Umgang mit USA im NSA-Skandal:Wie Merkel die Ängste ihrer Bürger ignoriert

Angela Merkel im Kanzleramt in Berlin

Nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl: Kanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz in Berlin.

(Foto: AFP)

In der Affäre um das Spähprogramm Prism hält sich Angela Merkel auffallend zurück. Dabei ist ihre scheinbare Suche nach der Balance zwischen Bürgerrechten und Sicherheit nur das Bemühen, keinen Fehler zu machen. Sie weicht den wichtigen Fragen aus - und wirkt gegenüber den Befürchtungen ihrer Bürger verständnislos.

Ein Kommentar von Nico Fried

Seit einigen Tagen ist die Kanzlerin auf der Suche nach Balance. Das klingt gut, weil Balance - zu Deutsch: Gleichgewicht - eine messbare Klarheit suggeriert, gewissermaßen eine naturwissenschaftlich verbürgte Glaubwürdigkeit. Es verströmt folglich eine gewisse politische Lauterkeit, wenn Merkel nun allenthalben für Ausgewogenheit plädiert: zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Datenschutz, zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus und den Bürgerrechten, zwischen traditioneller Verbundenheit zu den USA und der wachsenden Skepsis, ob Amerika dieser Zuneigung noch würdig ist. Kurz: Zwischen Kritik und Nettigkeit.

In der Politik freilich ist Balance eher das Gegenteil von eindeutig. Denn in der Politik kann Balance zwischen zwei Gegensätzen ja gerade nicht gemessen werden. Gleichgewicht entsteht vielmehr durch Interpretation und Diskussion. Am Ende ist Balance schlicht und einfach das, was eine Mehrheit dafür hält.

Warten auf die Mehrheit unter den Deutschen?

Geht es Merkel also in Wahrheit darum? Sucht die Bundeskanzlerin in der Debatte um die Spionageaktivitäten der amerikanischen NSA gar nicht die politisch richtige Balance, sondern tarnt damit lediglich, dass sie abwartet, in welche Richtung sich die Stimmung der Deutschen verschiebt? Der Verdacht liegt nahe, zum einen natürlich, weil er sich wenige Wochen vor einer Bundestagswahl wie von alleine aufdrängt. Zum anderen aber, weil Angela Merkel bislang schlicht zu wenig Ehrgeiz erkennen lässt, um diesen Verdacht auszuräumen.

Das Verhältnis zu den USA kann den Ausgang von Bundestagswahlen in Deutschland mit beeinflussen. So war es Anfang der Achtzigerjahre, als unter anderem die Auseinandersetzung um die nukleare Nachrüstung den Sozialdemokraten Helmut Schmidt das Amt kostete, Helmut Kohl ins Kanzleramt brachte, und die Grünen erstmals in den Bundestag. So war es 2002, als Gerhard Schröder mit seinem Nein zum bevorstehenden Irak-Krieg der Bush-Regierung eine Mehrheit der Wähler hinter sich bekam, mit dem Duktus dieser Kritik allerdings auch weitergehende anti-amerikanische Ressentiments bediente.

Einen Wahlkampf wie Schröder könnte und wollte Merkel gar nicht führen. Er widerspräche ihrem Temperament und ihren außenpolitischen Überzeugungen. Für eine CDU-Kanzlerin, zumal mit einem großen Vorsprung in den Umfragen, kann es auch gar nicht darum gehen, mit kalkulierten Vorwürfen an die Adresse der US-Regierung entscheidende Prozentpunkte zu gewinnen. Aus Merkels Sicht besteht eher die Gefahr, durch die Unwucht zur einen oder anderen Seite hin, einige entscheidende Wählerstimmen zu verlieren. Die Balance zu suchen, ist mithin nur ein anderes Wort dafür, keinen Fehler zu machen.

Merkels Satz zur Osama-Tötung war eine seltene Ausnahme

Wohl deshalb hat sich die Kanzlerin bislang um ein gepflegtes Sowohl-als-auch bemüht: Sie hat den Kalten Krieg historisch korrekt für beendet erklärt und das Abhören diplomatischer Einrichtungen unter Freunden als nicht statthaft bezeichnet. Für die Aufklärung der NSA-Aktivitäten als Ganzes aber mahnt sie das Bewusstsein an, dass es sich bei den Amerikanern um den seit Jahrzehnten wichtigsten und treuesten Verbündeten handele. Sie hat mit Barack Obama bei dessen Besuch in Berlin gesprochen und dann noch mal am Telefon. Sie hat einen Prozess der Aufklärung in Gang gesetzt, aber damit zunächst nur den Weg zum Ziel erklärt. Durch die Geste, dass ein Vize-Präsident dem deutschen Innenminister - wie am Freitag in Washington geschehen - einen guten Tag wünscht, beantwortet sich ja noch keine der vielen Fragen.

Merkels Vorsicht hat auch biografische Gründe. Den 11. September 2001 und seine Folgen erlebte sie als Oppositionspolitikerin. Nicht nur die neue Dimension des Terrors war gewaltig, sondern auch der Druck auf Berlin, nachdem deutschen Geheimdiensten die Hamburger Terrorzelle nicht aufgefallen war, in der das Attentat vorbereitet wurde. Die rot-grüne Regierung verschärfte nicht nur die Gesetze im Antiterrorkampf, sie setzte auch neue, nicht selten fragwürdige Akzente in der Geheimdienstarbeit.

Der politische Widerstand gegen den Irak-Krieg rehabilitierte Schröders Regierung bei vielen Kritikern. Für Merkel und ihre Partei aber wurde diese Debatte zu einem Fiasko. Den Eindruck der Willfährigkeit gegenüber einer in Deutschland zunehmend verhassten Bush-Regierung wurde Merkel lange Zeit nicht los. Damals scheiterte ihr Versuch, die Beziehungen zu den USA in einer Balance nach ihrer Vorstellung zu halten. Die Mehrheit war ganz woanders.

Erst als Kanzlerin erhielt Merkel die Gelegenheit, ihr Image zu korrigieren. Vor ihrem Antrittsbesuch in Washington forderte sie die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo. Und sie wirkte mit an der Rückkehr des Deutsch-Türken Murat Kurnaz - ganz nebenbei eine Art Revanche an der SPD: Der Vorwurf, Kurnaz' vorzeitige Freilassung verhindert zu haben, hätte den früheren Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier damals beinahe die Karriere gekostet.

Merkel blickt nicht ohne Skepsis auf die USA

Heute blickt Merkel in Sicherheitsfragen nicht ohne Skepsis auf die USA. Aber sie hat zweifellos mehr Verständnis für die Amerikaner als die Mehrheit der Deutschen. Weil sie das weiß, hält sie sich öffentlich zurück und macht diese Haltung lieber nicht erkennbar. Ihr umstrittener Satz im Mai 2011, sie "freue" sich, dass es gelungen sei, Osama bin Laden zu töten, war eine seltene, womöglich sogar versehentliche Ausnahme.

Manches, was in Deutschland mehrheitlich verdammt wird, wie die gezielten Tötungen mit Kampfdrohnen, sieht auch Merkel distanziert. Zugleich aber findet sie offenkundig, dass ein Land sich nicht als moralische Instanz aufspielen sollte, solange es auf die Hilfe von Partnern wie den USA angewiesen ist. Das gilt zum Beispiel für den Schutz deutscher Soldaten in Afghanistan. Der Verweis auf geplante Anschläge in Deutschland, die dank amerikanischer Informationen verhindert wurden, zeugt davon, dass Merkel auch in der NSA-Affäre diese Haltung hat.

Solche Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen. Doch auch mit zu viel Zurückhaltung kann man aus der Balance geraten. Bei allem Verständnis für die Amerikaner wirkt Merkel gegenüber Ängsten ihrer Bürger vergleichsweise verständnislos. Mancher Vorwurf wird ignoriert, manche Frage beschwiegen. Besonders deutlich zeigt sich das an der Diskussion, ob deutsche Dienste Informationen der USA annehmen, die sie selbst nicht hätten gewinnen dürfen. Bei aller notwendigen Aufklärung der Fakten fehlt bislang von der Kanzlerin auch Aufklärung über die eigenen Maßstäbe. Ausgewogen und ausgewichen ist eben nicht dasselbe.

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