US-Politikberater John Hulsman:"Obama hat nur sechs Wochen Zeit"

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Er lebt in Bayern und ist doch ganz nah dran am US-Politikbetrieb: Der amerikanische Politikberater John Hulsman analysiert im Interview die Lage Obamas, die Niederlage der Republikaner und die Chancen für Hillary Clinton bei der nächsten Präsidentschaftswahl.

Jannis Brühl

John Hulsman bezeichnet sich als Konservativer, doch Neocons und Tea Party lehnt er ab. Der 45-Jährige war unter anderem bei der "Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik", schreibt für das Aspen Institute und forscht für das "Hague Center of Strategic Studies" in den Niederlanden. (Foto: oh)

Ohne Kaffee wäre dieses Interview unmöglich. John Hulsman war die ganze Nacht wach, hat an zwei Podiumsdiskussionen für die US-Botschaft in Berlin teilgenommen, vor dem Fernseher Wahlmänner gezählt und "seinen Leuten" in Ohio hinterhertelefoniert, um den aktuellen Stand der dortigen Auszählung zu erfahren. Der Amerikaner, der in Bayern lebt, leitet seine eigene internationale Politikberatung John C. Hulsman Enterprises. Jetzt sitzt er, der auch beim Botschafter das Tragen einer Krawatte verweigert, in einer Hotellobby und erklärt das Wahlergebnis. Dass er neutral ist, würde er wohl nie behaupten - er bezeichnet sich als "moderaten Republikaner". Dementsprechend hat er Probleme mit der derzeitigen Ausrichtung seiner Partei.

SZ.de: Herr Hulsman, wie hat Obama das wieder geschafft?

Hulsman: Er hat ein paar technische Tricks benutzt. Seine Leute wussten, dass sie die Zahl der Wähler im Vergleich zu 2008 vergrößern mussten. Die Minderheiten mussten wieder wählen. Er hatte ja 80 Prozent von ihnen, nur 40 Prozent der Weißen. Das Spiel am Boden, Menschen zum Wählen zu motivieren - niemand kann das besser. Eine sehr professionelle Kampagne.

Nachdem das gesagt ist: Es war auch eine Kampagne ohne jegliche Substanz. Es wurde viel Geld ausgegeben, um Mitt Romney als habgierigen Kapitalisten von Bain Capital zu verunglimpfen - was zu einem gewissen Grad funktioniert hat. Was Obama aber fiskalpolitisch machen wird, wissen wir nicht, er hat es nicht gesagt. Das ist zwar gute kurzfristige Politik, das Problem aber ist, dass er mit einer sehr kleinen Mehrheit und einem geteilten Kongress kein Mandat hat, irgendetwas ernsthaft anzugehen. Obamas Leute sind wunderbare Wahlkämpfer, aber regieren können sie nicht.

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von der Wahlnacht.

Können Sie aus seiner Siegesrede etwas herauslesen für die Zukunft?

Sie hat auf gewisse Weise gezeigt, was mit ihm nicht stimmt. Sie war irgendwie wundervoll, aber irgendwie auch leer. Es ist einfach, zu fragen "Sollten wir nicht alle miteinander auskommen?". Aber sobald wir über konkrete Themen reden, sind wir gespalten: Klimaerwärmung, Haushaltspolitik, die Simpson-Bowles-Pläne [von Obama eingesetzte Kommission, die sich aber letztlich nicht über die Haushaltssanierung einigen konnte, d. Red.] - er hat über nichts davon gesprochen. Das Problem: Er hat nicht lange Zeit, um das zu erledigen. Sechs Wochen, um genau zu sein. So lange sind die Republikaner mit sich selbst beschäftigt und können nicht blockieren. Es muss jetzt passieren.

Wie soll Obama in den kommenden vier Jahren etwas erreichen, wenn er in der ersten Amtszeit schon so wenig umsetzen konnte? Jetzt hat er noch zwei Bundesstaaten mehr verloren.

2008 hatte er 70 Prozent Zustimmungsrate und einen demokratischen Kongress - und er hat trotzdem nichts geschafft. Ich vertraue aber auf die Anleihemärkte, die werden uns disziplinieren, wie sie es in der Krise mit Europa machen. Wenn die Druck auf den Dollar ausüben, werden wir Simpson-Bowles, die Reform der Staatsausgaben, aus der Schublade holen.

Der amerikanische Botschafter hat in seiner Rede an diesem Morgen diese Wahl mit der von 2004 verglichen. Stimmen Sie dem zu?

Er liegt genau richtig. In beiden Fällen hatten wir einen angeschlagenen Präsidenten - einmal Bush, einmal Obama. Eine schlechte Wirtschaftslage, Angst um Amerikas Position in der Welt, einen Präsidenten, der offensichtlich zu schlagen war, aber beide Male gewann, weil er gegen einen steifen Typen aus Massachusetts antrat. John Kerry ist sicherlich ein beeindruckender Mann, aber nicht liebenswürdig. Und Mitt Romney ist erst in der ersten TV-Debatte aufgetaut. Also in beiden Fällen: Ein mangelhafter Herausforderer gegen einen mangelhaften Präsidenten. Der einzige klare Sieg in diesem Jahrhundert war der Obamas 2008. Bei allen anderen ging es nur um Bruchteile von Prozenten - das Land ist tief gespalten.

War Romney zu weit rechts oder zu weit links?

Jeder Republikaner hat das gleiche Problem: Er muss in den Vorwahlen nach rechts rücken, um die Verrückten zu bekommen. Wenn er in die Mitte umschwenkt, befremdet er sie. Romney ist vom Instinkt her moderat. Doch die in der Mitte vertrauen ihm nicht - weil er gestern noch geredet hat wie ein Erzkonservativer.

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Überblick

Wer könnte die Partei denn weiter in die Mitte rücken?

Ich werde darauf achten, was New Jerseys Gouverneur Chris Christie macht, der gerade mit Obama beim Sturm Sandy zusammengearbeitet hat. Er ist großartig als Republikaner aus der Arbeiterschicht, denn genau das ist er. Marco Rubio, Senator aus Florida, sollte man im Auge behalten: Als Hispanic löst er das Problem, das sie mit den Republikanern haben, und seine Lebensgeschichte ist toll - wie ein Einwandererkind es in Amerika schaffen kann.

Dazu Jeb Bush. Wenn der nicht diesen Nachnamen hätte, wäre er jetzt schon Kandidat gewesen: moderat, erfolgreich, hispanische Frau, sozial tolerant, eher wie sein Vater als sein Bruder. Junge, kreative Gouverneure spielen auf nationaler Ebene aber keine Rolle. Wenn die Republikaner aber die Midterm-Wahlen 2014 verlieren, schlägt die Stunde der Moderaten. Die fragen dann: Wie viele Wahlen müssen wir verlieren, weil wir die Schwarzen, die Jungen, die Frauen und die Hispanics verprellen? Momentan ist aber Paul Ryan Favorit, wenn es heißt: Wir brauchen einen Konservativen, aber keinen Verrückten.

Gibt es Änderungen in Obamas Kabinett, die wir jetzt erwarten können?

Die entscheidenden Positionen sind Außen- und Finanzministerium. Hillary hat signalisiert, dass sie gehen will. Sie verlässt die Regierung als beliebtester Politiker des ganzen Landes. Das ist eine angenehme Position, wenn sie 2016 Präsidentschaftskandidatin werden will. Für ihre Nachfolge ist John Kerry der logische Kandidat Er ist nicht sehr kreativ, aber er tut nichts Dummes. Er weiß, wie der Senat funktioniert. Für Deutschland und andere würde er Kontinuität bedeuten. Susan Rice, die derzeitige Botschafterin bei den UN, ist wegen des Angriffs auf das US-Konsulat in Libyen zu stark beschädigt. [Rice hatte gesagt, die Attacke, bei der unter anderem der Botschafter starb, sei nicht im Voraus geplant worden - obwohl libysche Offizielle das Gegenteil behaupteten, Anm. d. Red.]

Und das Finanzministerium?

Das ist besonders interessant. Ich glaube, das Amt wird unterschätzt. Timothy Geithner wird aussteigen, er ist erschöpft. Einer der Kumpels des Ökonomen Paul Krugman könnte in diesem Amt mehr Keynesianismus durchsetzen, also Staatsausgaben, wie wir sie jetzt haben. Das ist auch für Deutschland wichtig: Wir reden nicht mehr viel über Irak oder die Nato. Aber in Finanz- und Wirtschaftsfragen ist es immer noch eine sehr enge Beziehung, da brauchen wir einander. Auch wenn das Außenministerium sexier ist.

2016 könnte also Hillary antreten? Welcher Demokrat könnte ihr gefährlich werden?

Auch Biden denkt angeblich trotz seines Alters darüber nach, anzutreten. Es hängt aber von Obamas Erfolg ab. Wenn er nicht viel schafft, wird Hillary die logische Kandidatin sein. Die Clintons wissen nach wie vor am besten, wie man mit armen Weißen in Ohio oder Pennsylvania redet - die alte Koalition, die bereits Franklin D. Roosevelt an die Macht brachte. Obama kann nur mit der neuen Koalition, die aus Schwarzen, Hispanics und Gebildeten besteht. Ich glaube, Hillary könnte diese beiden Teile zusammenbringen. Wenn Obama sich gut schlägt, wird sie es nicht machen.

Also bedeutet das, Clinton braucht einen schwachen Obama?

Ganz genau.

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