Sanktionen gegen Russland:Furcht vor dem Wirtschaftskrieg

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Haben Wirtschaftssanktionen gegen Wladimir Putins Russland Aussicht auf Erfolg? Wissenschaftler sind skeptisch.

(Foto: AFP)

Stillstehende Montagebänder, Unsicherheit bei Gaslieferungen: Deutsche Manager warnen vor einem Wirtschaftskrieg mit Russland, weil sie einen Gegenschlag aus Moskau befürchten. Was stimmt? Was wird übertrieben? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Markus Balser und Thomas Fromm, Berlin

Autohersteller legen erste Montagebänder still, Energiekonzerne fürchten um Kraftwerke und Gaslieferungen, die Politik um die Energiesicherheit der Deutschen. Seit der Westen in der vergangenen Woche im Streit um die Ukraine neue Sanktionen beschlossen hat, wächst die Angst vor einem Wirtschaftskrieg mit Russland - erst recht nach dem Abschuss von MH17 über der Ostukraine.

Offen warnen Spitzenmanager aus Russland vor einem Bumerangeffekt durch Strafmaßnahmen. Eine Spirale könne verheerende Auswirkungen auf das globale Finanzsystem haben, sagt der Chef der zweitgrößten russischen Bank VTB, Andrej Kostin, voraus. Was stimmt? Was wird übertrieben? Die Süddeutsche Zeitung geht den wichtigsten Fragen zum Russland-Konflikt nach.

Wie wichtig ist Russland für die deutsche Wirtschaft?

Die Bedeutung Russlands hat in den vergangenen Jahren rasant zugenommen. Hiesige Firmen haben zusammen rund 21 Milliarden Euro im östlichen Riesenreich in Produktionsanlagen investiert. So weist es die Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht aus. Binnen vier Jahren wuchsen die Direktinvestitionen damit um rund 50 Prozent. Die russische Wirtschaft zählt mit Exporten von fast 40 Milliarden Euro zu den wichtigsten Geschäftspartnern der Deutschen - rund 6000 deutsche Firmen sind in Russland aktiv. Sie beschäftigen dort mehr als 250 000 Mitarbeiter und erzielen einen Jahresumsatz von 80 Milliarden Euro in Russland.

Machen sich die Folgen des Konflikts schon in Deutschland bemerkbar?

Das Embargo zeigt bereits Wirkung - auch in Deutschland. Denn der Handel mit Russland bricht ein. "Wir erwarten für dieses Jahr einen Rückgang des Exports nach Russland um zehn Prozent", sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. "Damit fallen vier Milliarden Euro weg. Der Verlust trifft uns hart." Wegen der Ukraine-Krise senkte der DIHK die Export-Wachstumsprognose für 2014 insgesamt von 4,5 auf 4,0 Prozent. Eine nochmalige Korrektur sei nicht ausgeschlossen.

Schon jetzt leiden viele Firmen unter den verschärften Sanktionen. Zum Problem werden die komplizierten Sanktionsmechanismen Europas und der USA. "Betroffen ist davon in etwa jedes vierte deutsche Unternehmen, das im Ausland aktiv ist", sagt Treier. Zwar gehen die europäischen Sanktionen noch nicht sehr weit. Doch deutsche Firmen müssten laufende Geschäfte auch auf Vereinbarkeit mit den weit reichenden US-Sanktionsvorschriften prüfen.

Europäischen Firmen drohen immense Bußgelder, wenn sie gegen US-Sanktionen verstoßen. Erst vor wenigen Wochen hatten die USA der Pariser Großbank BNP eine Strafe von sieben Milliarden Euro aufgebrummt, weil sie gegen das US-Embargo gegen Iran, den Sudan und Kuba verstoßen hatte.

In welchen Branchen hat Deutschland durch einen Wirtschaftskrieg am meisten zu verlieren?

Die Verunsicherung ist vor allem in den Chefetagen von zwei Branchen groß: bei Auto- und Energiekonzernen. Noch sei die Lage nicht dramatisch, heißt es etwa in der Führung eines deutschen Automobilkonzerns. Die Sanktionsspirale drohe aber zu dem großen Thema der kommenden Monate für die deutsche Wirtschaft zu werden, heißt es weiter.

"Das wird alles andere überschatten"

"Das wird alles andere überschatten." Vor allem Opel und VW haben in den vergangenen Jahren stark auf Russland gesetzt und Milliarden in eigene Fabriken für verschiedene Modelle investiert. Nun leiden beide Konzerne besonders unter der Rubel-Schwäche.

So direkt wie keine andere hängt die Energieindustrie von Lieferungen aus Russland ab - etwa beim Gas. Eine langfristige Belastung der Beziehungen zu Moskau würde Folgen für die gesamte Branche haben, sagt ein hochrangiger Energiemanager, der selbst Enteignungen im Falle einer Eskalation für möglich hält. Allein Deutschlands größter Energiekonzern Eon hat rund acht Milliarden Euro in Russland investiert - etwa in neue Kraftwerke. Die große Sorge der Branche: eine Kappung der wichtigen Gaslieferungen nach Westen.

Gegen wen richten sich die Strafmaßnahmen des Westens konkret?

Die Sanktionen der USA sollen Unternehmen aus dem Rüstungs-, Finanz- und Energiesektor treffen. Mit dem Ölkonzern Rosneft und der Gazprombank, dem drittgrößten Institut Russlands, richten sich die Maßnahmen vor allem gegen das ökonomische Machtzentrum von Russlands Präsident Wladimir Putin. Betroffen ist etwa auch der Waffenhersteller Kalaschnikow, der erst im Januar Lieferverträge für 200 000 Jagdwaffen in die USA und nach Kanada unterzeichnet hatte.

Dieser Vertrag dürfte nun hinfällig sein. Die EU hat bislang mit den Unterstützern prorussischer Separatisten in der Ostukraine nur einzelne Personen im Visier. Sie will die Sanktionen nach Angaben aus Regierungskreisen aber ebenfalls auf Unternehmen und Organisationen ausweiten. Eine entsprechende Entscheidung könnten die EU-Außenminister bereits bei ihrem Treffen an diesem Dienstag beschließen.

Welche Folgen haben die Sanktionen für Russland?

Die neuen US-Sanktionen lösten sofort schwere Börsenturbulenzen in Moskau aus. Die Verunsicherung der Investoren ließ die Aktienkurse abstürzen. Binnen einem Tag verloren die Aktien an der russischen Börse mehr als 20 Milliarden Euro an Wert. Hart trifft Russland schon jetzt der durch die US-Sanktionen erschwerte Zugang zu Finanzierungsquellen. Vor allem das angeschlagene russische Bankensystem gerät damit noch stärker unter Druck. Denn dessen Auslandsfinanzierung droht in den nächsten Monaten auszutrocknen.

Für Moskau wird es zudem schwer, auf anderen Wegen an Kapital zu kommen. Er könne nicht mehr ausschließen, dass die eigentlich für 2015 geplante weitere Teilprivatisierung des Ölriesen Rosneft abgesagt werden müsse, sagte der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew. Hinzu kommt: Auch die europäischen Förderbanken sollen den Geldhahn zudrehen. Sie dürfen keine Kredite mehr nach Russland vergeben.

Haben Wirtschaftssanktionen überhaupt Aussicht auf Erfolg?

Die Wissenschaft bleibt beim Thema Sanktionen generell skeptisch. Die bekannteste Studie zum Thema erstellte Gary Clyde Hufbauer vom Peterson Institute for International Economics in Washington. Hufbauer und seine Kollegen untersuchten gut 200 Fälle zwischen den Jahren 1914 und 2000. Ergebnis: In nur einem Drittel der Fälle gab das sanktionierte Land nach - und das oft erst nach vielen Jahren. Eine Hoffnung jedoch bleibt der Politik: Sanktionen hatten vor allem dann Aussicht auf Erfolg, wenn das betreffende Land wegen einer tiefen Einbindung in die Weltwirtschaft selbst viel zu verlieren hatte.

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