Vorwürfe wegen NSU-Mord:Bundesanwalt spricht von "verzerrter Darstellung"

NSU Neo-Nazi Murder Trial Starts In Munich MUNICH, GERMANY - MAY 06: State attorney Herbert Diemer addresses the media during a press conference at the Oberlandesgericht Muenchen state court building

Bundesanwalt Herbert Diemer wies Spekulationen zurück, der hessische Verfassungsschutz könnte von den Mordplänen des NSU an Halit Yozgat gewusst haben.

(Foto: Johannes Simon/Getty Images)
  • Die Bundesanwaltschaft weist im NSU-Prozess Spekulationen zurück, dem hessischen Verfassungsschutz könnten bereits im Vorfeld Informationen über den geplanten Mord des NSU an dem Besitzer eines Internetcafés vorgelegen haben.
  • Der Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes Andreas T. hatte sich während des Mordes in dem Café aufgehalten, will aber nichts mitbekommen haben.
  • Auch eine Befragung des hessischen Ministerpräsidenten und damaligen Innenministers Volker Bouffier, lehnt die Bundesanwaltschaft ab.

Aus dem Gerichtssaal von Tanjev Schultz, München

Die neuen Spekulationen über die Rolle des hessischen Verfassungsschutzes beim NSU-Mord in Kassel sind von der Bundesanwaltschaft scharf zurückgewiesen worden. Die entsprechenden Beweisanträge von Nebenklägern im NSU-Prozess würden auf einer "verzerrten" Darstellung von Inhalten einer Telefonüberwachung beruhen.

Beweismittel würden von den Nebenklage-Vertretern "ausschließlich im Lichte der gewünschten Ergebnisse bewertet", sagte Bundesanwalt Herbert Diemer am 188. Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht München.

Bundesanwaltschaft spricht sich gegen Vernehmung Bouffiers aus

Er und seine Kollegen von der Bundesanwaltschaft sprachen sich dagegen aus, weitere Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes sowie den Ministerpräsidenten und ehemaligen hessischen Innenminister Volker Bouffier (CDU) als Zeugen zu laden.

Im Falle Bouffiers sei nicht erkennbar, welche Bedeutung die Frage, wann und wie er nach dem Mord im Jahre 2006 von der Tat erfahren habe, für das Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht München haben sollte.

Telefonmitschnitte sollen missinterpretiert worden sein

Die Bundesanwälte wiesen auch die Interpretation von Telefonmitschnitten zurück, wonach der Geheimdienst oder einzelne Mitarbeiter vor dem Mord bereits Hinweise auf eine bevorstehende Tat gehabt haben könnten.

Für Aufsehen hatte der jetzt bekannt gewordene Satz eines Verfassungsschutz-Mitarbeiters gesorgt, der im Mai 2006, einen Monat nach dem Mord, mit dem damals unter Verdacht stehenden Kollegen Andreas T. telefoniert hatte. Dabei soll er gesagt haben: "Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren."

Aus Sicht der Nebenkläger bedeutet der Satz, dass die Behörde beziehungsweise Andreas T. über den Mord vorab informiert gewesen sein könnten. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist dies abwegig. Gemeint sei vielmehr, dass kein Verfassungsschutz-Mitarbeiter dem damals von der Polizei verdächtigten Kollegen einen Besuch abgestattet habe.

Verfassungsschützer will rein privat am Tatort gewesen sein

Andreas T. war unter Verdacht geraten, weil er sich am Tag des Mordes in dem Internetcafé aufgehalten hatte. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Er soll sich aus privaten Gründen in dem Laden aufgehalten haben. Andreas T. hatte nachweislich ein Flirt-Forum im Internet besucht, er war seit Längerem Kunde in dem Laden des späteren Mordopfers.

Zum Zeitpunkt der Tat waren noch vier weitere Kunden in dem Geschäft, keiner will die Tat direkt beobachtet haben. Auch T. beteuerte immer wieder, er habe nichts mitbekommen und auch die Leiche beim Verlassen des Ladens nicht gesehen. Diese Version haben allerdings sogar die Ermittler angezweifelt.

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