Verhärtete Fronten nach MH17-Abschuss:Stratege Putin unter Druck

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Sieht keine direkte militärische Bedrohung für sein Land: Wladimir Putin am Dienstag mit dem nationalen Sicherheitsrat im Kreml (Foto: AFP)

Es dürfte die wohl schwierigste Lage in Putins Regierungszeit sein - und dem Präsidenten ist die Anspannung inzwischen anzumerken: In der internationalen Wahrnehmung rückt die russische Führung endgültig in die Nähe von Terror-Helfern, im Kreml hingegen wächst die Angst vor weiteren Sanktionen.

Von Julian Hans, Moskau

Die Ankündigung klang bedrohlich, doch nach dem Termin blieben vor allem fragende Gesichter zurück. Präsident Wladimir Putin habe den nationalen Sicherheitsrat für Dienstag zu einer außerplanmäßigen Sitzung zusammengerufen, um Fragen "der Souveränität und der nationalen Integrität der Russischen Föderation" zu besprechen, meldete der Pressedienst des Kreml.

Das Gremium versammelt die obersten Vertreter von Militär und Geheimdienst, die Vorsitzenden beider Parlamentskammern, den Regierungschef und die Minister des Inneren und des Äußeren um den Präsidenten. Es tagt in der Regel hinter verschlossenen Türen, nicht einmal die Tagesordnung wird bekanntgegeben. Dass diesmal ausdrücklich der Schutz der Souveränität und der territorialen Integrität des Landes auf der Agenda standen, ließ viele Beobachter das Schlimmste befürchten.

Wird Putin doch reguläre Streitkräfte unter dem Vorwand einer "Friedensmission" in die Ukraine entsenden? In den Wochen zuvor hatte Moskau immer wieder den Beschuss russischen Territoriums von der Ukraine aus angeprangert; ein Mann war dabei im Grenzgebiet zu Tode gekommen. Von einem "schicksalhaften Treffen" schrieben russische Medien im Vorfeld.

Überraschende Botschaft Putins

Doch der erste Satz Putins, den russische Nachrichtenagenturen verbreiteten, lautete: "Eine direkte militärische Bedrohung für die Souveränität und die Einheit unseres Landes besteht natürlich nicht." Dies gelte, obwohl die Nato ihre Präsenz in Osteuropa, in der Ostsee und im Schwarzen Meer verstärke.

MeinungMH17
:Russlands Schuld

Moskau trägt durch die Unterstützung der Separatisten zumindest eine indirekte Mitschuld am Abschuss des Fluges MH17. Europäische Union und USA dürfen der Schein-Politik Putins nicht länger Beachtung schenken, sondern müssen endlich Druck ausüben - statt nur zu taktieren.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Stattdessen kündigte Putin an, Russland werde seinen Beitrag leisten, um eine "vollständige, umfassende, gründliche und transparente Untersuchung" der Umstände zu ermöglichen, die zum Tod der 298 Passagiere des Fluges MH17 im von prorussischen Kämpfern kontrollierten Gebiet in der Ostukraine führten. "Wir werden aufgefordert, Einfluss auf die Kämpfer im Südosten auszuüben", sagte Putin, "wir werden alles in unserer Macht Stehende tun."

Der überraschende Verlauf fügt sich in das Bild der vergangenen Tage. Nachdem sich Moskau mit der Annexion der Krim und der Unterstützung militanter Kiew-Gegner in der Ostukraine international immer stärker isoliert hatte, ist die russische Führung nach dem Abschuss der Passagiermaschine in der internationalen Wahrnehmung nun endgültig in die Nähe von Terror-Helfern gerückt.

Putin befinde sich "in der schwierigsten Lage seiner gesamten Regierungszeit" urteilte der Kreml-freundliche Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow am Dienstag in einem Interview mit dem Nachrichten-Portal Slon. Eine weitere Unterstützung der Separatisten werde die Vorwürfe aus dem Westen und die Isolation des Landes weiter vertiefen. Aber eine Distanzierung von den prorussischen Milizen sei ebenfalls schwer durchzusetzen: "Bei uns ist nach den Vorgaben desselben Wladimir Putin die Ansicht verbreitet, dass man die eigenen Leute nicht im Stich lassen darf."

Eilig improvisierte Videobotschaft

Im Lavieren zwischen den radikal nationalistischen Kräften, die der Kreml zur Destabilisierung der Ukraine von der Leine gelassen hat, der durch das Fernsehen patriotisch aufgeladenen öffentlich Meinung und dem wachsenden Druck aus dem Ausland, werden die Handlungsspielräume offenbar kleiner. Das verdeutlichte auch eine offensichtlich eilig improvisierte Videobotschaft, die der Kreml um 1.40 Uhr in der Nacht auf Montag auf seiner Internetseite veröffentlichte.

Putin hatte sie offenbar nach Telefonaten mit mehreren Regierungschefs aufgenommen, in denen Berlin, London und Paris schärfere Sanktionen angedroht hatten. Statt der üblichen wohl inszenierten Auftritte in prunkvoller Kreml-Kulisse stand ein sichtlich angespannter Putin vor einem flackernden Computer-Bildschirm und erklärte, niemand habe das Recht, "diese Tragödie zu eigenen politischen Zwecken zu benutzen. Solche Ereignisse sollten nicht trennen, sondern die Menschen vereinen." Russland werde alles tun, damit der Konflikt aus der militärischen Phase in eine Verhandlungsphase übergehe.

Die Furcht vor den Auswirkungen weiterer Sanktionen ist offensichtlich auch in die inneren Kreise des Kreml vorgedrungen. Der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin warnte am Dienstag in einem Interview, weitere Sanktionen könnten die Russen bis zu einem Fünftel ihres Einkommens kosten. Kudrin ist einer der wichtigsten Vertreter des stark ins Hintertreffen geratenen Wirtschaftsflügels in der russischen Führung. Seit seinem Amtsverzicht vor zweieinhalb Jahren steht er weiter in Kontakt mit Putin.

Dieser gab dem Sicherheitsrat schließlich doch noch eine Aufgabe zur Wahrung der nationalen Souveränität mit auf den Weg: Das Land weniger empfindlich zu machen gegen wirtschaftlichen Druck von außen.

© SZ vom 23.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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