Versäumnisse der Behörden:Polizei hätte Anschlag auf Sikh-Tempel verhindern können

Nach Terroranschlägen: NRW will Daten Minderjähriger speichern

Ende einer Hochzeit: Bei dem Anschlag auf die Sikh-Gebetstätte wurden drei Besucher verletzt, einer davon schwer.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)
  • Auf einem verlassenen Gelände bei Gelsenkirchen ließen die drei mutmaßlichen Attentäter eine Bombe probeweise hochgehen.
  • Ein Handyvideo zeigt die Sprengung. Doch bei einer Hausdurchsuchung Monate vor dem Anschlag übersah die Polizei das Mobiltelefon.
  • Drei Wochen vor dem Attentat lieferte die Mutter eines Verdächtigen der Polizei weitere Hinweise. Diese wurden jedoch erst zehn Tage nach dem Anschlag endgültig ausgewertet.

Von Lena Kampf, Berlin

Die Bombe besteht aus einer Dose Haarspray, zwei Limonadenflaschen und weißem Pulver. Gelbe Drähte ragen heraus. Auf dem Handyvideo sind Jugendliche zu sehen, einer zündet den Draht mit einem Feuerzeug an. Es ist dunkel. Als die Bombe explodiert, überragt der Feuerball die jungen Männer um mehrere Meter.

Das Experiment auf einem verlassenen Zechengelände bei Gelsenkirchen ist nach Ansicht der Ermittler eine Probesprengung: Auf dem Video sind wohl die gleichen Männer zu sehen, die wenige Monate später, am 16. April, eine Bombe in eine Sikh-Gebetsstätte in Essen warfen. Drei Besucher einer Hochzeit wurden dabei verletzt, einer davon schwer. Es ist der erste erfolgreiche islamistisch motivierte Sprengstoffanschlag in Deutschland.

Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hatte die Polizei frühzeitig Hinweise auf die Tatplanung der drei Jugendlichen. Doch die Erkenntnisse über die 16-Jährigen Yusuf T., Mohamad B. und Tolga I. lagen bei unterschiedlichen Behörden in Nordrhein-Westfalen und wurden offenbar lange nicht zusammengeführt.

Eine Mutter fand die Pläne und ging zur Polizei

Bereits am Montagabend musste die Polizei Gelsenkirchen Versäumnisse einräumen. Das WDR-Magazin Westpol hatte berichtet, dass die Lehrer von Yusuf T. die Behörde im Januar 2016 darüber informiert hatten, der Junge habe auf dem Pausenhof ein Video mit Sprengstoffexperimenten herumgezeigt.

Zwar hatte die Polizei im Dezember 2015 bereits eine Hausdurchsuchung bei ihm durchgeführt, dabei aber sein Handy übersehen. Damit soll Yusuf T. sich gebrüstet haben, meldete die Schulleitung. Jedoch hat die Polizei Gelsenkirchen daraufhin lediglich Verhaltensregeln mit der Schulleitung vereinbart. "Aus heutiger Sicht war unsere Reaktion nicht konsequent genug", räumte die Behörde ein.

Austausch zwischen den benachbarten Ermittlungsbehörden fand wohl ebenfalls nicht statt: Denn auch die Mutter von Tolga I. hatte sich besorgt an die Polizei gewandt. Schon im Dezember 2015 wies sie die Dienststelle Duisburg darauf hin, dass sich ihr Sohn radikalisiert habe und sich mit Ausreiseplänen nach Syrien trage.

Die Behörde führte sogenannte Gefährderansprachen durch und nahm Tolga I. den Reisepass weg. Im März 2016, etwa drei Wochen vor dem Anschlag in Essen, legte die Mutter der Polizei dann Fotos von handschriftlichen Aufzeichnungen ihres Sohnes vor.

In einer Kladde, die sie im Kinderzimmer gefunden hatte, befanden sich Notizen eines Treffens von Tolga I. mit Yusuf T. und Mohamad B. Fast bürokratisch waren darin ihre Pläne zur "Bekämpfung der Ungläubigen" protokolliert. Die dazu notwendigen Aufgaben hatten die drei in der Gruppe klar verteilt: T. sei der Emir, der Führer der Gruppe, B. für den "Zusammenbau", wohl von Bomben, zuständig und I. für die Beschaffung von Geld. Dafür sollten Straftaten begangen werden. Das Protokoll hatten alle drei in etwas unbeholfener Kinderschrift unterschrieben.

Gegen die drei Männer wird wegen versuchten Mordes ermittelt

Zu Tolga I. haben sich die Ermittler aus Duisburg mit Jugendamt und dem Landesamt für Verfassungsschutz ausgetauscht. Auf den Inhalt der Kladde wollen sie mit "gefahrenabwehrenden polizeilichen Maßnahmen" reagiert haben, können diese aber mit Hinweis auf das laufende Ermittlungsverfahren nicht näher beschreiben.

Aus Dokumenten, die der SZ vorliegen, geht hervor, dass die Kladde wohl erst am 26. April final ausgewertet wurde - zehn Tage nach dem Anschlag. Ein möglicherweise großes Versäumnis, schließlich waren alle drei Beschuldigten bei unterschiedlichen Behörden bekannt: Yusuf T. befand sich seit eineinhalb Jahren in einem Salafisten-Aussteigerprogramm des Innenministeriums. Mohamad B. war dem Polizeipräsidium Essen mit seiner Facebook-Seite "Kuffar-Killer" aufgefallen. Und dem Landeskriminalamt in Düsseldorf war bekannt, dass alle drei mit dem radikalen Duisburger Prediger Hassan C. in Kontakt standen.

In Duisburg hatte die Polizei mit der Kladde Kenntnis über die Tatplanung der drei jungen Männer erlangt. Und diese offenbar nicht ernst genug genommen. Trotz allem konnten die jungen Männer unbehelligt zur Tat schreiten: Bestandteile ihrer Bombe bestellten sie mit Klarnamen bei Amazon. Jeweils ein Kilogramm Magnesiumpulver und Schwefel wurden an Yusuf T.s Adresse geliefert. Auch fünf Kilo Stahlkugeln sollen schon bestellt worden sein. Die drei besprachen ihre Pläne in einer Whatsapp-Gruppe, deren Name eine Referenz an den "Islamischen Staat" war.

Zu der Frage, warum der Austausch zwischen den Ermittlern nicht funktioniert hat, wollte das Düsseldorfer Innenministerium am Dienstag nicht Stellung nehmen. Alle drei Männer befinden sich in Untersuchungshaft, gegen sie wird wegen Verdachts der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und versuchten Mordes ermittelt. Der Generalbundesanwalt prüft, ob er das Verfahren an sich zieht.

Polizei weist die Vorwürfe zurück

Die Polizei Duisburg hat die Vorwürfe zurückgewiesen, dass sie bereits drei Wochen vor dem Anschlag auf das Gebetshaus von Anschlagsplänen gewusst habe. Die Polizei bestätigte, dass die Mutter eines Jugendlichen der Polizei etwa drei Wochen vor dem Anschlag Fotos von Notizen vorgelegt habe. Die Aufzeichnungen hätten zwar Hinweise auf mögliche Eigentumsdelikte, aber keine konkreten Hinweise auf geplante Anschläge enthalten.

Der Staatsschutz habe daraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und bei der Staatsanwaltschaft Duisburg einen Durchsuchungsbeschluss beantragt, berichtete die Behörde. Der für eine Durchsuchung bei dem Jugendlichen erforderlichen Anfangsverdacht wurde verneint.

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