Venezuela:US-Journalist wird unfreiwillig zum Poster-Boy des Patriotismus

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Der Amerikaner Jim Wyss wird nach der Freilassung von seiner Chefredakteurin begrüßt, doch Venezuelas Werbestrategen nutzen das Bild zur Propaganda. (Foto: AP)
  • Galoppierende Inflation, leere Supermarktregale und repressive Gesetze - Venezuela gibt derzeit nicht gerade das beste Bild ab.
  • Mit einer Marketingkampagne sollte das staatlich finanzierte TeleSur-Netzwerk das Image aufpolieren.
  • Als Poster-Boy dient ausgerechnet ein amerikanischer Journalist, der 2013 in Venezuela wegen seiner Recherchen verhaftet wurde.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Venezuela will sein Image verbessern. Das ist legitim und auch bitter nötig, denn der einst blühende Ölstaat steht kurz vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Und mit jedem Dollar, um den der Ölpreis sinkt, scheint sich die Lage zuzuspitzen. Nachts bilden sich Schlangen vor Supermärkten, die morgens nicht selten mit leeren Regalen öffnen. Die grundlegendsten Produkte wie Mehl, Milch, Butter, Zucker, Kaffee, Seife und Klopapier sind zu heiß umkämpften Luxusartikeln geworden.

Die Inflation galoppiert mit mehr als 63 Prozent voran. Laut einer Studie der Universität Simón Bolívar ist inzwischen fast jeder zweite venezolanische Haushalt verarmt. In den Krankenhäusern sind Medikamente knapp, angeblich müssen Herzschrittmacher von Verstorbenen recycelt werden.

Böse imperialistische Kräfte

Gleichzeitig ist die Menschenrechtslage alarmierend. Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro, 52, hat soeben ein Gesetz verabschiedet, das es Soldaten erlaubt, mit Schusswaffen gegen Protestler vorzugehen. Der Oppositionspolitiker Leopoldo López sitzt seit fast einem Jahr in Haft. Parlamentspräsident Diosdado Cabello steht derweil im Verdacht, der oberste Drogenboss von Caracas zu sein. Man tritt wohl den wenigsten Venezolanern zu nahe, wenn man behauptet, dass ihr Land derzeit nicht das beste Bild abgibt.

Der umtriebige Präsident Maduro sieht indes böse imperialistische Kräfte am Werk: die USA vor allem, und die rechtsgerichtete Opposition. Diese ist laut Maduro auch für den Ärger in den Supermärkten verantwortlich. Die Anzahl der Kassen werde "künstlich reduziert", um die Schlangen zu verlängern, glaubt er. Aber auch darum hat sich der Präsident nun persönlich gekümmert. Am Wochenende ließ er mehrere Direktoren einer Handelskette verhaften. Im Fernsehsender TeleSur bezeichnete er sie als "feige Parasiten", die Waren horteten und zurückhielten.

Das staatlich finanzierte TeleSur-Netzwerk spielt in dieser Propaganda-Schlacht ohnehin eine zentrale Rolle. Was Maduro nicht alleine schafft, versucht der Sender ins rechte Licht zu rücken. So hat TeleSur gerade eine Online-Kampagne entwickelt mit dem Slogan: "Wir lieben Venezuela, weil . . . ". Es gibt Motive von malerischen Wasserfällen ("Wir lieben Venezuela, weil die Landschaft so schön ist"), vom verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez natürlich auch (" . . . weil es die Wiege der Befreier ist") sowie von einer heiteren Dame mit einer prall gefüllten Einkaufstüte. "Wir lieben Venezuela für seine Fröhlichkeit, auch in schweren Zeiten", steht daneben.

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(Foto: Juan Barreto/AFP)

Lange Schlangen vor Supermärkten, Klopapier als Luxusartikel: Der einst blühende Ölstaat Venezuela steht kurz vor dem wirtschaftlichen Kollaps.

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(Foto: Ariana Cubillos/AP)

Fast jeder zweite venezolanische Haushalt ist inzwischen verarmt. Ende Januar demonstrieren Tausende beim "Marsch der leeren Töpfe" in Caracas.

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(Foto: Wilfredo Riera/Bloomberg)

Knapp ein Jahr nach den letzten Aufständen scheint sich auf den Straßen der Hauptstadt neuer Widerstand zu formieren.

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(Foto: Jorge Silva/Reuters)

Einst war Venezuela ein blühender Ölstaat. Doch mit jedem Dollar, den der Ölpreis sinkt, spitzt sich die Lage zu.

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(Foto: Jorge Silva/Reuters)

Die Inflation galoppiert mit mehr als 63 Prozent voran. Das Land gibt derzeit nicht das beste Bild ab.

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(Foto: Alexander Otarola/dpa)

Der umtriebige Präsident Nicolás Maduro sieht indes böse imperialistische Kräfte am Werk: die USA vor allem, und die rechtsgerichtete Opposition.

"Besonders kranke Art von Humor"

Das Motiv, das dieser Kampagne die meiste Aufmerksamkeit einbringt - allerdings nicht im gewünschten Sinne - zeigt einen blonden Mann, der von einer langhaarigen Frau herzlich umarmt wird. Hier lautet der Spruch: "Wir lieben Venezuela, weil hier Ausländer empfangen werden, als wären sie einer von uns." Der Mann auf dem Bild hat sich allerdings etwas gewundert, als er feststellte, dass er ungefragt zum Poster-Boy des venezolanischen Nationalstolzes gemacht wurde.

Es handelt sich um den amerikanischen Journalisten Jim Wyss vom Miami Herald. Er wurde Ende 2013 in Venezuelas Grenzregion zu Kolumbien verhaftet, als er über die angespannte Versorgungslage recherchierte. Wyss berichtet in seiner Zeitung, er sei damals zwei Tage lang festgehalten worden, man habe seinen Computer, seine Kamera und seine Telefonkontakte durchsucht. Auf dem Foto sehe er deshalb so glücklich aus, weil er gerade in Freiheit entlassen wurde. Das Originalbild entstand am Flughafen von Miami, Wyss in den Armen seiner Chefredakteurin. Die Werbeexperten von TeleSur haben es offensichtlich von der Webseite des Miami Herald stibitzt - und leicht verfremdet.

Wyss fragt sich nun, ob es sich bei der Werbeaktion um einen dummen Zufall oder um eine "besonders kranke Art von Humor" handelt. TeleSur hat sich dazu nicht geäußert, das betreffende Motiv aber leise entfernt.

Der Spott über die verkorkste Kampagne ist trotzdem nicht mehr aus der Welt zu schaffen, und das in einer für den Präsidenten so wichtigen Zeit. Ende des Jahres wird in Venezuela gewählt. Maduros Aussichten sind düster. Seine Zustimmung liegt bei gut 20 Prozent und auf den Straßen scheint sich knapp ein Jahr nach den letzten Aufständen neuer Widerstand zu formieren. Es grollt in Caracas. Nach Lage der Dinge wäre es schon ein achtbarer Erfolg, wenn Nicolás Maduro bis zu den Wahlen durchhielte.

© SZ vom 03.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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