die erste Koalition seit dem Zweiten Weltkrieg. Für die kommende Legislaturperiode ist jedoch fest davon auszugehen, dass es entweder eine neue, wie auch immer geartete Koalition gibt oder dass Tories oder Labour sich an einer Minderheitsregierung versuchen. Das ist mit einigen Unwägbarkeiten verbunden.

Ein entscheidender Faktor im nächsten Parlament dürfte die Scottish National Party (SNP) werden. Derzeit stellt sie lediglich sechs Abgeordnete in Westminster, doch laut aktuellen Prognosen wird sie bis zu 50 der 59 schottischen Sitze gewinnen. Der frühere Parteivorsitzende Alex Salmond stellte angesichts dieser Vorhersage schon genüsslich fest, dass die SNP in diesem Fall großen Einfluss im Parlament habe und letztlich die politische Agenda bestimmen könne.

Labour hat zwar eine Koalition mit der separatistischen SNP ausgeschlossen, vorstellbar ist jedoch, dass sich die beiden Parteien auf eine informelle Zusammenarbeit einigen, da beide sozialdemokratisch ausgerichtet sind. Die SNP hat gefordert, in diesem Fall aktiv am Regierungsprogramm mitarbeiten zu können, was Labour-Politiker entrüstet zurückgewiesen haben. Dennoch erscheint es möglich, dass die Partei, die ein unabhängiges Schottland und damit das Ende des Vereinigten Königreichs will, die Politik genau dieses Landes entscheidend prägt und mitbestimmt.

Camerons jetziger Partner lehnt ein EU-Referendum strikt ab

Sollte die SNP tatsächlich so gut abschneiden wie prognostiziert, gilt überdies als sicher, dass die Partei nach den schottischen Regionalwahlen im Jahr 2016 versucht, ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten. Nachdem 55 Prozent der Schotten im Herbst vergangenen Jahres gegen die Ablösung vom Rest des Königreichs gestimmt hatten, hieß es zunächst, das Thema sei für diese Generation erledigt.

Da die SNP fast alle ihre neuen Mandate auf Kosten der Labour-Partei gewänne, würde es für diese sehr schwer, stärkste Fraktion zu werden. Labour könnte somit zweitstärkste Kraft werden und mit der SNP auf eine Mehrheit kommen.

Es gilt in Großbritannien allerdings als unvorstellbar, dass nicht der Chef der stärksten Fraktion Premier wird. Sollte in diesem Fall Cameron versuchen, eine Minderheitsregierung zu bilden, hat die SNP bereits angekündigt, den Premier im Verbund mit Labour zu blockieren. Es käme zum politischen Stillstand in Westminster. Der einzige Ausweg wären Neuwahlen.

Ein weiteres Problem für die Tories besteht darin, dass sie im Falle eines Wahlsiegs für 2017 ein Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft angekündigt haben. Die europafreundlichen Liberaldemokraten sind jedoch strikt gegen eine solche Abstimmung. Das könnte eine eventuelle Neuauflage der Koalition unmöglich machen.

Sollten die Liberaldemokraten in diesem Punkt hart bleiben, müsste Cameron als Chef einer Minderheitsregierung zum einen darauf hoffen, dass Labour und die SNP auf weniger als 325 Sitze kommen, und sich zum anderen seine Mehrheiten von Fall zu Fall suchen. Das wiederum könnte bedeuten, dass er bisweilen auf die Hilfe der EU-feindlichen UK Independence Party angewiesen ist. Diese kommt in Umfragen auf rund 14 Prozent der Stimmen. Allerdings ist es gut möglich, dass sie wegen des Mehrheitswahlrechts lediglich zwei oder drei Mandate gewinnt.

Der liberaldemokratische Vizepremier Nick Clegg sagte am Montag, die Zeiten, in denen in Großbritannien eine Partei eine absolute Mehrheit erreiche, seien vorbei. Das sagte er vor allem, weil er hofft, auch an einer künftigen, von wem auch immer geführten Regierung beteiligt zu sein. Dennoch deutet im Moment alles darauf hin, dass Clegg mit seiner Analyse zumindest für absehbare Zeit richtig liegt.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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