US-Veteranen:Im Schatten des Krieges

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Der Horror nimmt kein Ende: Zehn Irakkrieg-Veteranen sind des Mordes und der Vergewaltigung angeklagt. Nicht, weil sie im Krieg töteten - sondern in ihrer Heimat mordeten.

Christian Wernicke, Washington

Sie nannten sich stolz "die tödlichen Krieger". Und ihrem Namen machten die "Lethal Warriors", die 500 Mann vom 2. Bataillon der 4. Brigade-Kampftruppe der 4. Infanterie-Division der US-Armee, auf ihre Weise alle Ehre. Etwa Schütze Kenneth Eastridge, der Mann am Maschinengewehr: Mit einem Kameraden hatte der inzwischen 27-jährige Soldat gewettet, wer die meisten "miesen Typen" da draußen im Irak niedermetzeln würde. Eastridge hat gewonnen: In den Straßen von Bagdad - bei seinem zweiten einjährigen Einsatz im Irak - erschoss er 80 Menschen. Mindestens.

Ein US-Soldat hält im Irak einen Moment in stillem Gebet inne. (Foto: Foto: Getty Images)

Zur Truppe gehörte auch John Needham, einst ein Sunnyboy aus Kalifornien und begeisterter Surfer. Nur hat der Junge nicht recht funktioniert. Der Krieg kroch ihm unter die Haut. Nachdem 2007 die ersten Kameraden an seiner Seite von Straßenbomben zerfetzt worden waren, nachdem ein Heckenschütze seinen Kumpel auf der Patrouille in den Kopf geschossen hatte, bekam Needham Albträume. Und ein schlechtes Gewissen.

Allerlei Horror

Im Dezember 2007 zählte er in einem Brief an seine Vorgesetzten in Fort Carson, seiner Heimatkaserne im US-Bundesstaat Colorado, allerlei Horror auf. Etwa, wie ein GI ohne jeden Grund einen Iraker niederschoss und lakonisch anmerkte, man möge sein Opfer "einfach ausbluten lassen". Oder den Radfahrer, der eines Tages vorbeifuhr: Ungefähr 16 sei der Bengel gewesen, als die Soldaten den jungen Iraker vom Rad schossen. Ohne jedes Motiv.

Die US-Armee behauptet, sie habe John Needhams Anschuldigungen untersucht, jedoch "keinen der Vorwürfe erhärten können". Überhaupt wäre wohl nichts und niemals etwas von den "tödlichen Kriegern" bekannt geworden, wären die jungen Männer nur daheim besser mit dem Frieden klargekommen. Das war ihr Verhängnis: Weil sie nicht loswurden, was sie im Irakkrieg erlebt hatten, bekamen sie sich daheim in Colorado Springs nicht mehr unter Kontrolle. Sie mordeten weiter.

Dealer kaltblütig ermordet

Anthony Marquez war der Erste. Der Erste, der an der Heimatfront tötete. Geschehen ist das am 22. Oktober 2006. An jenem Tag ist Anthony Marquez, der Kriegsheld, mit einer Waffe Kaliber 45 und einem Elektroschock-Gewehr zu seinem Dealer in den Keller gestiegen, um ein paar Gramm Marihuana zu kaufen. Das brauchte Marquez, neben all den Morphium-Tabletten und den anderen Schmerzpillen, um die düsteren Schatten des Irakkriegs aus seinem Hirn zu vertreiben. Der Veteran und der Dealer streiten über den Preis, wütend streckt Marquez sein Gegenüber mit 500.000 Volt nieder. Und als der Drogenhändler aufsteht und erneut Ärger macht, schießt er ihm mitten ins Herz. Einfach so.

Zu 30 Jahren Haft hat ein ziviler Richter in Colorado den Ex-Soldaten inzwischen verurteilt. Marquez, heute 24 Jahre alt, ist fest davon überzeugt, dass er nicht zum Mörder geworden wäre, hätte er sich nicht im Irak ans Töten gewöhnt. "Wenn ich einfach ein Typ von der Straße gewesen wäre, hätte ich vielleicht gezögert zu schießen", hat er dem Reporter der Gazette of Colorado Springs gesagt.

Monatelang hatte die Lokalzeitung recherchiert. "Casulties of War" - "Kriegsopfer" - hat die Gazette ihren zweiteiligen Report überschrieben, der seit dem Wochenende Schlagzeilen macht. Denn es geht um mehr als um ein, zwei Einzelfälle. Mindestens zehn Infanteristen stehen im Verdacht, nach ihrem Irakeinsatz daheim nahe Fort Carson Mord, Totschlag und Vergewaltigungen begangen zu haben. Eine interne Untersuchung der US-Armee räumte vorige Woche ein, dass auch "das Versagen von Vorgesetzten" zum Blutvergießen beigetragen habe. Die nämlich hätten zu lange ignoriert, welches Unheil sich in ihrer Truppe zusammenbraute.

Anthony Marquez nämlich litt unter PTSD, jener Krankheit, die Soldaten nach dem traumatischen Stress des Krieges aus der Bahn wirft. Genauso wie Kenneth Eastridge oder John Needham. Alle drei "tödliche Krieger" erlebten den Irakkrieg schlimmer als Angehörige anderer Einheiten: Die Todesrate, die Zahl der Verluste lag bei der 4. Kampfbrigade mit 64 Gefallenen und 400 Schwerstverwundeten doppelt so hoch wie im Heeresdurchschnitt.

Alle waren überfordert

Und daheim, nach dem Einsatz, waren alle überfordert. Etwa der lokale Sheriff, der nach der Rückkehr der Männer erlebte, wie die Gewaltkriminalität in seiner Stadt um 66 Prozent anstieg. Oder die Stabsärzte, die sich um die Wunden an Leib und Seele kümmern sollten. Anno 2002, also vor dem Irakkrieg, zählten sie 26 Fälle von PTSD. 2006 waren es mehr als 6000.

Und viele wurden nicht einmal mitgezählt. Im Februar 2006, acht Monate vor dem ersten Veteranen-Mord von Colorado Springs, hatte Teresa Hernandez ja angerufen in Fort Carson und den Vorgesetzten von Anthony Marquez, ihrem Sohn, eindringlich gewarnt: "Ich habe dem gesagt, er sei eine wandelnde Zeitbombe." Doch der Sergeant tat - nichts. Oder doch: Er hänselte seinen Soldaten vor den Kameraden. "Deine Mami hat angerufen. Sie erzählt, du würdest verrückt", zitiert die Gazette.

Anthony Marquez galt als Held. George W. Bush, der Kriegspräsident, hatte dem Soldaten das Purple Heart, das Verwundetenabzeichen, an die Brust gesteckt. So viel Ehre wurde Kenneth Eastridge nie zuteil. Im Gegenteil, den hat die Armee 2007 unehrenhaft entlassen, nachdem sie ihn im Irak mit einer Soldatin und einem Haufen Drogen im Bett erwischte. Dass Eastridge schon Monate zuvor durchgedreht war, als er mindestens neun irakische Zivilisten mit seinem MG niederschoss, sühnten seine Vorgesetzten mit Strafwachen. Inzwischen sitzt Eastridge hinter zivilen Gittern - für zehn Jahre, wegen Beihilfe zum Mord.

Das Opfer war ein Kamerad. Einer der "tödlichen Krieger".

© SZ vom 28.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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