Vernachlässigte Heimat:Luxemburgs Premier Juncker bereitet Rücktritt vor

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Seit 18 Jahren Regierungschef in Luxemburg: Jean-Claude Juncker (Foto: AFP)

Jean-Claude Juncker war nicht nur Präsident der Euro-Gruppe, sondern ist auch Regierungschef in Luxemburg. In dieser Rolle ist ihm jetzt eine Geheimdienst-Affäre über den Kopf gewachsen, für Mittwoch wird Junckers Rücktritt erwartet - für das Großherzogtum eine undenkbare Sache.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

An diesem Mittwoch könnte die nächste Regierung eines Euro-Landes vorzeitig abdanken. Und sie dürfte genau über die zwei großen Probleme stolpern, die Europa auch sonst in Atem halten: der Euro und die Geheimdienste.

In Luxemburg bereitet der christsoziale Premierminister Jean-Claude Juncker in diesen Stunden seinen vorzeitigen Rücktritt vor. Aber nicht wegen wirtschaftlichen Niedergangs oder zu hoher Schulden. Vielmehr hat der 58-Jährige in den acht vergangenen Jahren, in denen er als Präsident die mächtige Euro-Gruppe leitete und sich um das Überleben des Euro kümmerte, sein eigenes Großherzogtum so dermaßen vernachlässigt, dass ihm eine Serie von Intrigen und Affären des eigenen Geheimdienstes schlicht über den Kopf gewachsen ist.

"Massive Führungsschwäche im eigenen Land", wirft ihm einer der Verfasser des Abschlussberichtes der parlamentarischen Untersuchungskommission vor. "Ich rechne damit, dass Juncker am Mittwochabend zurücktritt", sagt er. Und auch in Junckers direktem Umfeld bestätigen Vertraute, dass die Regierungskoalition praktisch am Ende ist.

Bereits am Freitag hat der sozialistische Koalitionspartner, die Luxemburger Sozialistische Arbeiterpartei (LSAP), den Abschlussbericht des Parlaments unterstützt, der Juncker politisches Versagen vorwirft. An diesem Mittwoch ab 14 Uhr wird das Parlament über den Bericht debattieren, Premier Juncker hat zwei Stunden Redezeit bekommen. "Spätestens um 22 Uhr sind wir klüger", heißt es in Luxemburg, wo die Lager damit rechnen, dass der Premier die politische Verantwortung übernehmen und den Rücktritt der Regierung einreichen wird.

Niemand weiß so richtig, wie eine Luxemburger Regierung korrekt zurücktritt

Eigentlich ist es für das Großherzogtum eine undenkbare Sache, dass der seit 18 Jahren dienende Regierungschef zurücktritt. Zuletzt gab in den fünfziger Jahren ein Staatsminister (heute auch Premier) sein Amt auf. Weil niemand so richtig weiß, wie eine Luxemburger Regierung korrekt zurücktritt, kann bisher auch niemand absehen, was danach passieren wird.

Am Montag berieten die größeren Parteien des Landes in Schaltkonferenzen über das weitere Vorgehen und vor allem über ihre Spitzenkandidaten für Neuwahlen. Denn eines steht fest: Tritt die Regierung am Mittwoch ab, wird es nach drei Monaten Neuwahlen geben. Als Termin dafür ist der 20. Oktober im Gespräch.

In Junckers Umfeld heißt es dazu, der Premier habe sich noch nicht geäußert, ob er als Spitzenkandidat seiner Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) noch einmal ins Rennen gehen werde. Wie solle er denn begründen, dass er einerseits wegen massiver Führungsschwäche zurücktrete - und sich dann wieder für das Amt bewerbe? Der Luxemburger Geheimdienst habe nun mal nur einen Chef und das sei der Premierminister Luxemburgs, also Juncker.

Für die Mehrheit der Luxemburger ist Juncker noch immer ihr Landesvater

Andere Luxemburger sehen das anders. "Juncker ist nicht der Politiker, der einfach die Bühne verlässt", sagt ein Weggefährte, der ihn gut kennt. Wenn Juncker jetzt durchblicken lasse, keine Lust mehr zu haben, heiße das vor allem, dass er gebeten werden wolle, noch einmal anzutreten. Der Weggefährte verweist auf jüngste Umfragen. Zwar sind Juncker in der eigenen Partei nicht viele Freunde geblieben. Aber für die Mehrheit der Luxemburger ist Juncker trotz der Affären noch immer ihr Landesvater.

"Die Luxemburger wünschen sich, dass einer der ihren regiert, und dass derjenige internationalen Glanz ins Großherzogtum holt", analysiert ein Christsozialer. Das könne nur einer, Juncker eben. Und auch nicht Viviane Reding, Luxemburgs streitbare EU-Justizkommissarin, weil die schon zu lange weg sei aus dem Land. Die größte Katastrophe für die Konservativen, sagt der Mann, wäre nicht der Rücktritt Junckers, sondern sein Nicht-wieder-Antritt. "Dann würden wir uns als Regierungspartei verabschieden."

Auslöser der Regierungskrise ist die sogenannte Bombenleger-Affäre. Am 30. Mai 1984 war im luxemburgischen Beidweiler ein Sprengstoffanschlag auf einen Mast des Elektrizitätsunternehmens Cegedel verübt worden. Es begann eine Anschlagsserie, die bis März 1986 andauern sollte. Die Attentäter wurden nie gefunden, aber die Bewohner Luxemburgs vermuten in der Affäre bis heute Verbindungen in die Familie des Großherzogs. Derzeit läuft am Strafgerichtshof Luxemburg der Prozess gegen zwei mutmaßliche Drahtzieher. Sie gelten aber nicht als Urheber.

© SZ vom 09.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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